Paulus Neef trifft keine Schuld. Es ist der Markt. Denn alles ist nicht nur anders gekommen als angenommen, sondern auch noch so geblieben. Weswegen Neefs einstige Vorzeigecompany Pixelpark schrumpft und schrumpft. Aber das Web, das kommt.
Er war nicht irgendeiner
2002 war kein gutes Jahr für die Sieger aus 1999 und 2000. Die meisten kennt man inzwischen schon nicht mehr. Fast vergessen. Nur bei den Banken nicht, die ihren Millionen hinterher hecheln, die sie im vergangenen Jahrhundert jedem hinterher warfen, der "Internet" unfallfrei buchstabieren konnte. Paulus Neef war seinerzeit nicht irgendeiner. Er war Lichtgestalt des Aufbruchs. Der Superstar, Fleisch gewordene Erfolgsgeschichte aus deutschen Landen. Der Ikarus, der hoch flog wie niemand zuvor. Hysterisch beklatscht vom Geschmeiß, das unvermeidlich wie eh und je dem Odeur des Erfolgs folgt.
Stimmverlust für den Kapitän
2002 hat die erhoffte Wende nicht gebracht. Pixelpark, Paulus Neefs Unternehmen mit einstmals mehreren Hundert Kreativen, befindet sich weiterhin auf Talfahrt. 150 weitere Stellen werden abgebaut. Letztmals, betont Bertelsmann, gebe es nun Geld aus der Konzernkasse. 3,2 Millionen Euro werden es sein. Dann ist Schluss. Auf Forderungen in zweistelliger Millionenhöhe hat Bertelsmann bereits verzichtet. Schlechte Zeiten, auch 2003. Kapitän Neef bleibt weiterhin an Bord. Das Stimmrecht an seinen Aktien hält inzwischen allerdings das Kölner Bankhaus Oppenheim.
Das neue Ziel: der Mittelstand
2002 markiert das Ende der Hybris. Gab es im Vorjahr noch Hoffnung, so hat sie sich in diesem Jahr erst einmal erledigt. Der Markt ist platt. Internet ist doof. Und keiner investiert. Weder off- noch online. Paulus Neef hat dennoch einen Markt entdeckt, sagt er. Den Mittelstand. Ein Markt, den erste Internetunternehmen schon 2000 entdeckten. Und nicht knackten. Weil der Mittelstand die Hände aufs Portmonee hält. Weil vorsichtig, da Melkkuh und Prügelknabe der Nation zugleich. Trotzdem will Neef da ran. An wen auch sonst? Ist ja sonst keiner mehr da. Aber so geschieht es eben, wenn die nackte Realität die Visionen frisst.
Ein schlauer Mann, Ungar und Professor für Ökonomie, sagte Anfang 2002 auf einem der vielen Kongresse zur Lage, dass viele junge Unternehmen sehenden Auges und mit Vollgas gegen die Wand gefahren seien. Hätten sie sich nur für einen Moment nicht an sich berauscht, sondern den Markt analysiert, sie hätten die Katastrophe abwenden können. Möglicherweise. Wenn sie über Nacht wissend geworden wären, den ahnungslosen Analysten nicht getraut und zu rechnen begonnen hätten.
Was wäre, wenn...
Was wäre, wenn: eine schöne Frage. Dann hätte beispielsweise ein Bekannter Anfang März 2000 sein gigantisch angewachsenes Aktienpaket zurück zur Börse getragen und sich Hartgeld dafür geben lassen. Heute anders an das Thema rangehen würden vielleicht auch Peter Kabel, Stephan Schambach, Bernhard Ebbers oder die Haffa-Brüder - allesamt Jongleure zweifelhafter Konvenienz, die Millionen und Milliarden Euro und Dollar in Antimaterie verwandelten. Vielleicht würden sie es aber auch wieder genau so tun, wie sie es taten. Wer weiß das schon.
Aber das Web, das kommt.
Thomas Hirschbiegel
Kolumnist für stern.de seit 1997 - und das H der "H&A medien": Redaktion, Public Relations und Online-Konzepte.