SCHEIBES KOLUMNE Streit der Generationen

Zwei Welten prallten aufeinander, neulich, auf einer Party: Auf einer Seite Kolumnist Scheibe, auf der anderen Seite ein Jüngling, für den die Anfänge des Computers so weit weg sind wie die Französische Revolution.

Komisches Gefühl. Eben gehörte ich noch voll zur jungen, wilden Generation. Jetzt bin ich irgendwann irgendwie um einen Platz aufgerückt und muss mich als gesetzter Mitdreissiger von kleinen Bubis anmachen lassen, die mich mit Handy-Klingeltönen irre machen und bei Java erst ans Internet und dann an die Kaffeebohne denken.

Der Angriff kam unerwartet. Auf einer Party pinkelte mich so ein Zwanzigjähriger mit Militärschnitt, Grunge-Klamotten und Britney-Spears-Songs zirpendem Handy von der Seite an. Ey, warum so ein alter Sack wie ich mich erdreisten täte, jungen Computerfuzzis noch irgendwas erklären zu wollen. Ich sei doch noch aus der Zeit der Kommandozeilenritter und würde doch von dem, was heute so am PC abgeht, keinen einzigen Schnall mehr haben. Platz für die Jugend solle ich machen. Die hätte als Autor 'ne bessere Schreibe, würde eher durchblicken und vor allem das schreiben, was beim Publikum auch ankommt.

Ich spürte den Grimm uralter Wikingerahnen

Was ankommt?! Auf meiner Stirn erschien ein Fragezeichen. Ich süffelte an meinem Bier aus der Flasche, wünschte, nie mit dem Rauchen aufgehört zu haben, und spürte erschrocken den Grimm uralter Wikingerahnen die Wirbelsäule emporkrauchen. »Na klar«, meinte der Youngster. »Meinste echt, wir wollen tausendundeinen Trick wissen, wie man Winword besser bedient? Oder einen Einsteigerkursus über die Gestaltung von Homepages lesen? Oder erfahren, wie man Lara Croft spielt? Neh, wir wollen wissen, wie man DVD-Filme raubkopiert, die geilsten MP3s im Netz findet, Lara per Patch den BH auszieht und im Chat geile Bräute anmacht.«

Ich dachte entnervt an ganze Nächte, die ich am PC durchgemacht habe, um öde Finanz-Software zu testen, das Betriebssystem auszuloten und über die Vorzüge der neuen Virenscanner zu schwadronieren. Sollte das alles umsonst gewesen sein? Rauch kräuselte sich aus meinen Ohren. Ich zeigte auf das mit Kugelschreiber tief eintätowierte Zeichen an meiner linken Daumenwurzel und fragte den Knirps, ob er das Zeichen wohl kennen würde. Er schüttelte verwirrt den Kopf: »Ein Smiley ist es nicht.« »Natürlich nicht«, fluchte ich. »Das ist - verdammt noch mal - ein «C:\»-Prompt. Meine Generation hat vor zehn Jahren jeden beschissenen DOS-Befehl auswendig gelernt, um tippenderweise Festplatten zu formatieren, Dateien zu kopieren und die Macken im System aufzuspüren.

DOS-Befehle über mehrere Zeilen

Wir haben noch DOS-Befehle getippt, die so komplex waren, dass sie über mehrere Zeilen hinwegreichten. Wir haben uns Raubkopien von MS Multiplan auf 320-KB-Disketten gezogen. Wir haben überlegt, ob wir von einer Schwarzweiß-Hercules-Grafikkarte zu EGA wechseln sollen. Unsere Shareware haben wir per Fax bei einem Diskettenhändler bestellt, der für eine Mark pro Programm Disketten kopierte. Wenn wir Cybersex haben wollten, gab es Pixelanimationen, die nur mit viel Fantasie als erotisch zu deuten waren. Uns sind alle alten Corel-Draw-Versionen immer dann abgestürzt, wenn ein Layout fast fertig war. Das Internet mit dem World Wide Web haben wir erst ignoriert und dann groß geklickt. Wir haben Handbücher noch gelesen, kannten alle bekannten Viren auswendig beim Vornamen und konnten unsere Hardware so blind auseinander- und wieder zusammenbauen wie ein US-Elitesoldat seine Waffe. Also erzähl mir nicht, wer hier am Drücker sitzt. Wir haben jahrelang am DOS-Prompt gelitten, jetzt wollen wir unseren Spaß haben. Und sei es nur, indem wir euch mit nutzlosen Workshops quälen.»

