Für Jan Moir war es das ganz normale Tagesgeschäft: Als Kolumnistin der britischen und überaus rechtslastigen Boulevardzeitung schrieb sie sich am Freitag, einen Tag vor dem Begräbnis des Boyzone-Sängers Stephen Gately, ihre Zweifel über den Lebensstil des homosexuellen Mannes von der Seele.
Gately war in der vergangenen Woche in einem Appartement auf Mallorca von seinem Lebenspartner tot aufgefunden worden. Forensische Untersuchungen fanden Wasser in seiner Lunge, sein Herz setzte plötzlich aus. Hinweise auf übermäßigen Drogengenuss oder andere Einwirkungen gab es nicht.
Dunkle Mächte
Das war kein Grund für die "Daily Mail"-Journalistin, nicht doch dunkle Mächte hinter dem Tod Gatelys zu vermuten. Das Ableben des "Schwulen-Aktivisten", wie sie Gately nennt, lasse "unter dem Deckmantel des glitzernden, hedonistischen Lebensstils der Berühmten einen sehr viel gefährlicheren Hintergrund heraussickern." Die Umstände des Todes müssten unbedingt aufgedeckt werden, man dürfe diese Sache nicht auf sich beruhen lassen - schon allein, um andere "beeinflussbare junge Männer" vom "falschen Weg" abzubringen.
Besonders regte sich Moir darüber auf, dass Gately und sein Lebenspartner einen jungen Mann aus einem Nachtclub mit nach Hause gebracht hatten. Der hat nach allen Untersuchungen mit dem Tode Gatelys nichts zu tun. Doch Moir postulierte, dass dieser Umstand dem "fröhlichen Bis-ans-Ende-aller-Tage-Mythos der zivilen Partnerschaft einen erneuten Schlag versetzt hat."
So weit, so normal. Moir hat noch nie ein Blatt vor den Mund genommen - und ihre Wut richtet sich vor allem gegen Menschen, die nicht dem Idealbild der konservativen Kleinfamilie entsprechen. Sie fordert Zwangssterilisationen für Mütter, deren Kinderschar in Pflege genommen wurden, und nennt das ehemalige Boxenluder Katie Price ein Produkt aus "dem Hurenhaus der Berühmtheiten". Es gibt tausende Leser der "Daily Mail", die genau diese Aussagen von Moir lieben.
Doch diesmal lief alles anders. Kaum war Moirs Artikel erschienen, erhob sich die Internetgemeinde. Stephen Fry, Schauspieler und Lieblings-Brite vieler Briten, postete einen Hinweis auf Moirs Kolumne: "Ein abstoßender Niemand hat in einer Zeitung, mit der jeder mit einem gewissen Anstand noch nicht einmal tot erwischt werden will, etwas Abstoßendes und Inhumanes geschrieben."
Fry ist einer der fleißigsten Twitterer des Königreiches. Er hat über 860.000 Anhänger, die nun alle begannen, nach dem Artikel zu suchen, und ihn immer weiter verlinkten. Andere Kolumnisten stiegen in die Debatte ein. So schrieb Charlie Brooker in der Zeitung "Guardian": "Ich habe Moirs Kolumne vor 20 Minuten gelesen und bin immer noch dabei den reinen Umfang ihrer hasserfüllten Idiotie zu begreifen."
Innerhalb von Stunden wurde das Thema #janmoir zu einem Hit auf Twitter, weit über tausend Kommentare wurden auf der Internetseite der "Daily Mail" unter das Stück von Moir gestellt, bevor die Zeitung die Kommentarfunktion schließen musste. Es half nicht, dass Moir inzwischen in die Offensive ging und behauptete, sie sei sowieso schon immer eine Freundin aller Schwulen gewesen und werde nun von einer "orchestrierten Internetaktion" gemobbt. Fry attestierte ihr daraufhin per Twitter eine "erstaunliche Unwissenheit über soziales Netzwerken".
Aufregung verwandelt sich in politische Frage
Bis heute erreichten mehr als 21.000 Beschwerden die Press Complaints Commission, die im Auftrag der Zeitungsindustrie die Medienberichterstattung Großbritanniens überwacht. Und dort erkannte die Internetgemeinde schnell ein Problem: Der Vorsitzende der sich selbst regulierenden Kommission ist - Paul Dacre, Chefredakteur eben der Zeitung, die Moirs Kolumne veröffentlichte.
Und so verwandelte sich die Aufregung über Moirs Kommentar in die politische Frage, ob die britische Presse anders reguliert werden sollte. "Wo ist der Obersturmgruppenführer Dacre während der Sturm sein Blatt umwirft?", fragte Alistair Campbell, ehemals rechte Hand des Premiers Tony Blair, in seinem Blog. Andere verlangen nun, dass die Kommission endlich wirklich unabhängig werden muss. Die hat inzwischen immerhin eingeräumt, dass sie den Beschwerden nachgehen werde, auch, wenn sie nicht, wie sonst verlangt, von Angehörigen des Betroffenen eingereicht wurden.
Die "Daily Mail" hat bis heute keine Entschuldigung veröffentlicht, dafür jedoch eine zweite Kolumne. Janet Street-Porter schreibt darin über Ian Baynham, der in der vergangenen Woche von Jugendlichen mitten in London zusammengeschlagen wurde und starb. Sie hatten ihn zunächst mit homophoben Ausdrücken beschimpft und dann angegriffen. Niemand half. Hass-Attacken gegen homosexuelle Menschen haben im vergangenen Jahr in London um 20 Prozent zugenommen. Street-Porter schreibt: "Schwul zu sein hat in den vergangenen Tagen einen Mann getötet - aber das war nicht Stephen Gately."