Michael Joseph und sein Onkel Joseph Brannigan müssen eine Entscheidung über Leben und Tod fällen: Bleiben sie in ihrem Apartment und warten auf Hilfe oder wagen sie die Flucht aus dem sechsten Stock durchs Treppenhaus ihres brennenden Wohnhauses in New York? Er und sein Onkel hätten sich bemüht, den hereinströmenden Rauch einzudämmen, schilderte Joseph der britischen "Daily Mail" die dramatische Situation. "Wir haben alles versucht – wir haben versucht, einen Ventilator aufzustellen. Wir haben versucht, im Badezimmer zu bleiben. Nichts funktionierte", erklärte der 32-Jährige. Der Rauch sei so dicht gewesen, dass sie nicht hätten atmen können. "So kam es zu dem Punkt, an dem ich sagte, dass wir gehen müssen. Wir müssen jetzt etwas tun, sonst werden wir hier drin sterben."
Der Anblick, als er schließlich die Wohnungstür geöffnet habe, "war das Schrecklichste, was ich je gesehen habe", erzählte Joseph der Zeitung. Sein Onkel sei ohnmächtig geworden, er selbst durch das Treppenhaus nach unten geflüchtet, "und alles, was man sieht, sind Menschen, die aufeinander herumtrampeln, Menschen, die verletzt werden, auf denen herumgetrampelt wird". Das Treppenhaus sei mit Wasser überflutet und voller Rauch gewesen. Schließlich sei er unten angekommen und habe die Feuerwehrleute hochgeschickt, um seinen Onkel zu holen.
Mindestens 19 Menschen sterben bei Wohnhausbrand in New York
Seit sechs Jahren lebte Joseph in dem 19-stöckigen Gebäude in der Bronx, das am Sonntagmorgen (Ortszeit) von einem der schwersten Brände in der neueren Geschichte New Yorks heimgesucht wurde. Mindestens 19 Menschen starben – unter ihnen neun Kinder im Alter von 16 Jahren und jünger. Und die Zahl der Todesopfer könnte noch steigen angesichts von mehr als 60 größtenteils lebensgefährlich Verletzten. Als Brandursache nannte Feuerwehrchef Daniel Nigro ein defektes elektrisches Heizgerät in einer der unteren Wohnungen.
Josephs Onkel konnte noch gerettet werden. Die Feuerwehrleute hätten ihn vor dem sicheren Tod bewahrt, berichtete Joseph Brannigan der "New York Post". "Mein Neffe sagte: 'Joey, wir müssen die Treppe hinuntergehen', und ich sagte: 'Das geht nicht, da ist zu viel Rauch im Flur. Er sagte: 'Komm schon, wir werden hier drin sterben.'" Bei dem Versuch, die Wohnung zu verlassen, habe sein Neffe seine Hand festgehalten, erinnerte sich der 61-jährige Krankenpfleger im Ruhestand. "Ich verlor seine Hand und fragte: 'Wo bist du?'" Dann sei er zusammengebrochen.
"Das nächste, was ich weiß, ist, dass die Feuerwehrleute mich in meine Wohnung schleppten", erzählte Brannigan weiter. "Die Feuerwehrleute schlugen alle Fenster ein und versorgten mich mit Sauerstoff." Dann hätten sie ihn aus dem Gebäude gebracht. Draußen hätten er und sein Neffe sich umarmt. "Wir haben die Lotterie des Lebens gewonnen, den großen Jackpot", sagte Brannigan. "Wir haben bei dem Feuer alles verloren. Wir haben alles verloren. [Aber] wir sind die reichsten Menschen der Welt, weil wir heute in der Lotterie des Lebens gewonnen haben."

Mehrere Bewohner des Hauses berichteten, dass der Feueralarm in dem Gebäude in der Vergangenheit ständig falsch ausgelöst worden sei und sie ihn deshalb ignoriert hätten. So auch Luis Rosa: Er sei vom Feueralarm geweckt worden und habe sich geärgert, weil er gedacht habe, dass es nur ein weiterer Fehlalarm sei, erzählte Rosa der Nachrichtenagentur Associated Press (AP). Als jedoch eine Benachrichtigung auf seinem Telefon erschienen sei, hätten er und seine Mutter angefangen, sich Sorgen zu machen. Dann sei bereits Rauch in seine Wohnung im 13. Stock eingedrungen und in der Ferne hätten Sirenen geheult.
