Die Bundesregierung hat privaten Krankenversicherungen gezielte Desinformation bei massenhaft verschickten Protestbriefen gegen die Gesundheitsreform vorgeworfen. Auch mehrere SPD-Bundestags- abgeordnete erhoben am Dienstag schwere Vorwürfe. Hintergrund ist eine Protestaktion, die der Verband der privaten Krankenversicherung (PKV) eingefädelt hatte. Tausende Briefe von besorgten Privatversicherten gingen daraufhin bei Bundestagsabgeordneten ein.
Die Vorwürfe zielen darauf ab, dass private Versicherungsunternehmen bei der Aktion Unterschriften gefälscht haben sollen. Als Absender genannte Versicherte sollen von den Briefen nichts gewusst haben. Die PKV sprach von möglichen "Einzelfällen" und sicherte Aufklärung zu.
Wicklein: "Eine große Sauerei"
Die SPD-Abgeordnete Andrea Wicklein sagte, unter den über 100 in den vergangenen Tagen eingegangenen Schreiben von Privatversicherten seien Briefe, "in denen offensichtlich sogar die Unterschriften der eigenen Versicherten gefälscht wurden". Nach der Beantwortung aller Schreiben habe sich eine Privatversicherte aus Potsdam an ihr Büro gewandt und mitgeteilt, kein Protestschreiben gesandt zu haben. "Die eigenen Versicherten ohne deren Zustimmung für die Lobby-Politik der privaten Krankenkassen zu missbrauchen und sogar deren Unterschriften zu fälschen, ist eine große Sauerei", sagte Wicklein. In mindestens zwei Fällen seien die Unterschriften der Versicherten "augenscheinlich identisch" gewesen.
Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hatte berichtet, dass ein an den SPD-Abgeordneten Frank Schmidt gerichteter Protestbrief die Adresse eines Freundes trug, der davon auf Nachfrage nichts wusste.
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Verband der privaten Krankenversicherungen (PVK)
www.pvk.de
Außendienstmitarbeiter privater Krankenkassen seien angehalten worden, ihre Kunden aufzusuchen und selbst bei Kundenbesuchen aus anderen Anlässen auf die Protestaktion aufmerksam zu machen, erklärte der parlamentarische SPD-Gesundheitsstaatssekretärin Marion Caspers-Merk. Die Versicherten wüssten dabei oft gar nicht, was sie tun. Alle Abgeordneten seien im "dreistelligen Bereich" mit Standardbriefen gegen Reformdetails versorgt worden. Caspers-Merk warf privaten Krankenversicherungen zudem "gezielte Desinformation" vor. Die SPD-Gesundheitsexpertin Marlies Volkmer sprach von einem "skandalösen" Verhalten.
PVK: "Diese Aktion ist sauber"
Der Direktor des Verbands der privaten Krankenversicherungen (PVK), Volker Leienbach, sagte: "Wenn wir Kenntnis von Unregelmäßigkeiten erlangen, werden wir der Sache nachgehen." Bei den Briefen gehe es nicht darum, Widerspruch gegen die Reformpläne zu wecken, sondern vorhandene Fragen aufzuklären. "Diese Aktion ist sauber", sagte Leienbach. "Ich kann aber nicht ausschließen, dass es in Einzelfällen zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist."
Nach bestätigten Angaben des "Spiegel" hatte der PKV-Verband den Vorständen der Mitgliedsunter- nehmen einen "Organisationsplan Protestaktion" vorgestellt, der auf "Widerstand gegen die Pläne der Bundesregierung" und "große Unruhe in den Fraktionen" abzielte. Hunderte Briefe seien zwar per Hand verfasst worden, aber teils mit ähnlichen Handschriften, berichtete das Magazin weiter.
Die PKV hatte vor erheblichen Prämiensteigerungen als Folge der neuen Wechselmöglichkeiten zwischen den Privatkassen und der Rückkehrmöglichkeit auch armer Nichtversicherter gewarnt. Caspers-Merk wies dies abermals zurück. "Ich habe noch nie gehört, dass es für alle teurer wird, wenn man den Wettbewerb verstärkt." Der Verband hält die Pläne auch für verfassungs- widrig, kann aber nicht selbst beim Bundesverfassungsgericht klagen.