Werbe-Mythen "Zehn Prozent der Werbung bleiben hängen"

Wilfried Leven ist Präsident der deutschen Werbewissenschaftlichen Gesellschaft und kennt sich mit den Tricks Werbebranche aus. stern.de erklärt er, warum Werbung mit Promis selten funktioniert - und dass Sex nicht immer zu mehr Konsum führt.

Herr Leven, viele Menschen denken, Werbung ist so eine Art Gehirnwäsche. Und am Ende kauft man Dinge, die man gar nicht haben will.

Wir wollen rationale Konsumenten sein, aber wir sind halt nicht rational, und am Ende ist die Werbung Schuld. Das reden uns auch Politiker ein: Wir rauchen wegen der Werbung, wir trinken wegen der Werbung. Werbung manipuliert aber nicht, sondern nutzt erlaubte Sozialtechniken. Politiker machen das übrigens auch. Man kann zum Beispiel Emotionen übertragen, indem man sie zeigt: Wenn ich weine, werden Sie traurig. Ein Meister dieser Methode war Heinrich Himmler, der hat das Muskelspiel in seinem Gesicht perfekt beherrscht. In der Werbung sieht man oft schlechtere Schauspieler.

Viele Leute glauben, dass sie von der Werbung durch nicht bewusst wahrnehmbare Millisekundenbilder manipuliert werden. Schon in den 50er Jahren hat ein US-Kinobesitzer behauptet, er habe den Verkauf von Popcorn angekurbelt, indem er die Botschaft "Kauft Popcorn" zwischen die Spots geschummelt hat.

Man weiß heute, dass das ein Mythos ist. Was würde das auch bringen? Es ist schwer genug, die Menschen zu erreichen, und unterhalb der Wahrnehmungsschwelle weiß man gar nicht, was hängen bleibt. Mein verehrter Lehrer Werner Kroeber-Riel hat immer gesagt: Was bringt es, wenn du den Leuten sagst "Kauf Opel", und die verstehen "Sauf Popel"? In den 60ern hat man dann tatsächlich in Kekse mikroskopisch kleine Muster von Genitalien gedruckt, weil man glaubte, unterschwelliger Sex führt zu mehr Konsum. So etwas würde kein Mensch mehr machen.

Heute manipuliert man zeitgemäßer. Mit Product Placement zum Beispiel.

Wenn James Bond einen Aston Martin fährt, denken die Leute, das ist ein tolles Auto. Da werden wir manipuliert, weil wir uns nicht im Klaren sind, was mit uns passiert. Deshalb wurde Product Placement auch immer schnell mit Schleichwerbung in Verbindung gebracht und von den Landesmedienanstalten geächtet. Die Zeiten sind vorbei, denn die EU erlaubt inzwischen Product Placement mehr und mehr, vielleicht auch, weil sich ohne Product Placement kaum eine Serie finanzieren lassen würde.

Und wann ist Product Placement Schleichwerbung?

Product Placement ist nach wie vor dann illegal, wenn die in den Film eingebauten Produkte nicht mehr zum Handlungsstrang gehören. Wenn die Leute zum Beispiel in einer Vorabendserie immer wieder in ein Reisebüro gehen müssen, weil dort ein Tui-Plakat hängt.

Immer mehr Werbespots zum Beispiel von der Telekom oder Yellow Strom erkennt man mit den Ohren. Außerdem klingelt im Werbefernsehen vor der Botschaft ständig das Handy - wie wichtig ist die Akustik?

Vor fünf Jahren hat man den Ton entdeckt, und viele haben jetzt ein auditives Logo. Damit kann man die Bilder aber nur verstärken. Wir lernen auch über das Gehör, allerdings mit einem Low-Involvement, also mit einer geringen Ich-Beteiligung. Das heißt wir brauchen 14 Wiederholungen, damit die Botschaft hängen bleibt. Beim High-Involvement sind es nur sieben. Das Handyklingeln ist übrigens eine Modeerscheinung, das nutzt sich ganz schnell wieder ab.

Was ist mit Gerüchen? Vor jeder zweiten Bäckerei riecht es nach synthetischem Brötchenduft. Für Kaufhäuser suchen Duftdesigner die richtigen Aromen für den Kaufrausch - shoppen wir immer der Nase nach?

