Vor dem Aufbruch. In den Klostergarten hatte ich mich beim ersten Blick schon verliebt, oder sagen wir: in das, was davon übrig war. Seit zehn Jahren war hier fast nichts mehr angebaut worden, dabei lagen im Schuppen noch alle Gerätschaften, sogar eine Gewächshausruine gab es. Ich war für ein Wochenendseminar ins Kloster Bad Wimpfen gekommen. „Sagen Sie“, fragte ich die Klosterleitung, „könnten Sie sich vorstellen, dass ich den Garten wieder zum Laufen bringe?“ Die damals Verantwortliche sagte, „gerne, aber wie stellen Sie sich das vor?“ Wir überlegten und kamen dann auf den Bundesfreiwilligendienst. Vor wenigen Monaten erst hatte ein BuFDi im Kloster aufgehört und ich rückte nach. So ein Gartenprojekt braucht ja auch reichlich Wissen und Erfahrung, und die hatte ich vor Jahren als Gärtnergehilfe am kalifornischen Esalen Institut gesammelt. Außerdem legte ich mir zwei dicke Standardwerke über ökologischen Gartenbau zu.
Ein Jahr später wollte ich im Garten anfangen. Mein Redaktionsleiter im Sender nahm meine Bitte gelassen. Ich hatte ihn schon zweimal zuvor um sabbaticals gebeten. Beim SWR gibt es seit Jahren die Möglichkeit, Auszeiten zu nehmen. Ein Vertrag hielt schriftlich fest, dass ich dienstfrei gestellt werde und nach acht Monaten wieder auf die selbe oder eine vergleichbare Stelle zurückkehren kann. Eine Volontärin vertrat mich währenddessen – und machte das so gut, dass sie seither Teil des Teams ist.
Wohnen und essen würde ich im Kloster. Vom BFD erhielte ich 310,- Euro monatlich, davon wollte ich leben. Meine Ersparnisse stockte ich in den Monaten davor um 8.000 Euro auf, damit ich die stehenden Kosten für Wohnungsmiete und anderes bestreiten konnte. Das war mir die Vision wert. Später stellte sich dann heraus, dass meine KollegInnen im Sender ältere, honorarpflichtige Beiträge von mir wiederholten – und ich damit ziemlich genau diesen Betrag verdiente, ich musste das Ersparte also gar nicht anrühren. Geld war ohnehin nicht das Problem. Die eigentliche Herausforderung lag woanders.
Udos Auszeit
Länge der Auszeit: Acht Monate
Ort: Kloster Bad Wimpfen, als Helfer im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes
Vorbereitungszeit: zwölf Monate
So habe ich die Auszeit finanziert: BFD-Taschengeld (310,- Euro pro Monat), Kost und Logis erhielt ich im Kloster. Dazu stockte ich meine Ersparnisse um 8000 Euro auf, für „stehende“ Kosten wie Wohnungsmiete etc.
So verblieb ich mit meinem Arbeitgeber: Ich wurde acht Monate dienstfrei gestellt, die Bedingungen hielten wir in einem schriftlichen Vertrag fest. Eine Volontärin übernahm meine Vertretung.
Meine Wohnung … habe ich behalten und die Wochenenden dort verbracht.
Mein Auto … war kein Problem – ich habe keines.
Im Garten. Es war März, und da stand ich nun in dem von einer übermannshohen Klostermauer eingefassten Brachland und sah – außer Wildkräutern und ein paar kleinen, sporadisch beackerten Beeten vor allem Brombeer-Dickichte. Ich zog Arbeitshandschuhe an und legte los, meine Vision vor Augen. Acht Monate lang kein Computer! Ich war selig. Sonst verbringe ich meine Tage meist vor dem Bildschirm, die Arbeit unter freiem Himmel war eine Befreiung für Geist und Körper. Anfangs erkennst du zwar kaum Fortschritte, da liegen die neu angelegten Beete noch unbepflanzt im Nieselregen, während man Dreck schaufelt. Aber nach den ersten Aussaaten und Pflanzaktionen sah ich fast jeden Tag, wie dieses Stück Land zu einem Garten wurde.
