Die Finanzkrise hatte für Thomas Hetmann üble Folgen. Am 18. Februar wurde sein Abschied vom schwer angeschlagenen Autozulieferer und Wälzlagerhersteller Schaeffler per Pressemitteilung besiegelt. Jürgen Geißinger wollte es so. Eingeweihte raunen, er und Hetmann seien aneinandergeraten, als der Finanzchef plante, harte Zahlen über die desaströse Lage im Konzern an die Gläubigerbanken weiterzugeben. So viel Transparenz wollte die Schaeffler-Spitze nicht zulassen. Die Banken empfanden die Situation als äußerst unglücklich, das Verhältnis der beiden Manager war zerrüttet - und raus war Hetmann.
Der Schaeffler-Manager ist nicht der einzige Finanzchef, der sich um einen neuen Arbeitsplatz kümmern muss. Seit einigen Wochen häufen sich die Abgänge von Chief Financial Officers (CFOs) im ganzen Land. Die Axel Springer AG entledigt sich trotz eines Rekordgewinns seines Finanzvorstands Steffen Naumann. Die Deutsche Post muss schon zum zweiten Mal seit September 2007 den Posten des Chefkämmerers neu besetzen.
Hannover-Rück-Vorstandsmitglied Elke König geht ebenso wie Reinhard Rupp vom Pharmagroßhändler Phoenix. Und bei der Reederei Hapag-Lloyd verabschiedete sich Finanzvorstand Maarten Henderson bereits nach vier Wochen wieder. "Seit dem vergangenen November haben die CFO-Suchen deutlich zugenommen", sagt Kajus Rottok, Headhunter bei Ray & Berndtson.
Vom Buchhalter zum Tausendsassa
Die Ansprüche steigen. "Finanzvorstände stehen in diesen Zeiten vor einer Herkulesaufgabe", sagt Heinz Juchmes von der Personalberatung Signium. Vorbei sind die Tage, als CFOs nur das Profil eines grauen Buchhalters und Zahlenbereitstellers erfüllen mussten. Der ideale Finanzvorstand von heute ist Tausendsassa: Er muss Risiken minimieren, den Geldfluss sicherstellen und den Aktienkurs steigern. Er ist oft Sprachrohr seines Unternehmens und immer öfter sogar eine Art Ersatz-CEO. All diese Anforderungen zu erfüllen, das ist schon in normalen Zeiten schwer. In diesen Krisenwochen ist es fast unmöglich.
Bis vor wenigen Jahren hatte der CFO nur eine einzige Aufgabe. "Er war eine Art Dienstleister für die anderen Vorstände, die dann die Entscheidungen getroffen haben", sagt der Münchner Personalberater Jürgen Buschmann. Noch-Schaeffler-Finanzchef Hetmann hat die klassische Karriere durchlaufen. 1997 fängt er als Chefbuchhalter beim Chemiekonzern Hoechst an. Seine Ausbildung für diesen Posten war ebenso tadellos wie umfangreich: diplomierter Ökonom, Steuerberater, ja sogar Wirtschaftsprüfer.
Hetmann leistet gute Arbeit, steigt auf. Zunächst wird er Bereichsleiter Rechnungswesen bei Veba Oil und Hoechst. 2001 macht ihn Aral zum Finanzvorstand. Die Anforderungen an den Manager bleiben stets mehr oder weniger dieselben: Im Wesentlichen beschränken sie sich aufs klassische Controlling.
Dann, im Frühjahr 2006, wechselt Hetmann als Finanzchef zu Schaeffler. Offiziell ist er zweiter Mann im Unternehmen, hinter Konzernchef Geißinger. Das Geschäft läuft damals prächtig, Schaeffler ist ein kerngesundes Unternehmen. Die Firmenspitze um Geißinger sowie die Inhaber Maria-Elisabeth und Georg Schaeffler sind mit Hetmanns Arbeit zufrieden. In strategische Entscheidungen bezieht sie den CFO aber so gut wie nie ein.
Anders als bei großen Aktiengesellschaften entscheidet bei Schaeffler ein eingeschworener Zirkel von vier Leuten: Geißinger, Mutter und Sohn Schaeffler sowie der Familienintimus Rolf Koerfer. Als das Quartett vergangenes Jahr die feindliche Übernahme des Dax-Konzerns Continental startet, hört es kaum auf Hetmanns Warnungen.
Die aufziehende Finanzkrise torpediert den Plan. Plötzlich ist Schaeffler nicht mehr Jäger, sondern Gejagter. Der Konzern braucht 5 bis 6 Mrd. Euro frisches Kapital. Die Zeit wird knapp, die Banken drohen, ihre Kredite in eine Unternehmensbeteiligung umwandeln. Hetmann muss gehen.
Die Trennung mitten im Chaos ist ein heikles Thema. Weder Schaeffler noch Hetmann wollen sich auf Nachfrage äußern. Ein Konzerninsider sagt nur soviel: "Als Hetmann nach Herzogenaurach kam, stand das Thema Finanzierung in der Krise überhaupt nicht auf der Agenda." Das hat sich radikal geändert.
Alles für die Börse
Die Erwartungen an CFOs sind heute ungemein hoch. Mehr und mehr Aufgaben sind in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten dazugekommen. Gut 60 Prozent der von der Unternehmensberatung IBM Global Services befragten Finanzchefs meinen, der Finanzbereich habe eine Schlüsselrolle im Topmanagementteam ihres Konzerns.
