Scheibes Kolumne Die Raubkopie als Präsent

War das Raubkopieren Jahre lang eine Domäne technikfixierter Schulkinder, so ist die schnell gezogene Kopie inzwischen gesellschaftsfähig. Völlig offen kommt der mit dem Edding beschriftete Rohling im Alltag zum Einsatz. Scheibes Kolumne aus dem Jahr 2001 ist aktueller denn je.

Ach du heiliger Brenner, was ist denn jetzt los? War das Raubkopieren Jahre lang eine Domäne technikfixierter Schulkinder, die sich auf dem Hof in konsumgeile Dealer verwandelten, so ist die schnell gezogene Kopie inzwischen gesellschaftsfähig. Völlig offen kommt der mit dem Edding beschriftete Rohling im Alltag zum Einsatz.

Sie schiebt zwei CDs rüber...

Ich staune nicht schlecht. Bei uns im Wohnzimmer sitzt Viola und schlürft ihren Kaffee. Die Kinder sausen auf ihren Rollern über die Fliesen, ihre Münder schokoladeverklebt. Viola lächelt. Meine Frau meint: "Guck mal, was Viola unseren Kindern mitgebracht hat." Sie schiebt mir zwei CDs rüber.

... Rohlinge

Bereits am Label sehe ich: Rohlinge. Nicht die preiswerten 650-Megabyte-Rohlinge, sondern 700-Megabyte-Boliden. Mit Edding ist ein Name auf den Silberling gekritzelt: "Rolf Zuckowsky" oder so. Viola merkt an: "Das ist die neue Kinder-Doppel-CD von Rolf. Meine Kinder hören das von morgens mit abends."

Wer brennt schon zu Hause?

Ich stelle mir die zarte Viola vor, wie sie in der Nacht heimlich aufsteht, zum Computer ihres Mannes schleicht und mit Schweißperlen der Angst auf der Stirn eine Kopie zieht. Immer in der Panik, von einem Raubkopier-Sonderkommando der Plattenindustrie aufgespürt und an den öffentlichen Pranger gestellt zu werden. Doch Viola winkt ab: "Hat mir Rolf in der Firma kopiert."

In der Firma? Wir halten fest: Während die halbe Nation sich den Mund darüber fusselig diskutiert, ob es illegal ist, auf dem Firmen-PC private E-Mails zu empfangen, nutzt Rolf die Ressourcen seiner Firma, um CDs zu brennen – raub-zu-brennen! Meine Frau fragt derweil, ob Rolf ihr wohl auch noch das Cover der beiden CDs im Büro kopieren könnte. Die haben doch einen Kopierer, oder? Ich schlage die Hände über dem Kopf zusammen. Ich lebe mit Copyright-Verbrechern zusammen. Und das mir, wo ich doch jede neue Musik-CD noch ehrlich einkaufe.

Verschlissen in nur einem Tag

Dirk hat mit dem Thema Raubkopien auch keine Probleme: "Weißt du, was ein einziges Computerspiel für Kinder kostet? Mindestens 50 Mark. Weisst du, wie schnell meine Kinder ein neues Spiel ausgereizt haben und es dann nicht mehr anfassen? Manchmal geht das an einem einzigen Tag!" Dirk ist entsetzt, springt auf und läuft Furchen in den Teppich. "50 Mark. Weg an einem Tag. Und die Brut kräht bereits nach dem nächsten Spiel."

Das ist billiger so

Dirk ist aus tiefster Seele seines Herzens sparsam: "Ich weiß, dass die Kids längst alle Spiele raubkopieren. Ich hab meinen Kindern sogar für 300 Mark einen Brenner gekauft. Die Rohlinge bringe ich aus der Firma mit. Sollen die sich doch die Finger wundkopieren. Das ist einfach billiger so. Wir könnten uns sonst die vielen Spiele und Lernprogramme gar nicht leisten."

Ich frage Dirk, ob er denn nicht weiß, dass er damit die Wirtschaft schädigt. Aber er winkt ab und brummelt nur etwas von "Mir doch egal, die €@$%&-Wirtschaft". Dann wird er aber doch neugierig: "Die können doch nicht einfach in meine Wohnung kommen und alles durchsuchen, oder?"

Am Abend ruft auch noch Bruce an. Der Koloss von einem Mann, der zur Not Schweine an einer Hand über dem Kopf kreisen lassen kann, ist fast am Weinen. Ich warte, bis das Schluchzen aufhört und Brucie wieder reden kann. Ob er es wohl mit allen Hells Angels in Berlin auf einmal aufgenommen hat und nicht alle binnen fünf Minuten umhauen konnte? Nein, schlimmer: "Mein CloneCD geht nicht mehr".

Harry Potter will nicht brennen

Bruce jammert und jammert. Er wollte doch so gerne noch am Abend die CD-Sammlung eines Freundes kopieren. Und versuchen, die neue Harry-Potter-CD zu brennen. Und nun geht gar nichts mehr: "Ich drücke auf Los, und es geht nicht los."

Ich frage nach, ob Bruce auch wirklich die Vollversion und nicht nur die Demo hat: "Ja, ist ein Crack aus dem Internet". Dann lasse ich ihn den Rechner neu hochfahren. Hilft auch nix. Da bleibt nur eines: Wenn es vorher noch ging, hat Windows eine seiner Registry-Macken und muss neu installiert werden. Oder das Programm hat eine Macke und muss ersetzt werden. Am besten durch eine legale Vollversion. Bruce fragt knirschend nach: "Legal?" Bei ihm klingt das so, als hätte ich seiner Frau unter den Rock gegriffen.

Schmeiße ich mein Geld zum Fenster raus?

Ich staune. Sind denn alle meine Freunde auf einmal gemeingefährliche Raubkopierer? Unglaublich, aber wahr: Es wird wirklich raubkopiert, was das Zeug hält. Ohne jedes Unrechtsbewusstsein. Ist der Kopierschutz auf Audio-CDs damit wirklich gerechtfertigt? Oder ist es wirklich so, dass die exorbitant hohen Preise der Computer-CDs, DVDs und Musik-CDs keine andere Lösung mehr zulassen? Ich sehe Sterne und blase mir mit Macy Grays neuer CD den Kopf frei. Legal gekauft übrigens. Ich bin doch kein Raubkopierer, ich nicht. Viola, die immer noch zum Kaffeeklatsch da ist, schüttelt kaum sichtbar den Kopf. Wenn ich mein Geld zum Fenster rauswerfen möchte, dann ist das allein meine Sache, scheint ihr mitleidsvoller Blick zu sagen.

<a class="link--external" href="mailto:scheibe@typemania.de">Carsten Scheibe</a>

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