Ich komme aus einem Beruf, in dem ich gewohnt bin, unter Druck, mit hohem Tempo zu arbeiten. In einem Garten geht das nicht. Du kannst die Jahreszeiten nicht anschieben, keinen Regen herbeisingen, und du kannst auch nicht fünf Beete hintereinander jäten, da stieß ich rasch an Grenzen, besonders als zwei Meter großer, damals 58 Jahre alter Kerl. Ich hatte durch meinen Bürojob schon einige Wehwehchen angesammelt. Verspannungen im Unteren Rücken, zu schwache oder verkürzte Muskeln, ein Unfallknie, … Trotzdem machte ich mich mit meinem gewohnten „journalistischen“ Tempo an die Arbeit.
Das erste, was sich meldete, war das Knie. Du arbeitest im Garten ja ständig am Boden. Trotzdem machte ich weiter, trieb mich selbst an: „Ich habe den Leuten hier mein Wort gegeben, jetzt muss ich auch liefern.“ Das war selbst erzeugter Druck, den ich aus meiner Biografie und meinem Beruf mitgebracht hatte. Als nach den Eisheiligen, Mitte Mai, rund 1.000 Setzlinge in die Erde mussten – Salate, Kohlrabi, Paprika, Kürbisse, Zucchini, Grünkohl, Sellerie, Lauch – ging plötzlich gar nichts mehr. Ich konnte nur noch humpeln, und fast wäre meine Vision nach nur zwei Monaten bruchgelandet. Da hatte ich eine echte Krise. In der Not reisten Freunde, Verwandte und sogar Kollegen aus dem Funk an, legten die letzten, noch fehlenden Beete an und pflanzten die Setzlinge, denn damit kann man nicht warten, sonst sind sie alle hinüber. Meine Freunde haben das Projekt gerettet, der Garten ist das Werk vieler Menschen. Ich selbst konnte die Arbeiten wochenlang nur überwachen. Das Knie wurde schließlich besser – so, dass ich wieder arbeiten konnte.
Die Erkenntnis, mit Druck und Tempo nichts erzwingen zu können, war ein Schlüsselerlebnis für mich. Und es war gut, dass ich an einem spirituellen Ort war. Der mittelalterliche Kreuzgang wurde mir ein wichtiger Lehrmeister. Da sah man die verschiedenen Bauphasen nebeneinander: Frühgotik, Hochgotik, Spätgotik. Alles hier war langsam gewachsen, von Menschen gebaut, die zwar täglich harte Arbeit, aber keine Hektik kannten. Deren langen Atem nahm ich mir zum Vorbild.
Mein Tagesablauf war schlicht. Ich stand im Morgengrauen auf, übte Yoga im Meditationsraum des Klosters, als Ausgleich für die Plackerei im Garten, und begann noch vor dem Frühstück mit der Arbeit. Im Hochsommer meist schon um sechs, halb sieben Uhr, weil die Nachmittage mit teils 40 Grad im Schatten unerträglich waren. In Pausen habe ich mich zu einer Siesta in mein Zimmer zurückgezogen und den Rücken entspannt, Tagebuch geschrieben oder mit einem Bierchen in den Garten gesetzt, oder ich habe mich mit den Mitgliedern der kleinen Gemeinschaft unterhalten, deren Teil ich jetzt war. Abends ging ich manchmal in die leere Kirche, dort steht die älteste Statue des Heiligen Franziskus nördlich der Alpen. Mit ihm habe ich oft Zwiesprache gehalten. Ich bin zwar kein Christ, ich neige mehr dem Buddhismus zu, aber die spirituelle Haltung des Franziskus spricht mich an. Sein tiefer Respekt vor der Natur und allen Mitgeschöpfen ähnelt der Haltung des Dalai Lama …
Meine Lebensgefährtin packte immer wieder mit an. Sie ist genauso begeistert wie ich bei der Gartenarbeit – und sehr geschickt. Es war schön, diese Erfahrung zu teilen und darüber sprechen zu können. Der Garten ist ganz nah an der Schöpfung, täglich erlebte ich, wie Leben entsteht, gedeiht, vergeht und zu Erde zurückkehrt, um im Jahr darauf von neuem zu gedeihen. Seltene Insekten wie Taubenschwänzchen umschwirren Dich in so einem Bio-Garten, Laufenten jagen nach Schnecken und knabbern am Salat, Katzen lauern auf Mäuse, zwei Hasen hoppeln gemächlich in ihrem Gehege – und natürlich wachsen überall Pflanzen, vom Radieschen bis zum Kirschbaum. Wir haben damals 80 verschiedene Gemüse-, Blumen- und Kräutersorten gepflanzt. Himbeeren, Grünkohl, Mangold und höllenscharfe Habanero-Chilies lagen mir besonders am Herzen. Ich mag aber auch die Quittenbäume aus der Zeit der Mönche, die reich tragen, 70 Kisten – etwa 200 Kilo – haben wir geerntet.
