Zur Beschreibung von Social-Media-Usern, denen es Lust bereitet, andere Menschen zu beleidigen und zu verletzen, allein um des Beleidigens und Verletzens Willen, hat sich die Gemeinschaft auf den Namen Troll geeinigt. Die Etikettierung für das, was gerade im Zusammenhang mit dem jüngsten Gaza-Krieg passiert, steht noch aus.
Seit Beginn der Kämpfe vor 24 Tagen fluten Menschen, deren einzige Verbindung nach Israel oder Gaza Nachrichten und Gerüchte sind, die sozialen Netzwerke mit Bildern, Videos und Meinungen. Was in vielen Fällen sicherlich als ernstgemeinte Empörung gegen Gewalt und Tod begonnen hat, oder auch als ernstgemeinte Verteidigung des Staates Israel angesichts altbekannter Hassattacken, ist zu einem unkontrollierten Strom geworden, der ohne jede Differenzierung geschweige denn Verifikation pauschalisiert, verurteilt, bedroht, und so viele Menschen und Meinungen wie möglich mit sich zu reißen sucht. So werden Palästina-Unterstützer zu mordlüsternen Judenhassern, Israel-Unterstützer zu arroganten Islamophikern und rationale Menschen zu formbaren Werkzeugen, die Hass duplizieren - am laufenden Band.
Facebook- und Twitter-User sind Teil einer propagandistischen Hassmaschine - ob sie wollen oder nicht. Das Schlimme daran ist, dass die meisten es offensichtlich immer noch nicht verstanden haben - oder es nicht verstehen wollen.
Teile und herrsche funktioniert im Netz ganz wunderbar
Denn diese Hassmaschine profitiert von unseren Online-Gewohnheiten, genau genommen von unserer Faulheit. Seien wir mal ehrlich: Schauen Sie jedes Video, das Sie teilen bis zum Ende? Lesen Sie jeden Artikel bis zum Schluss, ehe Sie "Teilen" klicken? Haben Sie sich jemals die Mühe gemacht herauszufinden, wo Fotos oder aufwühlende Bildmontagen herkommen? Haben Sie jemals ihren "share"-Reflex unterdrückt und eine Minute lang versucht, sich des Themas wirklich bewusst zu werden, abzuwägen? Oder wollten Sie nicht vor allem eines: Teil von etwas sein?
Teile und herrsche funktioniert im Netz ganz wunderbar, wenn User unachtsam "nach-posten", wenn aus dem "share" ein Vertrauensvorschuss wird, den man im realen Leben niemals geben würde. Deshalb posten nicht nur aufmerksamkeitsgeile Nachwuchsrapper, sondern auch friedensliebende Tangotänzer plötzlich Hassparolen. Dass sie damit Feindschaft säen, den Krieg anheizen und somit indirekt Mitschuld tragen am Sterben, kommt ihnen offenbar nicht in den Sinn. Sie sitzen ja "nur" an einem Keyboard.
So haben wir uns von den sozialen Medien erziehen lassen: Alles, was wir nicht mögen, ist zum Kotzen, und jeder, der es trotzdem mag, ein Vollidiot. Unsere der Trägheit geschuldete Dummheit ist zuweilen beeindruckend. Wer hätte gedacht, dass wir dafür über Leichen gehen.