Ein Bild eines beliebigen Menschen in die Datenbank laden und sofort seinen Namen, Social-Media-Profile und sogar den Standort herausbekommen - das will die US-Überwachungsfirma als Dienstleistung anbieten können. Doch die Pläne zum Ende jeder Privatsphäre gehen noch viel weiter. Moralische Probleme sieht das Unternehmen dabei nicht.
Das geht aus Präsentationen hervor, die der "Washington Post" vorliegen und vom Unternehmen als echt bestätigt wurden. Mit den aus dem letzten Dezember stammenden, 55-seitigen Unterlagen versuchte Clearview, zahlungswillige Investoren von seinem Potenzial zu überzeugen. Doch was als Werbung für die eigenen Fähigkeiten gedacht ist, dürfte von den Menschen als gruselige Dystopie gesehen werden.
Große Pläne
Denn Clearview plant nicht weniger, als nahezu jeden Menschen mit seiner Gesichtserkennungssoftware auffindbar zu machen. Dazu hat das Unternehmen bereits 10 Milliarden Fotos gesammelt, jeden Monat kommen 1,5 Milliarden zusätzliche hinzu. Doch die Sammlung soll noch erheblich schneller werden: Bis Ende des Jahres will die Firma eigentlich 100 Milliarden Fotos schaffen. Gerechnet auf die knapp 8 Milliarden Menschen würde das 14 Bildern jeder Person entsprechen. So würde "fast jeder in der Welt identifizierbar", schwärmt die Präsentation.
Doch nicht nur auf Fotos will sich Clearview verlassen. Den Unterlagen zufolge arbeitet das Überwachungs-Unternehmen auch daran, Personen am Gang zu erkennen. Zudem will man sich nicht auf die reine Erkennung und die jetzt schon mögliche Verknüpfung mit den weiteren Daten der Person beschränken. Laut der Unterlagen plant Clearview, in Zukunft auch den Standort nach dem Foto zeigen zu lassen. Und sogar die Fingerabdrücke aus Fotos auszulesen.
Flexible Prinzipien
Das kostet natürlich Ressourcen - und damit Geld. 50 Millionen Dollar will Clearview in der aktuellen Finanzierungsrunde einnehmen, die Unternehmensbewertung von 130 Millionen Dollar gilt im Silicon Valley als eher zu niedrig. Auch, weil das Unternehmen das eigene Versprechen, sich nur an Behörden als Kunden zu richten, nicht unbedingt in Stein gemeißelt zu sehen scheint.

Das bestätigte der aktuelle Firmenchef und Gründer Hoan Ton-That der Zeitung sogar indirekt. Das offizielle Statement zu den Firmen-Prinzipien sieht er offenbar eher als flexibel an. "Unsere Prinzipien richten sich nach der aktuellen Nutzung unserer Technologie. Wenn diese Nutzung sich verändert, werden unsere Prinzipien so angepasst, wie es nötig sein sollte." Sprich: Sollte sich die öffentliche Einstellung zur Überwachung per Gesichtserkennung ändern, dürfte der Konzern sich durchaus zu einer kommerziellen Nutzung entscheiden können.
Der gesellschaftliche Gegenwind gegenüber der Dauerüberwachung per Gesichtserkennung scheint von Clearview aktuell sogar eher als Vorteil gesehen zu werden. Während die Tech-Giganten wie Facebook oder Amazon ihre Bemühungen zur Gesichtserkennung zurückfahren oder ganz abschalten, wirbt Clearview bei den möglichen Investoren offen damit, es anders zu machen - und dadurch quasi keine Konkurrenz zu haben.
Kommerzielle Überwachung
Kunden gibt es für das Unternehmen genug. Über 3000 Polizeistellen in den USA sollen auf die Gesichtserkennung zurückgreifen, um Verdächtige zu ermitteln. Auch das Heimatschutzministerium, das FBI und die Army haben Verträge mit Clearview. Nach dem Sturm auf das Kapitol hatte das Unternehmen angeboten, bei der Erkennung der Täter zu helfen. Eine geleakte Liste von Kunden zeigte, dass auch Behörden zahlreicher EU-Staaten zu den Kunden gehören, Interpol hatte 130 Anfragen im Rahmen eines 30-tägigen Testzugangs getätigt
Dass die Überwachungs-Spezialisten durchaus auch im kommerziellen Sektor viel Potenzial sehen, verhehlen sie nicht. In der Präsentation werden etwa der Handel oder Banken als mögliche Kunden genannt. Auch in der sogenannte Gig-Economy, die Dienstleistungen an unabhängige Mitarbeiter abgibt, wittert man Chancen. So nennt das Unternehmen die Überwachung von Uber-Fahrern über das Gesicht als Option. Das Unternehmen hat das Interesse an solcher Technologie aber gegenüber der "Post" bestritten.
Woher kommen die Fotos?
Datenschützern dürften angesichts die Präsentation indessen die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Clearview gilt gleich in mehrerer Hinsicht als Albtraum für die Privatsphäre. Neben den gesellschaftlichen Folgen der Dauerüberwachung provoziert vor allem der fragwürdige Ansatz der Firma beim Sammeln der Fotos für Gegenwind. Statt die Nutzer nach der Erlaubnis zu fragen, sammelte das Unternehmen einfach ungeniert öffentlich verfügbare Bilder bei Facebook und Co. ein. Selbst dem nicht gerade für Datenschutz bekannten sozialen Netzwerk wurde das irgendwann zu bunt: Facebook warf Ton-That aus dem Netzwerk und versuchte, die Datensammelei per Unterlassungsklage zu verhindern. Allerdings verweigerte Clearview Beweise dafür, dass die Bilder vernichtet wurden.
Einer der bekanntesten Investoren dürfte sich an diesen Skandalen eher nicht stören. Peter Thiel hatte bereits 2017 Geld in des Unternehmen gesteckt. Es passt perfekt in Thiels Portfolio: Nach dem Verkauf Paypals konzentriert sich der umstrittene Investor bevorzugt auf Unternehmen, die sich an staatliche Stellen als Kunden richten. Und leitet mit Palantir eines der größten Überwachungs-Unternehmen.
Quellen: Washington Post, Buzzfeed, Vice