"Ein Blitz ... und dann die Nacht. (…) werde ich dich in Ewigkeit nicht wiedersehen? (…) NIEMALS vielleicht! (…) Oh dich, die ich geliebt hätte, oh dich, die es wusste." Charles Baudelaire, der alte Flaneur und Melancholiker, hat in seinem Gedicht "Die Passantin" den Gefühlssturm wundervoll wiedergegeben, den eine kurze Begegnung auslösen kann.
Aber in Frankreich sind die Zeiten vorbei, in denen man sich rückhaltlos der Verzweiflung und tiefsinnigen Betrachtungen über die Rolle des Zufalls im Leben hingeben konnte, weil das schöne unbekannte Gegenüber so schnell wieder in der Masse verschwand, wie es kurz aufgetaucht war. Seit etwa einem Jahr gibt es mehrere Websites, die helfen, es wieder zu finden, und die Zahl der User wächst schnell.
100.000 sind bei dilelui.com eingeschrieben, 15.000 haben Suchanzeigen laufen. Bei paribulle sind es nicht ganz so viele, aber die Site ist auf Begegnungen im Pariser Raum beschränkt. Dilelui.com, wo man anfangs auf die Suche nach den Holden gehen konnte, die einen in öffentlichen Verkehrsmitteln bezauberten, hat bald schon den Service auf jede Form von öffentlichem Raum ausgeweitet - einschließlich Google-Map, mit deren Hilfe man den genauen Ort der Begegnung beschreiben kann.
Die heiße Linie 1
Die heißesten Flirt-Strecken Frankreichs scheinen die Schnellzugstrecke Paris - Lyon und die Pariser U-Bahn-Linie 1 zu sein, die das Stadtzentrum in Ost-West-Richtung durchquert. "Du hast dich in der Tür noch mal umgedreht und mir zugelächelt", heißt es in einer Suchanzeige auf dilelui.com, "und jetzt muss ich dauernd an dich denken". Kurze Beschreibung des eigenen Aussehens und des Objekts der Bezauberung, Ort und Zeit - das kann reichen, um einander wiederzufinden.
70 Prozent der Fahrgäste, hat die Betreibergesellschaft der Pariser Metro kürzlich in einer Umfrage herausgefunden, haben schon mit anderen Fahrgästen geliebäugelt. Kein Wunder eigentlich, wenn man bedenkt, wie viel man in dieser Stadt unterwegs ist, wenn man täglich zur Arbeit fahren muss. Ein Fünftel der Fahrgäste hat auch schon Kontakt aufgenommen und die Hälfte dieser Kontakte hat zu einer irgendwie gearteten Bekanntschaft geführt. Eine Liaison, die aus einer Metro-Bekanntschaft entstand, galt unter Parisern schon immer als ein Gipfel der Romantik.
Der Gründer war persönlich betroffen
Der Gründer von dilelui.com, Jerome Boudot, hat seine Site als persönlich Betroffener auf die Beine gestellt: Monatelang hat er im Bus einer faszinierenden Unbekannten nachgeschaut und sich nicht getraut, sie anzusprechen. "Die Blamage, öffentlich einen Korb zu kassieren, war mir einfach ein Horror", sagt er. Da hat er geschickt Abhilfe geschaffen: Nun kann man sein langes Gesicht zu Hause hinterm Bildschirm verstecken.
Als Partnervermittlung will Jerome Boudot seine Site nicht verstanden wissen: Sie vermittelt keine Begegnungen, sondern ein Wiedersehen. "Die Leute sind ziemlich diszipliniert", hat Boudot festgestellt. Es tummeln sich hauptsächlich Leute, die nicht auf der Suche nach egal wem sind. Ein User erzählt, er habe seiner Schönen noch sein Mobiltelefon an die Fensterscheibe der abfahrenden S-Bahn gehalten, mit der Adresse der Website auf dem Schirm. Für die Formulierung der Anzeigen sei noch mal auf Baudelaire verwiesen: "Flüchtige Schönheit, deren Blick mir ein neues Leben geschenkt hat, (…), ich trank in deinem Auge faszinierende Sanftheit und lebensbedrohliche Lust."