Twitter-Chef Elon Musk will gegen Antisemitismus-Vorwürfen klagen – und gibt Israel-Lobby Schuld an Twitters Wertverlust

Tesla- und Twitter-Chef Elon Musk macht ein skeptisches Gesicht
Elon Musk sieht die ADL hinter seinen Werbeeinbußen
© Susan Walsh/AP / DPA
Nicht nur in Deutschland wiegt der Vorwurf des Antisemitismus schwer. Auch US-Konzerne versuchen ihn in der Regel zu vermeiden. Elon Musk erwägt dazu drastische Mittel.

Es sollte ein Befreiungsschlag werden. Mit der Übernahme durch Elon Musk werde Twitter, inzwischen zu X umgetauft, zum weltweiten Marktplatz der Meinungsfreiheit, versprach der Neubesitzer vollmundig. Doch mit dem Fokus auf ein freies Rederecht gehen auch zahlreiche Vorwürfe einher, dass die Plattform extremistischen Kampagnen und Beleidigungen eine Bühne gebe. Musk will nun dagegen vorgehen.

Allerdings nicht, indem er den Vorwürfen nachgeht – sondern indem er denjenigen, die sie äußern, mit Klagen droht. In einem Post bei X drückte er am Montag sein Bedauern aus, dass die Antidefamation League (ADL) seiner Plattform immer wieder vorwerfe, sie tue zu wenig gegen Antisemitismus. "Um den Namen unserer Plattform von Vorwürfen des Antisemitismus zu reinigen, bleibt uns offenbar keine Wahl, als eine Defamierungs-Klage gegen die Anti-Defaminierungs-Liga einzureichen. Oh, welche Ironie", feichste er in dem Post.

Schwere Vorwürfe

Aber Musk wäre nicht Musk, wenn er nicht noch nachlegen würde. Nach Auskunft seiner Werbekunden sei die ADL für den Großteil der Werbeeinbußen verantwortlich, die X seit der Übernahme verkraften muss, erklärte Musk in einem Folgetweet. "In unserem Fall könnten sie verantwortlich für den Verlust der Hälfte des Firmenwertes sein, also 22 Milliarden Dollar", erklärt er. "Selbst bei maximal großzügiger Rechung gehe ich davon aus, dass es nicht weniger als zehn Prozent sind, also vier Milliarden Dollar", gibt sich Musk sicher. Er gehe davon aus, dass sich im Beweisfindungsprozess vor Gericht entsprechende Belege finden dürften.

Die ADL selbst ist durchaus umstritten. Die zur bekanntesten pro-israelischen Lobbyvereinigung AIPAC gehörende Gruppe hat sich den Kampf gegen Antisemitismus und andere Diskriminierung auf die Fahne geschrieben, weist immer wieder lautstark auf Missstände hin. Manche Kritiker sehen ihr Verständnis von Antisemitismus allerdings als zu weit an, werfen der ADL vor, jegliche Kritik am isrealischen Staat unterbinden zu wollen. Selbst einige jüdische Gruppen werden von der Organisation als antisemitisch bewertet.

Auch Musk fühlt sich zu Unrecht verfolgt. Sein Kurznachrichtendienst habe mehrfach Meldungen von vermeitlich antisemitischen Inhalten durch die ADL bekommen, die aus Sicht des Unternehmens unproblematisch waren. Ein Teil seiner weiteren Ausführungen erinnert dann allerdings selbst an – oft im Kern eben doch antisemitische – Verschwörungsmythen. Die Werbekunden würden von der ADL unter Druck gesetzt, behauptet er, würden deshalb Werbung bei dem Dienst pausiesen. "Die Pause ist aber permanent, bis die ADL dann wieder grünes Licht gibt". Das geschehe aber nur, wenn man ihren Forderungen vollständig nachkomme, schreibt er.

Freie Meinung oder mehr Diskriminierung?

Dass Twitter, beziehungsweise X unter Musk deutlich offener für Hass geworden ist, fiel aber nicht nur der ADL auf. Unter dem Mantel der Meinungsfreiheit hat Musk zahlreiche Accounts wiedereröffnet, die wegen extremistischer Meinungen oder defamierenden Angriffen gesperrt worden waren, von islamistischen Terrorgruppen bis zu Rechtsradikalen. Zusätzlich hatte er die Moderatorenteams deutlich verkleinert. In der Folge habe der Hass auf der Plattform deutlich zugenommen, zeigte auch eine Auswertung der "New York Times". In Berlin war sogar eine Klage wegen des unzureichenden Vorgehens gegen Leugnung des Holocausts auf der Plattform eingereicht worden.

Musk will davon nichts wissen. Stattdessen beteiligt er sich immer wieder selbst daran, indem er seinen 155 Millionen Follower Inhalte aus der ganz rechten Bubble weiterleitet. Zu Anfang seines Angriffs auf die ADL reagierte er auf einen Tweet des Aktivisten Keith O’Brien, der sich bei Twitter Keith Woods nennt. Der hatte unter dem Hashtag #bantheADL zu einem Verbot der Organisation getrommelt, warb bei Musk für die Aufhebung durch die ADL beantragten Sperren bei Twitter. Musk betonte, dafür offen zu sein. Ob er wusste, mit wem er da spricht, ist nicht klar. O'Brien bezeichnete sich selbst in der Vergangenheit als "rasenden Antisemiten". Und wurde dank Musk einem Millionenpublikum in die Timeline gespült.

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