Als im Laufe der 90er-Jahre vermehrt Firmen an die Börse gingen, stiegen automatisch auch die Anforderungen an die Finanzvorstände. Plötzlich rückten sie ins Rampenlicht der Öffentlichkeit, mussten auf Roadshows Investoren für ihre Aktie begeistern, statt im Hinterzimmer der Banken um Kredite zu betteln. Der Jahresabschluss geriet dann oft zur Belastungsprobe. Wenn das Unternehmen an einer US-Börse gelistet war, kam die Bilanz nach US-GAAP dazu - und vielleicht auch noch ein Abschluss nach den französischen Spielregeln, wenn die Muttergesellschaft dort ihren Sitz hatte.
Der CFO steht immer häufiger im Mittelpunkt des Interesses. Anleger, Fondsmanager, Analysten - sie alle richten ihre Blicke gerade in diesen Krisenzeiten auf ihn und seine Interpretation der Zahlen. "Der Job des Finanzvorstands ist heute maßgeblich auch ein Kommunikationsjob", sagt Armen Simon, Headhunter von Spencer Stuart. Berater Buschmann ergänzt: "Die Zeit der Schreibtischhelden ist unwiderruflich zu Ende. Sie müssen kooperative Teamplayer sein, Ansprechpartner für die Finanzmärkte im Doppelpass mit dem CEO."
Auch nach innen nimmt die Aufgabenfülle zu. Viele Konzern haben den Finanzvorständen die Zuständigkeit für die heiklen Themen Corporate Governance und Compliance übertragen. Und zu allem Überfluss sind die Geldverwalter von früher auch fürs Risikomanagement zuständig. Sie müssen deshalb Warner und Antreiber zugleich sein. "Einerseits haben sie eine Wächterrolle, müssen Risiken aufdecken und minimieren", sagt Buschmann. "Anderseits sollen sie die Zukunft der Firma mitgestalten, Wege aufzeigen, wie Wachstumsziele erfüllt werden können."
Ein Dilemma, aus dem es kaum einen Ausweg gibt. "Im Grunde wird die Eier legende Wollmilchsau gesucht", sagt der Personalberater Peter Behncke von Kornferry.
Die Finanzkrise erhöht noch einmal den Druck. Die Zeit der Schönwetter-Kapitäne ist vorbei, nun sind Restrukturierer gefragt, die jedes Detail ihres Betriebs kennen. Personalberater Juchmes sagt: "Wir suchen Leute, die Turnaround-Erfahrung haben, wissen, wo im Unternehmen Einschnitte nötig sind."
Die Wirklichkeit sieht anders aus: In der IBM-Studie gab jeder zweite der 1200 befragten CFOs zu, er fühle sich schlecht vorbereitet auf echte Krisen.
Wird das Geld im Unternehmen knapp, wird der Stress für die Finanzvorstände noch größer. In immer kürzeren Perioden müssen sie mit Kreditgebern verhandeln, Brände löschen, die ihnen häufig andere eingebrockt haben. Besonders übel ist die Lage in vielen Portfoliofirmen der Private-Equity-Branche. "Dort werden manchmal CFOs über Nacht gesucht", weiß Spencer-Stuart-Berater Simon.
"Das A und O ist Glaubwürdigkeit."
Das enorm gewachsene Anforderungsprofil macht den Job des Finanzvorstands zum Schleudersitz. "Das Risiko, gefeuert zu werden, wächst exponential", sagt ein Berater. Andererseits sind Krisen für erfolgreiche Manager auch eine Chance, sich zu profilieren.
"Wenn der CFO das Vertrauen der Banken gewinnt, dann ist er der Sieger", sagt Kajus Rottok von Ray & Berndtson. Wer rechtzeitig die Probleme offenlege und Lösungswege entwickle, habe gute Aussichten - selbst wenn sich Umsätze und Gewinne in dieser Krise kaum mehr prognostizieren lassen. "Wenn man den Zahlen nicht mehr trauen kann, dann schaut man auf die Persönlichkeit", sagt Rottok. Buschmann ergänzt: "Das A und O ist Glaubwürdigkeit."
Nicht zufällig gelingt so manchem Finanzvorstand der Schritt nach ganz oben. Es ist der letzte Kick der Karriere: Aus dem ewigen Kronprinzen wird ein echter Vorstandschef. So wie Karl-Gerhard Eick, der frühere CFO der Deutschen Telekom, der den MDax-Konzern Arcandor anführt.
Oder Alan Hippe von Continental, der offenbar nur deswegen zu ThyssenKrupp wechselt, weil er sich Chancen auf die Nachfolge von Vorstandschef Schultz ausrechnet.
Um Hippe hatten mehrere Konzerne gebuhlt, unter anderem führte er Gespräche mit der Deutschen Post und dem Haniel-Konzern. In der Bankenwelt ist Hippe als kluger und verlässlicher Partner geschätzt, er denkt strategisch und galt als Sanierer des US-Geschäfts von Conti.
Leute wie er sind umworben. "Gute CFOs scheinen derzeit in Deutschland Mangelware zu sein", sagt Hans-Olaf Henkel, der ehemalige Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie.
Schaeffler bekommt diesen Mangel gerade bitter zu spüren. Noch immer dient der scheidende Finanzchef Hetmann als CFO. Einen Ersatz haben die Franken bisher nicht gefunden. Und die Suche kann noch ein Weilchen dauern.