Bundeswehr-Video Warum ich "Motherfucker" brüllte

Ihm wurde befohlen, an Afroamerikaner in der Bronx zu denken und beim Feuern "Motherfucker" zu brüllen: Im stern.de-Interview spricht der Grundwehrdienstleistende zum ersten Mal über das Skandal-Video und den entlassenen Ausbilder.

Herr M., das umstrittene Video, das Sie bei einer Schießübung zeigt, ging um die Welt. Wie kam es zu dem Vorfall?

Das Schießtraining fand nur wenige Wochen nach meinem Grundwehrdienstbeginn am 1. Juli 2006 statt. Es war ein ganz normaler Ausbildungstag. Uns wurde gezeigt, wie wir uns im Kampfeinsatz verhalten sollen. Fürs Schießen standen wir in einem kleinen Wald. Ich habe das Maschinengewehr getragen, meine Kameraden durften mit anderen Waffen ihre Platzmunition verschießen. Ich habe dann den Ausbilder gefragt, ob ich auch mal mit dem MG schießen darf. Natürlich, sagte er. Und dann kam es zu der Szene, die gefilmt wurde.

Funker M.

Dem ehemaligen Grundwehrdienstleistende M., 21, wurde während seiner Ausbildung befohlen, beim Schießen an Afroamerikaner in der Bronx zu denken und "Motherfucker" zu rufen. Er wurde dabei gefilmt, das Video tauchte im Internet auf. Der Ausbilder wurde wegen des Vorfalls entlassen. M. möchte mit seinem Namen nicht in den Medien erscheinen.

Was haben Sie in dem Moment gedacht?

Ich habe gar nicht großartig drüber nachgedacht. Ich bin gedanklich nicht richtig auf das eingegangen, was er gesagt hat.

Sie haben aber verstanden, dass er ihnen befohlen hat, auf Afroamerikaner in der Bronx zu schießen?

Ich habe zwar nicht gut gehört, weil ich Stöpsel in den Ohren hatte. Aber ich habe den Wortlaut schon mitbekommen. Doch habe ich in dem Moment nicht darüber nachgedacht, was er da eigentlich gesagt hat.

Warum haben Sie den Befehl ausgeführt?

Als Grundwehrdienstleistender habe ich Befehle zu befolgen. Und ich habe wie gesagt nicht über den Inhalt nachgedacht.

Aber Sie lachen, während er den Befehl gibt. Fanden sie die Szene lustig?

In dem Moment ja. Ich fand aber nur lustig, dass ich "Motherfucker" schreien sollte.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Haben Sie beim Feuern tatsächlich an Afroamerikaner gedacht?

Nein, absolut nicht. Es war für mich nur ein Befehl. Eine willkürliche Szene. Ich habe nichts gegen Ausländer, ich habe einige dunkelhäutige Freunde.

Wer hat das Video gefilmt?

Keine Ahnung. Ich weiß, dass jemand neben uns stand. Aber wir waren alle getarnt. An der Übung waren insgesamt ungefähr 20 bis 30 Leute beteiligt. Mitbekommen haben die fragliche Szene aber nur der Ausbilder, die Person, die den Film gedreht hat, und ich. Alle anderen Soldaten standen zu der Zeit ganz woanders.

Was geschah nach der Szene?

Die Munition war leer. Die Ausbildung ging ganz normal weiter.

Haben Sie mit dem Ausbilder über den Vorfall gesprochen?

Nein, denn ich war Grundwehrdienstleistender und habe mich nie alleine mit den Ausbildern unterhalten.

Haben Sie noch mal über die Szene nachgedacht und Ihren Kameraden davon erzählt?

Abends habe ich mit Stubenkameraden darüber gesprochen. Aber ich habe ihnen nur erzählt, dass ich am MG stand und "Motherfucker" geschrien habe. Dass ich dabei an Afroamerikaner in der Bronx denken sollte, habe ich niemandem berichtet.