Gartenarbeit ist sehr sinnlich: alles riecht und schmeckt, man ist Sonne, Hitze, Nässe, Kälte voll ausgesetzt, aber du bist dein eigener Herr da draußen. Es ist eine anregend komplexe, sehr vielseitige Arbeit mit klaren Aufgaben, die dem Reiz des Journalismus in nichts nachsteht. Draußen, auf dem Neckar, hinter der Klostermauer, tuckert ab und zu ein Frachtkahn vorbei. Ansonsten ist da nur der Himmel über dir. Ein heilsamer Ort.
Trotzdem bin ich am Wochenende gern nach Hause gefahren. Die ganze Zeit im Kloster zu wohnen, hätte mir nicht so gefallen. Aber wenn ich am Montag wieder ankam und der Garten gut dastand, wusste ich: Hier ist dein Platz, hier gehörst du her. Morgens schon fährst du den vollen Erntewagen zur Klosterküche und weißt, mittags wird einiges davon auf deinem Teller liegen. Ich habe die tiefe Befriedigung erlebt, als Mensch selbst Nahrungsmittel zu produzieren. Als mir ein Mitarbeiter und ehemaliger Mönch sagte, jetzt sei der Garten sogar noch vielfältiger und schöner wie früher, war ich erfüllt und glücklich wie selten.
Der Garten wurde zum lohnendsten Projekt meines Lebens, noch vor meinen beruflichen Erfolgen als Journalist. Auch, weil es Probleme gab, nicht nur mit dem Knie. Manche Saaten gehen nicht oder kaum auf, da kannst du nichts machen. Immer wieder macht man Fehler – zu früh gepflanzt, zu wenig gegossen, zu viel gedüngt, Pflanzen werden welk und krank… In einem Garten kannst du keine Arroganz entwickeln im Sinne von „Hey, das alles hier habe ich geschaffen“, weil so viele Faktoren mitspielen, die man nicht kontrollieren kann. Es war auch eine Lektion in Bescheidenheit.
Wieder im Job. Die Rückkehr in den Beruf war knochenhart. Da saß ich wie früher im Kunstlicht von Sitzungsälen, kluge Köpfe redeten über Sendungen, Konzepte, Entwicklungen, aber mir war alles herzlich egal. Monate lang hatte ich mir ganz andere Gedanken gemacht: Wie wird das Wetter heute? Wie geht’s dem Salat? Soll ich die Kohlrabis doch heute abend schon gießen? Ich fühlte mich fremd in meiner eigenen Redaktion, und dieses Gefühl ließ nur langsam nach. Aber dann merkte ich, dass ich mit mehr Freude arbeitete als vorher. Dass ich in Konflikten nicht mehr so aufbrausend war. Meinen Perfektionismus habe ich immer noch, aber ich habe auch die deutliche Botschaft des Gartens verstanden. Jetzt gebe ich nicht mehr 120, sondern eher hundert Prozent. Ich überlaste mich nicht mehr. Das hat mich entspannter gemacht, bis heute, drei Jahre nach meiner Rückkehr. Wenn ich könnte, würde ich jedem Berufstätigen spätestens alle sieben Jahre so eine Auszeit empfehlen.