Der sächsische Justizminister Geert Mackenroth schließt trotz der Flucht von Mario M., dem Angeklagten im Stephanie-Prozess, seinen Rücktritt vorerst aus. Sollten sich aber im Laufe der Untersuchung Dinge ergeben, für die er als Minister die politische Verantwortung trage, gelte der Grundsatz, dass er nicht an seinem Stuhl klebe, sagte Mackenroth auf einer Pressekonferenz in Dresden. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Dresden, Ulrich Schwarzer, stimmte dem zu.
20 Stunden auf dem Dach
Der 36 Jahre alte Angeklagte hatte 20 Stunden lang Polizei und Justiz in Atem gehalten, indem er auf einem zehn Meter hohen Flachdach ausharrte. Der zweite Verhandlungstag im Prozess gegen Mario M. wurde abgebrochen, ein Amtsarzt hatte den 36-Jährigen für verhandlungsunfähig erklärt. Danach vertagte das Gericht den Prozess auf den 21. November. Ursprünglich war für Donnerstag die Vernehmung von Stephanie als Zeugin vorgesehen. Ihr Vater hatte jedoch erklärt, nach der Flucht des Angeklagten aufs Gefängnisdach sei ihre Sicherheit nicht gewährleistet.
Sprung wäre tödlich gewesen
Vor Journalisten gab Landespolizeipräsident Klaus Fleischmann neue Einzelheiten des Nervenkriegs mit dem Gefangenen auf dem Dach bekannt. Mario M. drohte demnach, sich vom Dach zu stürzen, falls die Polizei ihn zu fassen versuchte. Er habe am äußersten rechten Rand gesessen. Ein Sprung wäre tödlich gewesen, denn Mario M. wäre auf einen aufgespitzten Zaun gefallen.
Die Motive für sein Handeln seien nur sehr schwer einzugrenzen, sagte der Polizeipräsident. "Offensichtlich hat er sich sehr wohl gefühlt und das Medieninteresse genossen." Es sei ihm vermutlich darum gegangen, zu verhindern, dass Videoaufnahmen seiner sexuellen Misshandlungen des 13-jährigen Mädchens im Prozesses vorgeführt würden und das Verfahren geordnet weitergehe, betonte Fleischmann.
Das Gefängnis hat auf die Kletteraktion beim Hofgang mit verschärften Sicherheitsbestimmungen reagiert. Mario M. darf seine Zelle nur noch in Handschellen und Fußfessel verlassen, wie Schwarzer erklärte. Voraussetzung dafür sei eine entsprechende Anordnung des Landgerichts, die beantragt worden sei. Der Hof wurde für gefährliche Straftäter gesperrt.
"Peinliche Bilder"
Mackenroth sagte, ihn hätten die "peinlichen Bilder" bewegt, und er könne die Erregung der unmittelbar Beteiligten darüber verstehen. Mario M. habe die Justiz an der Nase herumgeführt und das Opfer verhöhnt. "Das ist ein peinlicher Vorgang für die Justiz." Es sei gerechtfertigt, von einer Panne zu sprechen. Der Vorfall tue ihm außerordentlich Leid, sagte der CDU-Politiker. Er bedauere es, wenn sich die Traumatisierung des Opfers dadurch verstärkt hätte.
Mackenroth betonte jedoch, die entscheidenden Vorschriften seien eingehalten worden. Auch könne er Vorwürfe gegen die Bediensteten derzeit nicht erheben. Er sprach von einem bedauerlichen Einzelfall, der zum schlechtestmöglichen Zeitpunkt eingetreten sei. Die bauliche Situation aller neuen Justizvollzugsanstalten in Sachsen würde jetzt überprüft, um mögliche Nachahmungstäter abzuschrecken.
Mario M. muss sich wegen Vergewaltigung, Geiselnahme, Kinderpornografie und anderer Straftaten vor dem Dresdner Landgericht verantworten. Er hatte zu Verhandlungsbeginn gestanden, die damals 13 Jahre alte Schülerin Stephanie Anfang des Jahres entführt und wochenlang sexuell misshandelt zu haben.