Bis Januar, als die Existenz des Videos der Kasernenleitung bekannt wurde, wusste also niemand, was genau passiert ist?

Zumindest nicht von mir.

Wer hat das Video an die Kasernenleitung gemeldet?

Keine Ahnung. Das Video ist anscheinend Anfang Januar im internen Netzwerk der Bundeswehr aufgetaucht. Ich wurde bald danach vom ranghöchsten Offizier der Kaserne darauf angesprochen und verhört. Ich habe ihm meine Sicht geschildert. Damals schon gab es das Gerücht, dass der Ausbilder entlassen werden soll.

Und wie kam das Video ins Internet?

Anscheinend hatten sich einige Leute den Film schon auf ihre Handys kopiert. Zwar wurde uns befohlen, das Video zu löschen. In meinem Umfeld haben dies auch alle getan, denn alle hatten Angst davor, erwischt zu werden. Aber irgendjemand hat dieses Verbot missachtet. Für mich war das Thema eigentlich schon abgehakt, aber dann habe ich im März mitbekommen, dass der Film im Internet verbreitet wird. Ich habe dies am Ende meiner Bundeswehrzeit in meinem letzten Gespräch meinem Vorgesetzen berichtet.

Was haben Ihre Kameraden über den Vorfall gesagt?

Die Meinungen waren sehr verschieden. Die meisten sahen es ähnlich wie ich, dass die Szene falsch aufgefasst wurde. Andere hielten das Verhalten des Ausbilders für rechtsradikal.

Wenn Ihnen die Tragweite des Vorfall gleich klar geworden wäre: Hätten Sie den Mut gehabt, ihn den Vorgesetzten zu melden?

Ja, denn in unserer Ausbildung wurde uns schon gesagt, dass wir Verstöße gegen Bundeswehrrichtlinien melden sollen.

Der Ausbilder wurde jetzt von der Bundeswehr entlassen. War das die richtige Entscheidung?

Ich finde das absolut nicht in Ordnung. Diese Szene wurde völlig falsch interpretiert. Natürlich kann man den Befehl als eine rassistische Äußerung verstehen. Ich glaube aber, das dies weder in diesem Moment seine Absicht war, noch war er in meinen Augen rechtsradikal veranlagt. Er hat das nicht ansatzweise ernsthaft gemeint. Er war ein guter Ausbilder. Ich habe auch andere Vorgesetzte kennengelernt, aber er war der beste. Er hat uns Disziplin beigebracht und seinen Job sehr gut gemacht.

Ist Ihnen der Ausbilder vorher oder danach durch ähnliche Worte aufgefallen?

Nein, ich habe ihn zwar nur drei Monate als Vorgesetzten gehabt. Aber in der Zeit ist er meines Wissens nie rechtsradikal oder gar gewalttätig aufgefallen.

Die Bundeswehr will nun die Ausbildung von Offizieren verbessern und mehr Wert auf politische Bildung legen. Ist das Ihrer Meinung nach bisher vernachlässigt worden?

Natürlich ist die Ausbildung an der Waffe wichtig, aber während meiner Ausbildung wurde mindestens ebenso viel Wert auf eine politische Bildung gelegt. Uns wurde auch klar gemacht, dass Rechtsradikalismus nicht geduldet wird.

Haben Sie ein schlechtes Gewissen dem Ausbilder gegenüber?

Ja, weil ich so unüberlegt gehandelt habe und den Befehl einfach ausgeführt habe. Wenn ich ihn damals verweigert und den Ausbilder auf den Inhalt seiner Aussagen aufmerksam gemacht hätte, hätte er vielleicht seine Aussage zurückgenommen. Dann wäre alles nicht so weit gekommen. Der Ausbilder war schließlich auf dem Weg zum Offizier, und ich weiß, wie viel er für diese Karriere getan hat. Diese Karriere wegen dieser unbedachten Äußerungen selber zu zerstören, ist schon hart.

Interview: Malte Arnsperger