Der Junge brach nicht zusammen, sondern hielt munter gegen: »Vergiss es einfach. Multiplan ist tot, der DOS-Prompt ist beerdigt. Heute zählt dieser alte Computermüll nix mehr. Wir schauen DivX-Filme aus dem Internet, kopieren uns unsere Musik-CDs selbst, schneiden unsere Heimvideos am PC und kennen uns perfekt mit Java, Flash, Shockwave, Firewalls und IP-Nummern aus. In den Warez-Foren im Internet sind wir Zuhause, um gecrackte Seriennummern, illegale Pornoclubmitglieds-Usernamen und geknackte Vollversionen herunterzuladen. Wir erkennen VBS-Viren bereits an den schwachsinnigen Mail-Texten, mit denen sie uns ins Haus geschickt werden. Und schickt uns jemand aus Nicaragua eine Bitte, ihm doch bitte, bitte mal eben 60.000 Dollar zu überweisen, dann tun wir das nicht. Wir müssen auch nicht heulend bei jedem Service-Techniker oder Hotliner anrufen, weil irgendwas mit der modernen USB-Technik nicht funktioniert.

Das Hirn jenseits von SVGA und COM2 abgeschaltet

Wir kennen diese neue Technik nämlich und haben das Hirn nicht jenseits von SuperVGA und COM2 ausgeschaltet. Unsere Generation bereitet sich auf Bluetooth, Smartphones und GPS-Spielereien aller Art vor. Ihr habt doch bei piepsenden Modems mit träge Lichterketten bildenden Bytepaketen Schluss gemacht mit dem Fortschritt der Technik. Wir dürfen uns hochauflösende DVD-Filme anschauen, während ihr noch zerkratzte und zerschlissene VHS-Videos angaffen musstet. Eine Schrankwand im Wohnzimmer brauchen wir auch nicht. Weil dein 30-bändiges gedrucktes Lexikon inzwischen locker auf drei winzige CD-ROMs passt. Und überhaupt Handbücher: Wer seine Software nicht instinktiv bedienen kann, der sollte das Computern gleich ganz sein lassen. Die ganzen PC-Magazine sind doch eh alle für Frührentner geschrieben, die den Unterschied zwischen Windows ME und 2000 nicht kapieren.»

Ich stellte das Bier ab, bereit, dem Jungen eine Lektion in Demut vor dem DOS-Prompt einzubläuen. Der legte ebenfalls seinen Teller mit kleinen Buletten ab und nahm Angriffsstellung ein: »Komm doch, komm doch.« Jetzt nützt dir keine Firewall der Welt mehr etwas, dachte ich noch. Da schoben sich unsere Frauen erbost dazwischen: »Redet ihr etwa schon wieder über diese blöden Computer? Jetzt sind wir auf einer Party, da ist das Thema bitte tabu, ja? Ist ja echt schlimm: Egal wie alt die Kerle sind, sie müssen sich immer über diese blöden Kisten streiten.«

Missmutiger Frieden

Ich nahm die Fäuste wieder herunter. Missmutig reichten wir uns die Hände. Frieden. Als wir den Frauen zur Bar folgten, raunte ich meinem Geschlechtsgenossen leise zu: »Aber unser Gitarrengott Neil Young vernascht eure blöde Popkreische Britney Spears noch immer locker zum Frühstück.« Die Antwort hörte ich kaum: »Aber nur, wenn er sein Gebiss nicht im Glas vergessen hat.«

Carsten Scheibe

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