Die CeBIT 2003 bringt alle Fachjournalisten in Verlegenheit: Hinfahren oder nicht? Zusammen mit meinem Kollegen Stefan habe ich mich nach Jahren der Pause auf den Trip nach Hannover eingelassen. Einen Tag später folgt nun der Bericht. Er handelt von aufregenden Navigationssystemen, unfreundlichen Kellnern und wund gelaufenen Füßen.
Sushi lockt nach Hannover
Der telefonische Rundruf kurz vor Beginn der CeBIT brachte es an den Tag: Die Kollegen haben keine Lust. "Die ganzen News gibt es doch alle auch im Internet", wehrt einer ab. "Wer fährt denn schon noch auf die CeBIT?", meint ein anderer. "Tu' ich mir seit Jahren nicht mehr an", blockt ein weiterer Berliner Journalist meine Anfrage, ob man nicht gemeinsam nach Hannover gondeln könne. Nur für einen Tag. Weil ich doch eine Einladung von Creative zum Sushi-Essen habe. Stefan sagt dann endlich zu und übernimmt auch gleich den Kutschendienst. Stefan ist kein Journalist. Er plant Software-Projekte für Verlage und versteht sich dabei als externer Produktmanager und „um Himmels Willen nicht als Programmierer". Sei es drum. Am Donnerstagmorgen steht Stefan vor meiner Haustür und jammert. Kein Wunder: Die Sandstraße, an der ich wohne, weist Schlaglöcher auf, in denen sich Kinder verstecken könnten. Mein Golf klettert da ganz brav drüber. Stefan zeigt aber auf sein schwarzes Mercedes Cabrio SLK, das derartige Unebenheiten nicht toleriert. Ein Mercedes SLK? Vielleicht bin ich doch in der falschen Branche?
Wie soll sie denn heißen
Stefan hat ein Navigationssystem. Das wird mit dem "Messeschnellweg" in "Hannover" gefüttert und berechnet sofort die passende Route. "Bitte nach 200 Metern rechts abbiegen", schnorchelt eine sexy Stimme mit leichtem Domina-Touch aus dem Lautsprecher. Ich staune: Das Navigationssystem kennt sich sogar in Falkensee aus. Stefan meint stolz, dass ganz Europa auf eine CD passt. Bereits eine Straße später frage ich nach, wie "sie" denn heißt. Stefan ist empört: "Du würdest dem System doch nicht wirklich einen Namen geben, oder?" Aber na klar doch. Ich schlage "Susi" vor, aber das findet Stefan doof. "Dann lieber Emma, so heißt der Kühlschrank meiner Großeltern." Okay, Kühlschränke sind auch kühl. Aber unter Emmas digitaler Coolness schlummert ein sexueller Vulkan, eine Glut elektronischer Sünde. Ich denke an Emma Peel aus "Schirm, Charme und Melone" und an die "White Queen" Emma Frost aus den "X-Men"-Comics. Die sehen verdammt scharf aus und sind immer in Lack und Leder unterwegs. Ich denke, der Name Emma passt zu unserem System.
Misstrauen ist schlecht, Kontrolle ist besser
Leider trauen wir Emma nicht so richtig. Das rächt sich, als wir auf einmal auf dem Weg nach Hamburg sind und ein Blick in den gedruckten Straßenatlas zeigt, dass nicht alle Wege zwingend nach Hannover führen. Wir entschuldigen uns bei Emma und lassen uns von ihr – "berechne neue Route" – aus der Wallachei zurück auf den rechten Weg führen. Fast hat es mir den Anschein, als wäre Emma jetzt ein bisschen beleidigt. Immerhin schweigt sie stille und zeigt nur auf dem Display an, dass es jetzt 55 Kilometer in die gleiche Richtung geht. Erst danach meldet sich Emma wieder zurück und hat ihren gewohnt geschäftsmäßigen Ton drauf. Wir gehorchen ihr jetzt wie ergebene Sklaven ihrer Domina und kommen zu dem Schluss: "Emma hat immer Recht." Ihr Schweigen nutze ich, um mal wieder in einem richtigen Buch zu lesen – "In letzter Sekunde" von Lee Child -, während Stefan mit 220 Sachen über die Autobahn brettert. Mir fällt ein, dass Stefan mit seinen knapp 20 Jahren ja noch nicht sooo lange den Führerschein hat. Weiß er, dass ich zwei Kinder ernähren muss? Setzt er mein nicht mehr ganz so junges Leben leichtfertig aufs Spiel? Mitnichten, Stefan fährt absolut sicher.
