Volkswagen geht schwierigen Zeiten entgegen, doch die Chefs bemühen sich um business as usual. Als der Vorstandsvorsitzende Oliver Blume mit seinem Finanzchef Arno Antlitz am Donnerstag die Geschäftszahlen für das erste Halbjahr vorstellten, da lautete ihre Botschaft: alles im Griff. Obwohl die Nachfrage nach den Autos des Konzerns teilweise eingebrochen ist, was sich aus den Bestellungen für die zweite Jahreshälfte ablesen lässt, blieben die Manager bei ihren Finanzzielen für das Gesamtjahr. Diese Ziele, nach denen der Konzern vor allem deutlich profitabler werden soll, will der Vorstand einhalten. Und das, obwohl gleichzeitig das Absatzziel etwas gesenkt wurde: Mindestens 9,5 Millionen Autos wollte VW bislang im Jahr verkaufen – mindestens 9 Millionen sollen es jetzt sein.
Wie das gelingen soll, weniger verkaufen aber mehr verdienen? Der Konzern baut auf zweierlei: Zum einen auf die begonnenen Sparprogramme, insbesondere bei der Kernmarke mit dem VW-Logo: "Wir müssen und werden die ersten Ergebnisse dieser Programme schon im zweiten Halbjahr einfahren", sagte Antlitz. Das bedeutet wahrscheinlich nichts Gutes für die Arbeitnehmer in den VW-Werken. Denn künftig will VW die Produktion in den Fabriken schneller herunterfahren, wenn die Nachfrage sinkt. Man verhandle gerade über die "Werkbelegung", berichtete Blume. "Was wir nicht tun, ist mehr Autos auf Halde zu produzieren". In den Werken in Zwickau und Emden, wo Volkswagen E-Autos wie ID.3, ID.4, ID.5 und den nagelneuen ID.7 herstellt, hat der Konzern bereits Schichten gestrichen und lässt befristete Verträge oder solche mit Leiharbeitern auslaufen.
Das könnte in Zukunft auch das Stammwerk in Wolfsburg betreffen, wo eigentlich ab Herbst ebenfalls E-Autos der ID-Reihe produziert werden sollten. Im Grunde ergibt die recht kostspielige Operation in Wolfsburg zumindest kurzfristig nicht mehr viel Sinn, wenn schon die ID-Produktion in Zwickau nicht ausgelastet ist. Andererseits aber wäre es für die Landesregierung in Niedersachsen als VW-Großaktionär und die mächtige Arbeitnehmerschaft wahrscheinlich eine Provokation, würde Blume jetzt Abstriche in Wolfsburg ankündigen. Wie es mit den Plänen weitergeht, könnte ein Indikator dafür sein, wie groß die Not tatsächlich ist.
Nothilfe von außen
Als zweiten Grund, warum er glaubt, die Ziele noch erreichen zu können, verbreitet Oliver Blume die Erwartung, dass der Nachfrageeinbruch nicht ganz so schlimm werde: "In den letzten Wochen sehen wir eine leicht positive Entwicklung unserer Bestelleingänge", sagte er. Zuvor war aus dem Konzern zu hören, dass die Bestellungen zum Beispiel für E-Autos in Deutschland um 50 Prozent eingebrochen seien. Besonders die europäischen Automärkte sind allgemein schwach, dazu kommt das schlecht laufende China-Geschäft. China ist der wichtigste Markt für das Unternehmen.
Den Problemen in China will VW nun begegnen, indem sich der Konzern Nothilfe von außen holt: Am Mittwoch schon hat der deutsche Konzern eine Kooperation mit dem chinesischen E-Autobauer Xpeng vermeldet. Xpeng soll maßgeblich dabei helfen zwei neue VW-Elektroautos zu entwickeln. Die ID-Modelle auf der VW-konzerneigenen Plattform MEB kommen im chinesischen Markt schlecht an. Sie werden teilweise als rückständig gegenüber chinesischen Autos wahrgenommen und sind außerdem in der Produktion vergleichsweise teuer. Das führt dazu, dass der langjährige China-Marktführer VW sich im scharfen Wettbewerb mit den einheimischen Herstellern und mit E-Autopionier Tesla sehr schwertut.
