Roboter mit Kamera Warum Amazon bald Ihre Wohnung kennen könnte – und was der Konzern dazu sagt

Ein Roomba-Roboter fährt durch ein Zimmer, im Hintergrund ein Hund
Die Kamera in einem Saugroboter soll nach Angaben der Hersteller die Erkennung von Hindernissen, insbesondere Tieren verbessern.
© iRobot
Amazon will den Saugroboter-Hersteller iRobot kaufen – 1,7 Milliarden US-Dollar würde sich der IT-Gigant das kosten lassen. Sicherheitsexperten weltweit schlagen die Hände über dem Kopf zusammen.

Internetriese Amazon will sein Angebot smarter Haushaltshelfer erweitern. Für 1,7 Milliarden US-Dollar plant der Konzern – sofern es behördlich erlaubt wird – die Übernahme des Saugroboterherstellers iRobot. Damit würden sämtliche Produkte der Marke Roomba in Zukunft zu Amazon gehören. Doch Amazon würde mehr als nur zahlreiche neue Geräte, die man beim Prime Day reduzieren kann, erhalten – denn iRobot sitzt auf deinem Datenschatz. Viele Experten fürchten, dass Amazon diesen vermutlich heben wird.

Die Rede ist von exakten Grundrissen aller Kunden, die einen entsprechend ausgerüsteten Roboter durch die Wohnungen und Häuser fahren lassen. Das reicht von einfachen Karten, die mittels Laser erstellt werden, bis hin zu sehr genauen Aufnahmen, die Modelle wie beispielsweise der Roomba J7 mit einer Kamera aufzeichnen.

Kameras dienen der Reinigung – aber nicht nur

Offiziell dienen die Kameras der Reinigung selbst – denn durch die verbesserte Erkennung von Hindernissen ist eine optimierte Navigation möglich und damit eine effizientere Arbeitsweise. Zu Analysezwecken schickt der Roboter die Aufnahmen dafür auch an den Hersteller – und das weckt Begehrlichkeiten.

Daraus macht iRobot seit Jahren keinen Hehl. Schon 2017 hieß es in einem Interview mit "Reuters", man plane, die Kartendaten mit Drittanbietern zu teilen – sofern der Kunde dem zustimmen sollte. Konzernchef Colin Angle sagte damals: "Es gibt ein ganzes Ökosystem von Dingen und Diensten, die das intelligente Haus bereitstellen kann, sobald man eine umfassende Karte des Hauses hat, die der Benutzer freigegeben hat."

Der Forscher Ron Knox bezeichnete den Deal via Twitter daher jüngst als "gefährlichste, bedrohlichste Übernahme in der Amazon-Geschichte", sowie als "Alptraum". Denn theoretisch könnte Amazon die Daten, die man bereits durch Geräte wie den Echo Spot oder andere Alexa-Geräte mit Kamera gesammelt hat, durch die Karten des Saugers erweitern. 

Der Datensatz, der sich daraus ergibt, wäre gigantisch. Und fortlaufend aktuell – denn ein Saugroboter merkt sich, wenn Möbel sich verändern, Teppich gelegt wurde oder andere Veränderungen der Wohnsituation eintreten. Das Büro wurde kürzlich zum Kinderzimmer? Amazon wüsste das – und zwar sehr schnell. Für zielgruppenorientierte Werbung ein Geschenk des Himmels.

"Wer Privatestes von uns weiß, hat Macht über uns"

Wie kritisch dieser Kauf – und der Einsatz solcher Roboter – zu bewerten sein könnte, weiß auch Caroline Krohn, Grünen-Politikerin und Gründerin der AG Nachhaltige Digitalisierung. Im Gespräch mit dem stern erklärt sie: "Wir müssen uns alle darüber im Klaren sein, dass jedes Unternehmen, dem wir unsere Daten überlassen, potenziell Missbrauch betreiben kann. Auch wenn es uns noch so vertrauenswürdig erscheint – spätestens mit dem Verkauf eines Unternehmens können wir nicht mehr kontrollieren, was mit unseren Daten passiert."