Vor Ort finden wir morgens um halb zehn keinen Parkplatz mehr. Alle Parkplätze, an denen wir vorbeikommen, sind bereits voll und deswegen mit dem heruntergelassenen Schlagbaum von der restlichen Welt abgetrennt. Stefan murmelt: "Du hast doch ein Presseparkschild. Wo ist denn der doofe Parkplatz dafür?". Wir halten neben einem Anweiser an und kurbeln das Fenster herunter: "Wissen Sie, wo der Presseparkplatz ist?" Der Mann bekommt hektische rote Flecken im Gesicht. Er brüllt uns regelrecht an: "Weiterfahren, weiterfahren, hier bildet sich gleich ein Stau, das geht doch nicht." Stefan dreht sich um, hinter uns stehen zwei Autos. Wir rollen zwei Meter weiter zum nächsten Einwinker, der uns ganz ruhig erklärt, dass der Presseparkplatz genau auf der anderen Seite von der Messe zu finden ist, wir aber überall parken dürfen. Er zeigt uns den schnellsten Weg zum nächsten Parkhafen. Während wir unsere Mäntel überziehen und den Rücksack schultern, wuseln von überall Parkwächter wie Daleks auf uns zu. Als sie das Presseschild sehen, ziehen sie enttäuscht wieder ab. Ich höre vom Nachbarparker, dass das Parken volle sechs Euro kostet. Der Hammer.
Wie war noch mal meine Handynummer?
Stefan und ich tauschen vor dem Messeeingang noch die Handynummern aus – falls wir uns verlieren. Ich muss zu Hause anrufen und sie mir geben lassen. Ich verlasse meinen Redaktionskeller so selten, dass ich mein Handy eigentlich nur auf Messen oder im Urlaub benutze. Dann muss Stefan noch eine Eintrittskarte lösen, als "Programmierer" kriegt er ja keinen Presseausweis. 35 Euro wollen die inzwischen für eine Tageskarte haben. Das wird all die Kiddies und Schüler vom Messebesuch abhalten, die früher immer nach Aufklebern, Pins und Demo-CDs gefragt haben. So ein schmieriger Typ pirscht sich an Stefan an und bietet ihm eine Karte für 25 Euro an, die "habe er doppelt". Stefan greift zu und kommt damit auch durch die Sperre. Ich frage nach, ob er jetzt nicht eigentlich draufgezahlt hat, weil er doch nun keinen Beleg für seine Buchhaltung hat. Stefan zuckt mit den Schultern: Hauptsache, wir sind endlich drin in der Messe. Die Hallen sind leer. Kein Vergleich zu dem Menschenstrom vergangener Jahre, der einen in den Gängen zwischen den Messeständen einfach mitreißt. Wir können ganz gemütlich durch die Hallen schlendern. "Ob das noch voller wird?" fragt Stefan. Aber es bleibt so bis zum Schluss. Die Aussteller sind sicherlich nicht begeistert. Wir entdecken auch überall leere Standflächen, die nicht gebucht sind oder in letzter Sekunde abgesagt wurden.
