Die Durchsuchung des Teamhotels von Astana scheint noch nicht der letzte Akt in diesem neuen Doping-Drama gewesen zu sein, das von der Hybris eines geheimnisvollen Teams bis zum Sturz seines Protagonisten alles zu bieten hat, was einen dramatischen Stoff ausmacht.
Seit dem ersten Tag steht die Tour 2007 unter einem Dopingvorbehalt, jetzt hat sie tatsächlich ihren ersten Dopingfall. Es ist keine Überraschung, dass Alexander Winokurow der Täter ist: Die Dominanz des doch offensichtlich angeschlagenen Kasachen beim Zeitfahren und bei der schweren zweiten Pyrenäenetappe war so verblüffend, dass die Mehrheit der Beobachter die Triumphfahrten des Ullrich-Freundes stirnrunzelnd zur Kenntnis nahm - eine gewisse Kategorie von Leistungsexplosionen ist spätestens seit der Wahnsinnsfahrt von Floyd Landis vor Jahresfrist ein sicheres Zeichen für Doping.
Winokurow fährt Amok
Eine Figur wie Alexander Winokurow ist zunächst ein Fall für eine psychiatrische Behandlung. Der durch Stürze gebeutelte Topfavorit, dem im fernen Kasachstan mit Hilfe anonymer Geldgeber ein Team auf den Leib geschneidert worden war, griff zu einem mittlerweile höchst plumpen Mittel, dem Doping mit Fremdblut. Hier spielte der offenbar vollkommen verzweifelte Profi gleich im doppelten Sinn Russisches Roulette: zum einen, weil die Zufuhr von Fremdblut ein unabsehbares Gesundheitsrisiko bedeutet, zum anderen, weil diese Doping-Methode leicht nachzuweisen und deshalb offensichtlich ist.
So glich das spektakuläre Zeitfahren von Samstag einer Amok-Fahrt - Winokurow hätte wissen müssen, dass eine Entdeckung und Überführung sehr wahrscheinlich war, im Grunde riskierte er für das kurzfristige Gefühl des Sieges die Zukunft seines Teams mit allen Kollegen und die Zukunft des Radsports in seiner heutigen Form.
Nun war Winokurow schon in den vergangenen Wochen ein höchst verdächtiger Kandidat, wie sein ganzes Team. Astana, entstanden aus den Relikten der Doping-Hochburgen von Telekom und Once, ein Zufluchtsort der Freunde des von T-Mobile "ungerecht behandelten" Jan Ullrich wie Winokurow selbst, Andreas Klöden und Matthias Kessler, ist eine Mannschaft, über der vom ersten Tag an der Schatten des Dopingverdachts zu hängen schien. Eine Reihe von Merkwürdigkeiten führte dann zu zweifelhaftem Ruhm, denn Winokurow und Co. wurden vom Weltverband UCI als "Men in Black" geoutet, Spitzenfahrer, die in unauffälliger schwarzer Kleidung trainierten, um den Dopingfahndern nicht aufzufallen.
Gerade diese Sonderbeobachtung, unter der die Mannschaft seit Wochen stand - dazu gehört auch die Durchsuchung des Mannschaftsbusses von Astana durch den französischen Zoll am Montag - lässt das Dopingmanöver Winokurows als dummdreisten Akt erscheinen. Seit Tyler Hamilton 2004 mit dem gleichen Verfahren des Dopings überführt wurde, weiß jeder in der Szene, wie einfach der Nachweis inzwischen ist.
Düstere Aussichten für die Tour
In den ersten Tourtagen war die besondere Dopingwahrnehmung ein ziemlich deutsches Problem, von den ausländischen Pressekollegen verständnisvoll belächelt. Insbesondere aber durch Michael Rassmussen, den Träger des Gelben Trikots, und jetzt durch den Fall Winokurow ist die Tour in ihre schwerste Krise seit 1998 geschlittert. Die Auftritte Rasmussens und seines Verfolgers Contador, die mit unglaublichen Auftritten die steilsten Berge hochsprinten, rufen bei Beobachtern nur noch betretenes Schweigen hervor.
Und überhaupt Contador: Der junge Spanier gehört ja zu den "Neun von Strassburg", jenen Fahrern um Jan Ullrich und Ivan Basso, die kurz vor dem Start zur Tour 2006 ausgeschlossen wurden. Contador hätte ebenso wie Rasmussen gar nicht am Start stehen dürfen, wenn die Tour den Kampf gegen Doping wirklich konsequent verfolgen würde. Das ist mehr als ein Ärgernis und beinahe schon eine Bankrotterklärung des drittgrößten Sportereignisses der Welt.