Der Geruchssinn ist der archaischste, der geht sofort auf die Gefühlsebene. Wenn Sie an einer Bäckerei vorbeigehen, dann muss allerdings ein Hungergefühl da sein, damit das funktioniert. Ein grundsätzliches Problem sind Dinge, die nicht riechen. Für Untersuchungen hat man Wasserflaschen aromatisiert, da ist der Abverkauf und die Markenwahrnehmung sofort in die Knie gegangen- wer will schon Wasserflaschen, die riechen? Auch Gerüche in Kino-Werbespots sind schwierig. Wenn sie einen Geruch ins Kino blasen, müssen sie den schnell wieder absaugen, aber das ist technisch nicht machbar. Die ersten Bücher zum Geruch in der Werbung sind in den 80er Jahren heraus gekommen, seither ist wenig passiert. Düfte sind ein heikles Thema.

Was gut zu funktionieren scheint sind Promis. Von Telefonanschlüssen über Fruchtgummis bis Flugreisen - träumen wir tatsächlich davon, dieselben Marken zu haben wie Johannes B. Kerner und Verona Feldbusch

Meistens funktioniert das nicht. Viele Promis erschlagen die Werbung: die Leute erinnern sich nur an die Person, aber nicht mehr an das Produkt. Oft ist auch die ganze Konstruktion unglaubwürdig. Wer soll einer Tennisqueen, die in den USA lebt, abnehmen, dass sie eine deutsche Teesorte trinkt? Promis haben noch nie funktioniert, dass sie trotzdem eingesetzt werden, hat auch viel mit Eitelkeit zu tun: Marketingdirektoren schmelzen doch dahin, wenn sie mit Heidi Klum zum Mittagessen gehen. Der einzige dem so etwas nützt sind die Promis selbst: die werden nämlich auf jeden Fall immer bekannter.

Das passt ja zu Umfragen, in denen die meisten Menschen behaupten, dass sie gegen Werbung immun seien.

Natürlich werden sie beeinflusst, sie merken es nur nicht. Es gibt keine Möglichkeit, sich dem Info-Gehämmer zu entziehen. Von morgens bis abends sind sie Werbung ausgesetzt, das können sie gar nicht alles bewusst ausblenden. Ungefähr zehn Prozent bleiben hängen.

Nur zehn Prozent? Dann wirkt Werbung ja gar nicht.

Der größte Teil der Werbung funktioniert tatsächlich nicht. Die Hälfte der Printwerbung kommt gar nicht beim Nachfrager an. Von der anderen Hälfte, die ankommt, wirken tatsächlich weniger als zehn Prozent richtig - der Rest wird missverstanden. Das können Sie nur durch zwei Dinge ausmerzen, entweder sie verdoppeln den Etat, denn mehr wirkt mehr. Oder sie machen die Werbung verständlicher und emotionaler.

Und wie macht man Werbung verständlich, um über diese zehn Prozent zu kommen?

Erst mal über die Augen, weil die 70 Prozent unserer gesamten Wahrnehmung abdecken. Was immer funktioniert sind Menschen. Der richtige Gesichtsausdruck kann viel mehr Emotionen vermitteln als Worte. Aber es ist Quatsch zu denken, dass je mehr Werbung es gibt, desto schneller und lauter muss sie sein. Im Gegenteil: Sie muss subtiler werden, die Zielgruppenauswahl genauer. Wie muss ich den DDR-Nostalgiker und den modernen Performer ansprechen? Da müssen die richtigen Personen in den richtigen Situationen gezeigt werden.

Sie als Fachmann kennen alle Tricks - können Ihnen die Werber noch ein Produkt aufschwatzen?

Na klar. Werbung wirkt bei mir, wie bei jedem anderen Konsumenten: Preiswerbung zieht bei mir immer. Wenn es das Headset, das ich gerade trage, im Sonderangebot gibt, dann schlage ich zu. Leute, die Sonderangebote kaufen sind übrigens die, die sagen: Auf Werbung falle ich nicht herein. Schnäppchen kaufen wird als rationale Entscheidung wahrgenommen. Das ist natürlich Blödsinn. Wenn ich für ein Sonderangebot durch die halbe Stadt fahren muss, und rechne mal die Zeit gegen, die dabei drauf geht, dann ist das nicht mehr sinnhaft. Überhaupt ist der Preis nur für Volkswirte und Börsianer das alleinige Kaufentscheidungskriterium.

Interview: Susanne Balthasar