Nachts um halb eins klingelt auf meinem Büroschreibtisch im Keller plötzlich das Telefon. Schade, dabei war es doch gerade so gemütlich. Oben links im Bildschirm schaue ich einen DVD-Film, unten rechts bastele ich an meinen Texten. Meine Frau ist dran. Die ist Lehrerin und arbeitet inzwischen auch oft bis in die Nacht an ihren Unterrichtsmaterialien. Ihr Büro liegt im Dachgeschoss und ich soll sofort hochkommen. Ein schwerwiegendes Computerproblem.
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Mein dreckiger Schreibtisch Müssen eigentlich alle Kreativen kleine Dreckferkel sein, was die Ordnung auf ihrem Schreibtisch anbelangt? Fast scheint es so! Carsten Scheibe sammelt die "schlimmsten" Tatsachenfotos aus der ganzen Welt. Staunen, Erschrecken, Mitmachen: DreckigerSchreibtisch.de
Schnell!
Ich rase die Treppen hinauf. Oben werde ich mit diesem typischen Blick begrüßt, der aussagt, dass der PC nicht das macht, was sie will. Wofür garantiert ich verantwortlich gemacht werde. Sie zeigt mit ausgestreckter Hand auf dem Bildschirm. Da ist das E-Mail-Fenster zu sehen. Sieht doch alles ganz normal aus. Ich zucke mit den Schultern und schnaufe noch einmal durch. Und?
"Abgeschmiert! Das E-Mail-Programm ist abgestürzt." Dann beugt sie sich verschwörerisch zu mir herüber und raunt mir leise zu: "Ein Virus. Ganz sicher. Ist nämlich schon mal passiert." Sie flüstert, als ob sie das Virus hören kann. Aha. Ich lerne: Sobald ein Programm zwei Mal abstürzt, ist also ein Virus daran Schuld. Ich nutze den Task Manager, um das E-Mail-Programm zu beenden und starte es dann einfach neu. Das war es auch schon, mehr kann ich auch nicht tun. Dann erkläre ich meiner Frau, dass Viren so etwas gar nicht tun. Viren löschen Dateien oder verwandeln den Rechner heimlich in eine Spam-Schleuder. Mir ist aber noch kein Modell bekannt, dass aus lauter Gehässigkeit ein Programm abstürzen lässt. Da würde sich ja der ganze Aufwand gar nicht lohnen. Meine Frau nickt. Aber ich sehe ihr an: Sie glaubt mir kein Wort. Wahrscheinlich bin ich jetzt in ihren Augen doch kein PC-Crack mehr. Wenn ich ja noch nicht einmal so ein dämliches Virus finden kann...
Der nächste Alarm
Am nächsten Morgen ist meine Mutter am Telefon. Ich soll sofort zu ihr nach Berlin fahren. Ein Virus. Und was für einer. Er hätte ihr den ganzen Bildschirm schwarz angemalt, sodass sie ihren Text nicht mehr sehen kann, an dem sie gerade gearbeitet hat: "Das ist so gemein. Ich war gerade mit einem Brief fertig und jetzt kann ich ihn gar nicht mehr speichern. Die sind echt fies, die Virenprogrammierer."
Auch hier sage ich meinen Spruch auf und gebe bekannt, dass es für alle Viren unter ihrer Würde ist, sich mit dem Einschwärzen des Bildschirms zufrieden zu geben. Der Bildschirmausfall hätte bestimmt andere Gründe. Und richtig. Ich erinnere mich an einen ähnlichen Fall aus der Vergangenheit und empfehle ihr, doch einmal nachzuschauen, ob das Kabel überhaupt noch im Bildschirm steckt. Tut es nicht. Schnell hat meine Mutter das Kabel wieder eingesteckt. Ihr Schweigen am Telefon spricht Bände. Sie überlegt gerade, ob das Virus wohl dazu in der Lage ist, das Kabel aus der Buchse zu schnippsen.
Porno-Virus
Am Nachmittag treffe ich unsere Freundin Katja. Sie hat auf dem gemeinsamen Rechner, den sie sich mit ihrem Mann teilt, Hunderte Nacktfotos gefunden. Und jede Menge Links in den Favoriten des Web-Browsers, die auf pornografische Seiten im Internet verweisen. Ihr Mann hat mit Dackelblick beteuert, dass es da einen Virus gibt, der genau diese Schäden anrichtet - von einer Feministin geschrieben, die unbescholtene Ehemänner in Misskredit bringen möchte. Nun möchte sie gerne wissen, ob das auch stimmt. So recht glauben könnte sie ihrem Mann nämlich nicht.
Ich grübele ein wenig nach und erzähle ihr: "Ja, Mensch das stimmt. Das ist doch der wenig bekannte Virus seXXX-pq1, der sich über E-Mails verbreitet und genau die beschriebenen Folgen hat". Ich fahre fort: Wie gut, dass sie das noch rechtzeitig entdeckt habe. In der nächsten Stufe würde das Virus nämlich auch noch Filme laden. Ich erkläre ihr, wie sie die Dateien und die Favoriten löscht und nenne ihr eine harmlose Textdatei aus dem Windows-Verzeichnis, die sie killen soll, um den Virus zu beseitigen. Wieder eine Ehe gerettet. Jetzt schuldet mir der Ehemann ein Bier. Aber echt.
Eine Glosse von Carsten Scheibe, Typemania