Privatanwender sollen draußen bleiben
Wir machen uns auf den langen Weg durch die einzelnen Hallen. Der Eindruck früherer Jahre verstärkt sich: Der Privatanwender ist hier völlig fehl am Platz. An vielen Ständen sehen wir völlig extravagante Dinge wie DIN-A0-Farbtintenstrahldrucker, winzige Speicherchips für mobile Geräte, die bis zu vier Gigabyte Daten aufnehmen, dazu zahlreiche Navigationssysteme, CAD-Lösungen für Häusle- und Straßenbauer sowie viele externe Festplatten und Serverlösungen. Cool finde ich einen tragbaren Computer, der wasserdicht sein soll. Deswegen steht er auch unter einem echten Wasserhahn, der im beständigen Strahl versucht, die Hardware zu nässen. Viele PDA-Lösungen sind zu sehen, der Handheld – meist in Form eines PocketPCs – soll anscheinend endlich ins Bewusstsein der IT-Workaholics geprügelt werden. Uns fällt auch auf, dass die Tablet-PCs stark angesagt sind. Sie sind an vielen Ständen zu sehen, die tragbaren Bildschirme ohne Tastatur, die man über ein berührungssensitives Display bedienen kann. Stefan und ich sind der Meinung, dass die angebotene Technik so abgehoben und elitär ist, dass es noch Jahre braucht, bis sie der Allgemeinheit zur Verfügung steht. Das Urteil steht schnell fest: Für uns ist nix dabei. Zum Glück haben wir ein paar Termine abgemacht, um wenigstens einige wichtige Leute zu treffen.
Das Goodie-Spiel
Um uns beim Gang durch die Hallen zu unterhalten, spielen wir das Goodie-Spiel: Was wird auf der Messe umsonst verteilt? Metallpins zum Anklemmen, Aufkleber und auch Demo-CDs sind anscheinend völlig out. Oft werden stattdessen Obst-Körbe auf die Infotische gestellt. Wir mutmaßen, dass sich niemand freiwillig einen Apfel nimmt, weil man doch ewig lange daran kaut und dann auch noch das Gehäuse loswerden muss. Wahrscheinlich gibt es genau deswegen so viel Obst: Was man nicht wegnimmt, muss auch nicht aufgefüllt werden. Bei G-Data werden wir eines Besseren belehrt: "Die Grippe geht um. Bei uns tanken die Besucher neue Energie und Abwehrkräfte." Nicht böse sein, liebe Anbieter: In der trockenen Luft schmelzen die aufgeschnittenen Bananen und Orangen schnell zu einer unästhetischen Trockenmasse zusammen. Wir halten uns lieber an die Bonbonschalen, die an vielen Orten aufgestellt sind. Der Messehype Nummer eins sind aber Pfefferminzbonbons. Sie werden oft in schräg gestalteten Papp- oder Plastikbüchsen verteilt – megacool. Wir bestimmen: Ein einzelnes Bonbon sowie die klassischen Mini-Gummibärchentüten sind einen halben Punkt wert, ganze Büchsen mit Pfefferminzpastillen einen ganzen. Eine dicke Metallbüchse voll mit Bonbons, wie wir sie in den Händen einiger Besucher entdeckt haben, soll der Jackpot sein. Wer so eine bekommt, ist sofort der Gewinner. Stefan findet etwas besonders Abgefahrenes: Eine kleine Büchse mit grünen Oblaten, die in Pfefferminz getränkt sind. Die legt man sich auf die Zunge und hat sofort frischen Atem – für das nächste Fachgespräch. Leider spielt Stefan nicht mehr mit: Es ist ihm zu peinlich, die Stände zu plündern. Er ist eben kein Journalist.
