Pipeline nach Deutschland Deutsch-russische "Gasfreundschaft" – darum ist Nord Stream 2 so umstritten

Rohre für die Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2. rechts: Russlands Präsident Wladimir Putin
Rohre für die Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2. Rechts: Russlands Präsident Wladimir Putin
© Stefan Sauer / Pool Sputnik Kremlin / DPA
Der Name Nord Stream 2 ruft regelmäßig heftige politische Reaktionen hervor. Doch warum ist das russisch-deutsche Energieprojekt so umstritten – und wer sind die wichtigsten Protagonisten? Ein Überblick.

Zuletzt war es Frankreich, das deutlich seine Meinung zu Nord Stream 2 äußerte. Vor dem Hintergrund der Inhaftierung von Kreml-Kritiker Alexej Nawalny rief Paris die Bundesregierung auf, das russisch-deutsche Pipelineprojekt zu beenden. Der gerade abgetretene US-Präsident Donald Trump bekam regelmäßig schlechte Laune beim Gedanken an die Gasleitung von Westrussland nach Ostdeutschland. Und auch Trumps Nachfolger Joe Biden scheint nicht wirklich Gefallen an der deutsch-russischen "Gasfreundschaft" zu finden. Doch warum ist das Projekt teils so verhasst –  und was sagt Deutschlands Koalitionsregierung zu der Kritik?

Was ist überhaupt Nord Stream 2?

Nord Stream 2 ist Teil eines Gesamtprojekts, das Nord Stream heißt und die Energieversorgung Deutschlands sichern soll. Dieses Mega-Projekt besteht aus mehreren Unterwasser-Gasleitungen von Russland in die Bundesrepublik. Das ältere dieser Einzelvorhaben ist Nord Stream 1: Seit 2011 in Betrieb, führen zwei Gasleitungen von der Stadt Wyborg im Leningrader Gebiet bis nach Greifswald. Eigentümer jener Pipelines sind mehrere Firmen, darunter westliche Unternehmen wie Wintershall und Eon. Die Mehrheit hält mit 51 Prozent der vom russischen Staat kontrollierte Energiekonzern Gazprom, der direkte Verbindungen zum Kreml hat.

Beim aktuellen Zankapfel Nord Stream 2 ist dagegen Gazprom das allein bestimmende Unternehmen. Diese Pipeline, um die gerade in den vergangenen Tagen wieder so heftig gestritten wurde, besteht aus zwei Strängen, die nahezu parallel zu der ersten Trasse verlaufen. Auf einer Länge von jeweils rund 1230 Kilometern sollen pro Jahr 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas von Russland nach Deutschland gepumpt werden. Das ist ebenso viel wie die Kapazität der ersten Nord-Stream-Pipeline und theoretisch genug, um 26 Millionen Haushalte zu versorgen.

Was haben die Kritiker gegen die russische Gasleitung nach Deutschland?

In Europa ist Nord Stream 2 aus Furcht vor russischer Dominanz bei der Energieversorgung umstritten. Vor allem die Anrainer wie Polen, das Baltikum oder Schweden haben sicherheitspolitische Bedenken. Die Kritiker warnen vor einer zu großen Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas und negativen Folgen für ost- und nordeuropäische Staaten. Sie fürchten die Macht Russlands und ihres Präsidenten Wladimir Putin. Die Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dagegen befürwortet das Projekt. Ihr Argument ist die Sicherung des deutschen Energiebedarfs.

Wie weit sind die Arbeiten an Nord Stream 2?

Der Bau der mehr als 1200 Kilometer langen Pipeline nach Lubmin nahe Greifswald ist noch nicht fertig, aber nahezu abgeschlossen. Laut Hauptinvestor Gazprom sind 94 Prozent der Leitung fertiggestellt. Es stehen vor allem noch Arbeiten in dänischen Gewässern aus.

Wie bewertet die deutsche Politik die Pipeline?

Die Große Koalition in Berlin hält bisher an Nord Stream 2 fest. Kanzlerin Merkel beharrte lange darauf, dass es ein rein wirtschaftliches Projekt sei, inzwischen räumt die Kanzlerin die politische Dimension ein. In Deutschland mehren sich in letzter Zeit die Stimmen gegen die Pipeline. Vor allem die Oppositionsparteien Grüne und FDP sind gegen einen Weiterbau. Aber auch in der CDU regte sich Widerstand, prominenteste Kritiker hier sind Norbert Röttgen und Friedrich Merz. Bei der SPD gibt es dagegen weiter viele Unterstützer der Pipeline, allen voran Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig.

morgenstern

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Die Franzosen machen Front gegen Nord Stream 2 – warum eigentlich?

Offizieller aktueller Anlass für die französische Forderung nach einem Projektstopp ist die Inhaftierung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny und die Verhaftung von tausenden seiner Anhänger in Russland. Weitere EU-Sanktionen reichten nicht aus, betonte jüngst Europa-Statsskretär Clément Beaune. Über den teilstaatlichen Energiekonzern Engie ist Frankreich selbst mit rund 950 Millionen Euro an der Pipeline-Finanzierung beteiligt. Das Land ist aber weitaus weniger als Deutschland auf Erdgas angewiesen. Es deckt rund 70 Prozent seines Strombedarfs aus der Atomenergie. Frankreich hat also energiepolitisch kein Interesse an der Pipeline.

Und wer hat noch Vorbehalte gegen die Gasleitung?

Nach der Verhaftung Nawalnys hatte das Europaparlament bereits im Januar einen Baustopp für Nord Stream 2 gefordert. Kritisch wird die Pipeline nach wie vor in Osteuropa gesehen. Denn die neue Gasleitung schwächt die Position traditioneller Transitländer – das betrifft zum einen das ukrainische Leitungsnetz, zum anderen die quer durch Weißrussland und Polen verlaufende Jamal-Europa-Pipeline. Die Transitgebühren sind für die Länder ein wichtiger Einnahmefaktor, darüber hinaus macht die Verfügbarkeit alternativer Routen sie entbehrlicher und womöglich zum Ziel politischer Erpressungen.

Welche Rolle spielen die USA?

Washington hatte bereits Ende 2019 unter dem damaligen Präsidenten Donald Trump Sanktionen verhängt, um die Fertigstellung der Pipeline zu verhindern. Einen Tag vor dem Amtsantritt von Joe Biden verhängte die US-Regierung zudem Strafen gegen das am Bau der Pipeline beteiligte russische Verlegeschiff. Bisher gibt es keine Signale, dass Biden eine signifikant andere Meinung als sein Vorgänger vertritt. Die USA argumentieren, Deutschland und Europa würden zu abhängig von russischer Energie werden. Kritiker werfen den USA vor, lediglich eigenes Flüssiggas exportieren zu wollen – zu möglichst hohen Preisen.

AFP
anb

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