Die Kuriositäten um die sogenannte Pornostreaming-Abmahnwelle gehen weiter: Erst vor kurzem hat die Berliner Kanzlei Müller Müller Rößner (MMR) den Anwalt Thomas Urmann, der die Abmahnungen im Fall Redtube verschickt hat, wegen Betrugs angezeigt. Nun veröffentlicht sie ein Gutachten über die Software GLADII 1.1.3, mit der angeblich die IP-Adressen der Abgemahnten ermittelt wurden.
Das Dokument wurde von einer Münchner Patentanwaltskanzlei für die Schweizer The Archive AG erstellt, in deren Auftrag auch Urmann tätig war. Die Abmahner benutzten es dazu, das Kölner Landgericht davon zu überzeugen, die Herausgabe von Namen und Adressen der Betroffenen zu erlauben. Experten bezweifeln, dass sich das Vorgehen damit rechtfertigen lässt.
Der Fachanwalt Udo Vetter bezeichnet das Gutachten in einem Blogeintrag als "völlig untauglich", um zu zeigen, wie die IP-Adressen besorgt wurden. Für seinen Kollegen Thomas Stadler ist das Dokument "weder aussagekräftig, noch trifft es zum Streaming überhaupt Feststellungen". Und Rechtsanwalt Johannes von Rüden, der mehr als 650 Betroffene im Fall Redtube verteidigt, merkt in einer Pressemitteilung an: "Das lässt die ganze Affäre noch eigenartiger erscheinen, als sie ohnehin schon ist."
Neue Nahrung für alte Vorwürfe
Zweifel am rechtmäßigen Vorgehen der Abmahner gibt es schon länger. Die Staatsanwaltschaft ermittelt und die Strippenzieher haben sich teilweise abgesetzt. Das Gutachten liefert also neue Nahrung für alte Vorwürfe, darin heißt es zum Beispiel:
- "Die bei den Tests durchgeführten Aktionen beruhen technisch auf üblichen Internettechnologien, welche beim Einsatz in dem verwendeten Test-Szenario keine Bedenken hinsichtlich etwaigen Gesetzesverstößen erkennen lässt." Das Gutachten sei voll von solchen Beteuerungen, dass GLADII 1.1.3 wirklich seinen Zweck erfülle, kritisiert Rechtsanwalt Vetter. Wie genau die Daten jedoch auf technischem Wege zustande kommen, bleibe weiter im Dunkeln.
- "[...] drei Medien-Dateien wurden vom Auftraggeber als zur Überprüfung der Software geeignete beispielhafte Dateien [...] bestimmt." Offenbar hat der Sachverständige das Programm also nur anhand von drei Videoclips geprüft, die ihm auch noch von den Abmahnern vorgegeben wurden - und die diese ohne Weiteres manipuliert haben könnten. Eine verlässliche Aussage über die Funktionstüchtigkeit sei jedoch nur per Zufallsauswahl möglich gewesen, so Vetter.
- "Es war das Ziel der Überprüfung festzustellen, ob die Software Download-Aktionen von im Internet betriebenen Medien-Hostern korrekt erfasst." Hier ist von "Download" die Rede und nicht von "Stream". Laut Rechtsanwalt Stadler zieht sich das durch den ganzen Text. Eine technische Begriffsverwechslung, die rechtliche Konsequenzen hat. Auch das Kölner Landgericht sprach im Dezember von "Tauschbörsen", als es die Herausgabe der Adressen anordnete. Downloads bei Tauschbörsen sind strafbare Urheberrechtsverletzungen, Streams hingegen sind nach wie vor eine rechtliche Grauzone.
- "Promovierter Physiker und Patentanwalt mit 18 Jahren Berufserfahrung [...] mit den Technologien der Informationsverarbeitung und Informationsübertragung über das Internet in einem Maß vertraut, welches über das für die vorliegende Untersuchung notwendige Maß weit hinausgeht." So beschreibt Frank Schorr, der Autor des umstrittenen Gutachtens, sich selbst. Referenzen für seine angebliche Qualifikation liefert der Sachverständige jedoch nicht.
Rechtsanwalt von Rüden kommt daher zu dem Fazit: Die Zuständigen hätten schon "nach nur flüchtiger Lektüre des Gutachtens eigentlich sofort erkennen müssen, dass man sich hierauf nicht verlasen darf". Ins Bild passt auch, dass itGuards, die angebliche Herstellerfirma von GLADII, erst vier Monate nachdem der Sachverständige das Programm getestet haben will, gegründet wurde. Insofern ist das lückenhafte Gutachten nur ein weiteres Puzzleteil, das die Hintermänner im Fall Redtube noch dubioser erscheinen lässt als ohnehin schon.