Tarifkonflikt Streik abgewendet

Im Tarifkonflikt der Metall- und Elektroindustrie haben Gewerkschaft und Arbeitgeber im traditionellen Pilotbezirk Baden-Württemberg einen Abschluss erzielt und damit einen Streik abgewendet.

Die am Donnerstagmorgen nach fast 16-stündigen Verhandlungen erzielte Einigung sieht Einkommenserhöhungen um 2,2 Prozent ab 1. März dieses Jahres und um 2,7 Prozent ab 1. März 2005 bis Ende Februar 2006 vor. Der Tarifvertrag gilt rückwirkend ab Januar und hat damit eine Laufzeit von 26 Monaten. Zugleich vereinbarten die Tarifparteien betriebliche Möglichkeiten für Arbeitszeitverlängerungen, denen die Gewerkschaft zustimmen muss, wenn dadurch Arbeitsplätze gesichert werden. Mit ihrer weiter gehenden Forderung nach Optionen zur Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit von 35 auf bis zu 40 Wochenstunden auch ohne Lohnausgleich und Zustimmung der Gewerkschaft konnten sich die Arbeitgeber nicht durchsetzen.Die 35-Stunden-Woche im Westen bleibt gemäß der Gewerkschaftsforderung Regelarbeitszeit.

Arbeitgeberverband und IG-Metall empfehlen Übernahme

Sowohl der Arbeitgeberverband Gesamtmetall als auch der IG-Metall-Vorstand empfahlen den anderen Tarifbezirken die Übernahme des Südwest-Abschlusses, der damit Pilotcharakter erhält. Am Nachmittag kommt die große Tarifkommission der IG Metall in Baden-Württemberg zusammen, die dem Abschluss noch zustimmen muss. Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser sagte nach den Verhandlungen, die Arbeitgeber hätten ihre Forderung nach Arbeitszeitverlängerungen auch ohne Lohnausgleich nur unter der Gefahr durchsetzen können, damit „verbrannte Erde“ bei der IG Metall zu hinterlassen. Die nun getroffene Vereinbarung gebe den Betrieben zusätzliche Spielräume für Kostensenkungen. Nach drei Jahren wollen die Tarifparteien eine Bilanz der Regelung ziehen.

Keine höheren Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich

IG-Metall-Chef Jürgen Peters sagte: „Wir haben die Absicht der Arbeitgeber durchkreuzt, die Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich zu erhöhen.“ Dazu habe auch die hohe Beteiligung der Belegschaften an den Warnstreiks beigetragen. Ein Streik hätte wegen der Zulieferstrukturen vor allem die Automobilindustrie getroffen. In dem seit Dezember andauernden Tarifstreit hatten Tausende Metaller in den vergangenen zwei Wochen mit Warnstreiks bundesweit den Druck auf die Arbeitgeber erhöht.

Aber Mehrarbeit ohne Überstundenzuschläge

Im einzelnen sieht der Kompromiss vor, dass bei besonders qualifizierten Belegschaften der bisher geltende Anteil, der bis zu 40 Stunden in der Woche arbeiten darf, von 18 auf bis zu 50 Prozent erhöht werden kann. Überdies kann für einzelne Arbeitnehmer-Gruppen oder Betriebsteile die Arbeitszeit auf bis zu 40 Stunden in der Woche verlängert werden, ohne dass Überstundenzuschläge anfallen.

Neue Vertrauensbasis zwischen den Tarifparteien

Der Verhandlungsführer der regionalen Arbeitgeber, Otmar Zwiebelhofer, bezeichnete den Lohnabschluss als eine „gewisse Last“, der aber die gewonnenen betrieblichen Spielräume gegengerechnet werden müssten. „Die Tarifparteien wachen über betriebliche Abweichungen von Tarifnormen.“ Die Gewerkschaft habe sich aber verpflichtet zuzustimmen, wenn dadurch in einem Betrieb die Beschäftigung nachhaltig gesichert oder verbessert werden könne. „Anders ausgedrückt, jetzt läuft mehr in den Betrieben. Die IG Metall bleibt im Boot, hat sich aber verpflichtet, mit uns in die gleiche Richtung zu rudern.“ Damit gebe es eine neue Vertrauensbasis zwischen den Tarifparteien.

Tarifautonomie stand auf dem Prüfstand

IG-Metall-Verhandlungsführer Jörg Hofmann sagte: „Wir stellen dadurch unter Beweis, dass die Tarifautonomie kein starres Gebilde ist.“ Die Tarifrunde hatte als Nagelprobe dafür gegolten, ob die Tarifparteien die von der Politik geforderte Öffnung von Flächentarifverträgen ohne Eingriffe des Gesetzgebers erreichen können. Am Rande der sechsten Verhandlungsrunde in Pforzheim hatte der Vorstand von Gesamtmetall unter Leitung von Kannegiesser getagt, um über Möglichkeiten einer Übernahme in anderen Regionen zu beraten. Gleichzeitig hielt sich im 60 Kilometer entfernten Baden-Baden der Bundesvorstand der IG Metall über den Verhandlungsstand auf dem Laufenden.

Die IG Metall war mit der Forderung nach vier Prozent höheren Einkommen für die insgesamt 3,4 Millionen Beschäftigten der Branche in die Tarifverhandlungen gegangen. Die Arbeitgeber hatten ursprünglich in zwei Stufen je 1,2 Prozent angeboten.

Jan Christoph Schwartz/Reuters

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