Noch 30 Minuten bis zum iPad. Die Tür zum Apple Store geht auf, schon mal zum anheizen, und die schwarzen Vorhänge werden entfernt: Unten im Laden stehen die Apple-Mitarbeiter, hübsch aufgereiht und alle in blauen T-Shirts. Sie treten auf wie Cheerleader, applaudieren, jauchzen machen die Welle, singen "Let's go Apple".
Nicht, dass die wartende iPad-Gemeinde sie sehen können, aber immerhin: Der Apple-Chor ist hinter der Absperrung zu hören. Grinsen macht sich breit. Blicke auf die Uhr nehmen zu. Richard Gutjahr, 37, extra aus München angereist, klappt seinen Campingstuhl zusammen und schultert einen Rucksack. Ein Dutzend der T-Shirt-blauen Mitarbeiter kommt heraus und bildet ein Spalier. Dann naht neun Uhr und die Plaza vor dem Apple Store erinnert an Silvester auf dem Times Square: Die Apple-Leute zählen den Countdown herunter, zehn, neun, acht ...
Die Stimmung ist heiter bis wolkig
Zwölf Stunden vorher. Es ist 21 Uhr in New York City, und vor dem Apple Store in der Fifth Avenue ist die Stimmung heiter bis wolkig. Zwischen Absperrgittern stehen, sitzen oder liegen rund zwei Dutzend Leute, und alle bibbern sie: Es ist furchtbar windig an diesem Freitagabend. Ein junger Mann aus Ungarn marschiert zu "Crate & Barrel", einem Einrichtungsgeschäft um die Ecke, und kauft sich schnell ein bisschen Wärme, zwei wollige Decken für 140 Dollar.
Auf der Fifth Avenue übernachten. Warten. Dabei sein. Und, ganz wichtig: Der erste sein! Gutjahr hält die Pole Position in der Schlange für "Reservations", und das findet er "schon ziemlich cool". Ihm folgen alle, die das iPad wie er geordert haben: online. Diese Leute haben am Samstag von neun bis 15 Uhr Vorkaufsrecht.
Gutjahr, schmales Gesicht, blaue Augen, ist als Blogger hier. Auch. Den ganzen Tag schon schreibt er, was ihm hier geschieht; der Apple Store spendiert WiFi, alle sind sie online hier draußen. Gutjahr erzählt, dass er sich das iPad am 15. März bestellt hat, dem erstmöglichen Bestelltag - seinem Geburtstag, "ich dachte, das schenke ich mir!", sagt er.
"Der Erste bin ich, ich bin am längsten hier!"
Neben seiner Schlange, gibt es eine für "Purchases", für Käufer also, die auf gut Glück hier sind. Und in der Reihe hat Platz eins inne: Greg Packer aus Huntington, Bundesstaat New York, ein kleiner Herr mit Schirmmütze, Schnauzbart und rundem Körper. "Ich warte hier seit Dienstag, sieben Uhr morgens", sagt Greg, er erzählt das jedem, der ihn fragt, und es fragen viele. Andauernd kommen Reporter vorbei, und einmal spricht jemand Richard Gutjahr an: "Du bist also der Erste hier ..." Nein, bellt Greg Packer dazwischen, "der Erste bin ich, ich bin am längsten hier!"
Packer, eigentlich im Straßenbau tätig, ist ein notorischer "Erster in der Schlange-Steher": Er wurde schon über hundertmal irgendwo zitiert, in Zeitungen, im Fernsehen, immer im Zusammenhang mit solchen Veranstaltungen. So stand er hier an dieser Stelle, als das iPhone heraus kam, er wartete über 100 Stunden, um "Number one in line" zu sein. Diesmal will er wieder ganz vorn sein, hat aber verschlafen, dass er sich besser hätte registrieren sollen. Nun hockt hier sein Konkurrent Richard Gutjahr: Der ist zwar erst seit Freitagmorgen, elf Uhr hier, aber er befindet in der besseren Schlange, und darum wird Gutjahr Samstag früh das erste iPad kaufen - wenn die Apple-Leute das Absperrband beiseite nehmen, das die Herren noch gute fünf Meter entfernt hält vom gläsernen Kubus, dem schönen Eingang des Ladens, der sich unter der Erde befindet: eine milchglasige Wendeltreppe führt hinab ins iParadies.
99,9 Prozent sind Männer
Noch drei Stunden bis zum iPad. Es ist sechs Uhr am Samstag, der Himmel über Manhattan wird hell und die Schlange vor dem Apple Store länger. Sie reicht jetzt bis zu F.A.O. Schwartz, dem berühmten Spielzeugladen, um dessen Ecke die anstehenden Leute auf die West 58. Straße geleitet werden. Die Menge besteht zu 99,9 Prozent aus Männern, im Schnitt vielleicht zwischen 25 und 35. TV-Teams haben sich aufgebaut, Übertragungswagen rattern, die großen US-Sender sind alle da: ABC, NBC oder Fox News.
Die Apple-Leute sind mit ihrem Countdown bei eins angelangt, Richard Gutjahr marschiert los, sehr bestimmt, aber nicht übereilt, doch triumphal lächelnd. Er klatscht die Apple-Leute ab, High Five!, dann geht er die breite Wendeltreppe herunter - eine kleine Kamera in der Hand, mit der er seinen Weg filmt. Gutjahr wirkt wie der Rattenfänger von Hameln, ihm folgt die Schlange, die ersten vielleicht 40, 50 Leute dürfen hinunter zum iPad, und alle halten sie ein Gerät in der Hand: Fotoapparat, iPhone, Videokamera. Dieser Moment muss für die Nachwelt fest gehalten werden. Ich! War! Dabei!
Die versammelte Weltpresse prügelt sich um das beste Bild, sie steht in Zweier- bis Dreierreihen um das Geschehen herum, Kameras kratzen am Glaskubus, alles filmt nach unten, in den Laden hinein. Und dann, vier Minuten nach neun, kommt Richard Gutjahr wieder hinauf, im Gesicht ein seliges Lächeln, wie man es von Männern sonst nur nach dem Orgasmus kennt.
"Wie fühlt sich das an?"
Gutjahr reckt sein iPad wie ein Pokal in die Höhe. Reporter keilen ihn ein: "Wie fühlt sich das an?", "zeig’ mal her!", rufen sie ihm zu. Er hält sich den Karton an die Wange, wie ein Kissen, "ich bin ganz schön müde", sagt Richard Gutjahr.
Ihm folgen weitere iPad-Käufer und weitere Jubel, die Fifth Aveneu erinnert jetzt ein bisschen an Ost-Berlin nach dem Mauerfall. Vielleicht ist das iPad so etwas wie eine elektronische Banane, Initiation in die schöne neue Welt. Das iPad ist jetzt überall zu sehen, auf den Bildschirmen der anderen Apple-Geräte, den MacBooks, den iPhones, den iSonstwas. Aus den Lautsprechern klingt Bob Marley, "Could You Be Loved". Entspannter Reggae. Hört nur keiner!
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