Er habe die Wohnungstür geöffnet, aber der Qualm sei so dicht gewesen, dass eine Flucht unmöglich gewesen sei, erinnerte sich Rosa. "Okay, wir können nicht die Treppe hinunterlaufen, denn wenn wir die Treppe hinunterlaufen, werden wir ersticken", habe er gedacht. "Alles, was wir tun konnten, war warten." Etwa 45 Minuten habe es gedauert – vielleicht auch länger – dann habe er ein Klopfen an der Tür gehört. Es sei ein Feuerwehrmann gewesen, der Entwarnung gegeben habe.
"Ich musste mein eigenes Leben retten"
Auch Julia Fowler entschied sich angesichts des Rauchs gegen die Flucht durchs Treppenhaus und wurde gerettet. Sie habe sich mit ihrem neunjährigen Sohn im neunten Stock befunden, berichtete Fowler AP. "Ich wusste, dass es das Beste war zu bleiben." Von ihrem Fenster aus habe sie jedoch das Grauen sehen können, das sich unter ihr abspielte. "Viele Menschen wurden auf Bahren herausgetragen – eine wirklich traurige Situation."
Winter Thomas wohnte mit ihrer Mutter, ihrem Stiefvater und ihren Geschwistern ebenfalls im neunten Stockwerk. "Wir sind alle herausgekommen. Meine Freundin, ihr Mann haben es nicht geschafft. Also danke ich Gott, dass meine Familie es geschafft hat", sagte sie der Nachrichtenagentur und zeigte sich schockiert von der Zahl der Todesopfer . "Es macht keinen Sinn. Das sind Kinder, mit denen ich aufgewachsen bin, Kinder, mit denen wir zur Schule gegangen sind", sagte Thomas. Auf dem Weg nach unten seien sie Körpern ausgewichen, die auf dem Boden gelegen hätten.
Auch Aesha McKenzie hatte eine Wohnung im neunten Stock, schaffte es aber trotz des Qualms aus dem Gebäude zu fliehen, wie sie dem US-Sender ABC 7 erzählte. Sie habe nichts sehen können, aber sie habe die panische Suche von Familienmitgliedern nach ihren Angehörigen gehört. "Es ist nicht zu ertragen. Oh Gott, es ist nicht zu ertragen", klagte sie.
Sandra Clayton hörte Nachbarn im Hausflur schreien: "Raus! Raus hier!", wie sie AP erzählte. Sie habe sich ihre Hündin Mocha, eine zweijährige Malteser Shih Tzu, geschnappt und sei zur Treppe gerannt. Der Rauch habe nach fauligen Chemikalien gerochen und sei bereits dick und schwarz gewesen. Sie habe versucht, die Taschenlampe ihres Handys einzuschalten, aber zu sehr unter Schock gestanden, sagte die 61-Jährige. Da sie nichts sehen konnte, habe sie sich die Treppe hinuntergetastet. Diese sei bald mit anderen Mietern überfüllt gewesen, die übereinander gefallen seien. Panische Schreie und Weinen seien durchs Treppenhaus gehallt.
Auch sie sei mehrmals hingefallen und einmal habe sie ihren Hund losgelassen, um sich abzufangen. "Ich habe versucht, nach ihr zu tasten, aber da war so viel Rauch", berichtete Clayton AP zufolge mit brüchiger Stimme. "Ich musste mein eigenes Leben retten." Irgendwann habe sie es schließ aus dem Gebäude hinausgeschafft. "Es war so furchtbar", schilderte sie die Tortur. "Ich hatte solche Angst." Mocha dagegen habe nicht überlebt. Der Hund sei später erstickt aufgefunden worden.
Corona-Masken zum Schutz gegen den Rauch
Jose Henriquez kümmerte sich am Morgen des Brandes zusammen mit seiner Frau um zwei kleine Enkelkinder und eine Nichte, wie er der Nachrichtenagentur erzählte. Als der dunkle Rauch den Hausflur gefüllt habe, habe er die Tür fest verschlossen und den Spalt darunter mit einem nassen Handtuch abgedichtet. Dann habe er ein Fenster geöffnet um die winterliche Luft hereinzulassen. Auf einem von Henriquez gedrehten Video sei zu hören, wie die Kinder angesichts des Rauches Alarm schlagen und aus dem Fenster im zehnten Stock blicken, während die Feuerwehr zum Einsatzort eilt.
Schließlich habe sich die Familie – mit angefeuchteten Corona-Masken gegen den verbliebenen Rauch geschützt – an den heraufkommenden Feuerwehrleuten vorbeigezwängt und aufgepasst, nicht in den Wasserlachen auszurutschen. Auf dem Weg nach unten seien sie an einem Hund vorbeigekommen, der tot auf der verrußten Treppe gelegen habe.
Quellen: ABC 7, "New York Post", "Daily Mail", Associated Press