Betrete nie ein Messerestaurant
Unsere Treffen verlaufen sehr angenehm. Mit den beiden Pressedamen von Rondomedia kehren wir sogar in ein Messecafé ein, weil es draußen in der strahlenden Sonne doch zu kalt wird. Außerdem möchte Jamila kurz ihre Schuhe ausziehen. Das junge Nachwuchstalent zeigt auf ihre Schuhe und entschuldigt sich, dass dies ihr erster Messebesuch sei. Klar, hochhackige Schuhe, die vorne ganz spitz zulaufen, fördern das Wohlbefinden beim vielen Herumlaufen nicht gerade. Der erfahrene Messeprofi trägt seine ältesten Schuhe, damit es nicht drückt, und schnallt sich einen Rücksack um, um die Hände frei zu halten. Wir tauschen Profitipps für Messebesucher aus. Leider halten wir uns nicht an unseren eigenen Tipp: Nie ein Messelokal betreten. Die Preise sind unverschämt teuer und die Bedienung oft unfreundlich wie sonst nur was. Ein geschnäuzter Kellner faucht Stefan jedenfalls an: "Sahne zum Cappuccino gibt’s nicht". Das erinnert mich an die alten Transit-Restaurants beim früheren Durchfahren der Zone. Ob der Herr von dort kommt? Sein Wortschatz ist jedenfalls einsilbig: "Quittung gibt’s nicht, Computer ist kaputt", brummt er, als er nach Stunden einmal wieder bei unserem Tisch vorbeischaut. Wir zwingen ihn dazu, eine handschriftliche Quittung auszustellen und geben keinen Cent Trinkgeld. Wer partout nicht will, der hat eben schon.
Das Auto ist weg
Viel zu schnell ist der Tag vorbei, wir haben noch gar nicht alles gesehen. Trotzdem müssen wir weiter, zum Sushi-Essen bei Creative. Leider finden wir unser Auto nicht mehr wieder. Eine ganze Stunde lang laufen wir die Reihen geparkter Autos hoch und runter. Ein netter Engländer fragt, um wie viel Uhr wir denn gekommen seien. Dann berechnet er, wie sich der Parkplatz nach und nach gefüllt hat und weist uns die richtige Richtung. Andere haben auch gute Tipps auf Lager: "Wartet, bis alle Autos weggefahren sind, und nehmt dann das, das übrig bleibt." Jemand ruft: "Der ist bestimmt schon in Polen". Wir frozzeln: "Und Emma, die alte Schlampe, hat dem Dieb sicherlich noch den kürzesten Weg verraten, ist ja ganz Europa auf der CD." Gerade, als wir aufgeben wollen und bereits überlegen, wie wir zum Hauptbahnhof kommen, um ein Zugticket zu buchen, fällt mir ein: "Wir sind doch noch über eine Straße gegangen." Richtig: In fünf Minuten ist der Wagen gefunden.
Ist Emma doch fehlbar?
Leider kennt Emma den Weg zum Friedrichwall nicht. Hier soll die Creative-Party im "Kabuki&Soul" stattfinden. In Emmas Wortschatz ist der Friedrichwall einfach nicht zu finden, da können wir uns auf den Kopf stellen. Ist Emma doch fehlbar? Was sollen wir jetzt tun? Wir rufen die Handy-Auskunft an und lassen uns mit dem Restaurant verbinden. Stefan fragt nach einer Straße in der Nähe des Restaurants und macht "Ja", "Aha" und "Hm". Dann legt er auf. "Und?", frage ich. Stefan grient: "Keine Ahnung, hab kein Wort verstanden." Ich nehme jetzt das Handy und die Sache selbst in die Hand. Aha, die Osterstraße sollen wir in das System eingeben. Machen wir. Emma kennt die Straße auch prompt und damit auch den Weg. Wir lassen uns führen. Vor Ort finden wir heraus, dass die Straße "Friedrichswall" heißt. Mit "s", der Name war nur auf der Einladung falsch geschrieben. Wir trinken im "Kabuki" eine Caipirinha, essen ein bisschen Sushi und beschließen nicht zum ersten Mal an diesem Tag: Am Ende hat Emma immer Recht. Wir sind völlig k.-o., verlassen die Party früh und beauftragen das Navigationssystem: "Emma, bring uns nach Hause". Und dieses Mal vertrauen wir ihr völlig, der kühlen Stimme mit dem sexy Unterton.