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Indem die Deutschen jetzt so schnell eine strategische Kehrtwende vollziehen, dokumentieren sie, dass sie den chinesischen Markt nicht kampflos aufgeben wollen. Gleichzeitig ist diese Kehrtwende ein Eingeständnis des Scheiterns mit dem MEB und verfestigt die neuen Verhältnisse beim Technologietransfer: Früher haben Chinesen beim Autobau von westlicher Technik profitiert, jetzt muss sich VW an chinesischem Know-how bedienen, um im Markt noch eine Chance zu haben. Und das ist teuer. Ungefähr 700 Mio. US-Dollar gibt der deutsche Konzern für einen knapp fünfprozentigen Anteil an Xpeng aus.
Bei alldem scheinen die Zahlen aus dem ersten Halbjahr auf den ersten Blick gar nicht so schlecht zu sein: Der Umsatz stieg um 18,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum auf gut 80 Mrd. Euro (wenngleich sich das Wachstum zwischen April und Ende Juni schon stark verlangsamt hat), ebenso die Absatzzahlen (außer in China). Das operative Ergebnis allerdings ist um 14 Prozent auf 11,35 Mrd. Euro zurückgegangen, dafür aber macht das Unternehmen vor allem ungünstig verlaufene Rohstoffsicherungsgeschäfte verantwortlich, diese "Bewertungseffekte" hätten 2,6 Mrd. Euro Gewinn gekostet.
Schwache Rendite
Die noch einigermaßen soliden Zahlen relativieren sich aber, wenn man bedenkt, dass VW im ersten Halbjahr noch von zwei Umständen profitiert hat, die im zweiten Halbjahr kaum mehr wirken werden: Es gab einen Auftragsstau, weil wegen der Teileknappheit besonders bei Chips viele Kunden lange auf ihre Bestellungen aus dem Jahr 2022 gewartet haben, die nun abgearbeitet wurden. Und der Konzern profitierte auch noch einmal davon, dass er wegen der Knappheit besonders hohe Preise verlangen konnte, beziehungsweise schwerpunktmäßig besonders profitable Versionen und Modelle gefertigt hat. Das alles wird laut Marktprognosen und auch laut früheren Einschätzungen Blumes im zweiten Halbjahr nicht mehr so stark wirken. Im Gegenteil: Gerade im E-Auto-Segment beginnen jetzt – angeführt unter anderem von Tesla – Preiskämpfe, denen VW sich kaum entziehen kann.
Und so bleibt – trotz noch positiver Umstände – der Eindruck, dass VW relativ unprofitabel ist. 7,3 Prozent operative Umsatzrendite meldet der Autobauer für das Halbjahr. Das reine Automobilgeschäft liegt sogar knapp unter 7 Prozent. Das Ziel für die Konzernrendite, das Blume und Antlitz ausgegeben haben liegt hingegen zwischen 7,5 und 8,5 Prozent. VW relativiert die magere Konzernrendite zwar unter Hinweis auf den negativen Effekt der Rohstoffabsicherungsverträge. Doch beim Konkurrenzvergleich bleibt die Profitabilität das größte Manko bei VW.
Am Tag zuvor hatte der Konkurrent Stellantis seine Zahlen vorgelegt, das Konglomerat, zu dem Marken wie Peugeot, Citroen, Fiat, Opel, Jeep und Chrysler gehören. Und dessen Konzernrendite ist fast doppelt so hoch wie die von Volkswagen. Und im allgemein mauen Europageschäft schaffte es Stellantis immerhin seine Profitabilität auf 10,7 Prozent zu steigern. "Stellantis ist weit entfernt von dem, was Sie schaffen", hielt Deutsche-Bank-Autoanalyst Tim Rokossa dem VW-Management vor. "Ihnen fehlt eine wettbewerbsfähige Kostenstruktur." Würden sich die VW-Chefs an Stellantis orientieren, hieße das allerdings auch, dass sie die Auslastung der Werke wie diese noch sehr viel deutlicher runterfahren müssten. Mit den entsprechend negativen Folgen für die dort Arbeitenden.
Hinweis der Redaktion: Dieser Text erschien zuerst bei "Capital".