Posse Fiona Apples Phantom-Album

Von Matthias Spielkamp
Fiona Apple ist ein Star des Alternative Rock. Doch niemand kann ihr neues Album kaufen. Obwohl es nicht veröffentlicht wurde, ist es erfolgreich - im Internet. Fionas Fans fragen: Warum können wir nicht dafür bezahlen?

Fiona Apples Debutalbum wurde mehr als drei Millionen Mal verkauft. 1998 ist sie mit einem Grammy ausgezeichnet worden, dazu kamen zwei MTV Video Music Awards. Vor mehr als zwei Jahren hat der Star eine neue Platte gemacht. Die Songs sind derzeit ein Megahit in Musiktauschbörsen. Die Umsätze mit dem Album aber liegen bei Null. Denn kaufen kann man es nicht. Es steht in den Regalen von Sony Music, aber nicht in einem einzigen Geschäft.

Es ist eine der bizarrsten Geschichten in einem Business, dem es an bizarren Geschichten nicht mangelt. "Extraordinary Machine", Fiona Apples neue Platte, ist seit mehr als zwei Jahren fertig. Doch Epic Records, eine Sony Music-Tochter, hat das Album bis heute nicht veröffentlicht - trotz des gigantischen Erfolgs der Vorgänger-CDs. Dann kam Andrew Harms.

Ein DJ als Verkünder

Der DJ bei The End 107.7, einem auf "Alternative Rock" spezialisierten Radiosender in Seattle, hatte die Musik in die Finger bekommen. Wie, sagt er nicht. Seit er begonnen hat, sie zu spielen, rast eine neue Welle der Fiona-Apple-Begeisterung durchs Netz.

Inzwischen ist es kein Problem mehr, alle elf Songs des Albums in bester Qualität in Tauschbörsen zu finden. Doch nicht nur das: Es gibt auch Websites, von denen man die Stücke direkt herunter laden kann. Normalerweise eine Einladung an die Anwälte der Plattenfirmen, die Anbieter mit Abmahnungen zu überhäufen. In diesem Fall ist nichts passiert. Ist das Ganze vielleicht nicht mehr als eine ausgeklügelte Marketingmasche?

DJ Andrew Harms, der selber noch keinen Anruf von Sonys Rechtsabteilung bekommen hat, bestreitet, Teil einer Kampagne zu sein: "Es ist tolle Musik, und ich denke, so viele Menschen wie möglich sollten sie hören", sagte er zu Wired News, "Ob Sony das Album veröffentlicht oder die Leute es übers Internet bekommen, ist mir egal - jedenfalls ist es ganz sicher nicht gemacht worden, um im Regal zu verstauben."

Wie ein schwarzes Loch

Jon Brion, Apples Produzent, sagte dem "Rolling Stone" bereits im März 2004, das Album sei fertig und warte darauf, veröffentlicht zu werden. Doch die Epic-Manager seien "noch auf der Suche nach einer Single". Wie lange das dauern werde, könne er nicht sagen: "Sie nehmen sich soviel Zeit, wie sie wollen - das ist wie ein schwarzes Loch."

In einer E-Mail an Wired News äußerte sich ein Manager von Epic Records nicht dazu, ob es nun legal sei oder nicht, ein unveröffentlichtes Album im Radio zu spielen oder im Internet anzubieten, sondern schreibt: "Fiona hat bisher ihr nächstes Album noch nicht an Epic geliefert, aber wir warten gemeinsam mit Musikfans ungeduldig auf ihre nächste Veröffentlichung."

Vielleicht sollte er es in einer Tauschbörse versuchen. Big Champagne, eine Marktforschungsfirma, die misst, welche Songs bei Kazaa & Co am beliebtesten sind, hat festgestellt, dass zu jedem beliebigen Zeitpunkt 30.000 Nutzer einen der Songs aus Apples "Extraordinary Machine" abrufen. Ziemlich viel für Musikstücke, die es gar nicht gibt.

Free Fiona!

Die Apple-Anhänger sind derweil kurz vorm Durchdrehen. Mark Morford, Musik-Kolumnist bei SFGate.com, dem Online-Angebot des San Francisco Chronicle, schäumt: "Ist das der dümmste Marketing-Test der Geschichte?" Und auf Websites wie freefiona.com und fionaapple.org betteln Fans geradezu darum, endlich Geld ausgeben zu dürfen für die CD, inklusive Petition und Posterkampagne. Selbst vor dem Sony-Hauptquartier in New York haben einige von ihnen bereits protestiert, bei "einer gefühlten Temperatur von minus 24 Grad", wie Dave Muscato, Gründer der freefiona-Kampagne, berichtet.

Vielleicht sind die Musik-Manager auch einfach nur eingeschnappt. In ihrem Song "Please Please Please", ebenfalls auf dem Phantom-Album "Extraordinary Machine", singt Fiona Apple mit unverkennbarer Ironie: "Bitte, bitte, bitte, keine Melodien mehr - sie bewirken nichts, sind unbedeutend, bereits ausgedacht. Gebt uns Vertrautes – ähnlich dem, was wir kennen; das wird uns ruhig halten. Ruhig, auf dem Weg nach Nirgendwo."

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