Im Falle der eigenen Wohnung hieße das, so Krohn: "Wenn unsere Wohnung vermessen wird, wird unser persönlichster Bereich vermessen. Wenn wir nicht überschauen können, wer wieviel über uns weiß, dann wissen wir auch nicht, wie dieses Wissen eingesetzt wird, um uns im schlimmsten Fall zu manipulieren und zu beschädigen. Wer Privatestes von uns weiß, hat Macht über uns. Wer Macht über uns hat, greift unsere Selbstbestimmung an. Darum sollte überhaupt kein Unternehmen aus unserem Privatbereich Erkenntnisse ziehen und diese Erkenntnisse schon gar nicht weiterverkaufen."

Ist eigener Datenschutz überhaupt möglich?

Daraus ergibt sich die Frage, wie es überhaupt um den Datenschutz bestellt ist, wenn man ein Produkt einer Marke kauft, die Daten – sagen wir zu Verbesserung der Dienste oder der Funktionalität erhebt – dann aber jemand kommt und zugreift. An dieser Stelle bemängelt die IT-Sicherheitsexpertin: "Wir haben heute bei weitem keine ausreichende Rechtsdurchsetzung, die die Weitergabe von Daten bei einer Unternehmenstransaktion verhindert. Oftmals sind Datenbestände überhaupt der Grund für Firmen, andere Unternehmen zu kaufen. Daran ist extrem gefährlich, dass Daten nicht verschwinden; sie sind immer da und können immer angereichert werden."

Caroline Krohn
Fordert mehr politisches Engagement in puncto Datenschutz: IT-Expertin Caroline Krohn (Grüne).
© Martin Kreutter

Eine weitere schlechte Nachricht: Der einzelne Kunde kann recht wenig tun, wenn es darum geht, erhobene Daten bei einem Unternehmensverkauf aus der Verhandlungsmasse zu löschen. Caroline Krohn fasst zusammen: "Wenn die Politik sich nicht mehr anstrengt, ihre eigenen Gesetze angemessen durchzusetzen, kann das Individuum noch so viel tun, um Unternehmen ihre Daten nicht zu überlassen – sie werden sich nicht selbst wehren können. Der Datenhunger der Konzerne ist immens. Hier müssen strukturelle Veränderungen her."

Amazon erklärt sich

Auf Anfrage teilte Amazon dem stern mit, dass es tatsächlich um die beliebten Haushaltshelfer gehe – nicht um Daten. Dave Limp, SVP Amazon Devices, sagte: "Wir wissen, dass es wichtig ist, Zeit zu sparen, und dass Hausarbeit kostbare Zeit in Anspruch nimmt, die besser für etwas genutzt werden kann, das die Kunden lieben. Über viele Jahre hinweg hat das iRobot-Team bewiesen, dass es in der Lage ist, die Art und Weise, wie Menschen putzen, neu zu erfinden – mit Produkten, die unglaublich praktisch und einfallsreich sind. Die Kunden lieben iRobot-Produkte – und ich freue mich darauf, mit dem iRobot-Team zusammenzuarbeiten, um das Leben der Kunden einfacher und angenehmer zu gestalten."

Ferner teilte das Unternehmen mit: "Der Schutz von Kundendaten war Amazon schon immer sehr wichtig, und wir sind der Meinung, dass wir in all unseren Geschäftsbereichen sehr gut mit den Daten unserer Kunden umgegangen sind. Das Vertrauen der Kunden ist etwas, das wir uns hart erarbeitet haben – und jeden Tag hart daran arbeiten, es zu erhalten." Einen Verkauf der Daten oder eine Nutzung zu Zwecken, denen die Kunden nicht explizit zustimmen würden, schloss das Unternehmen aus.

Die Warnung vor zu vielen Kameras in den eigenen vier Wänden beschränkt Krohn ohnehin nicht nur auf Amazon. In den Räumen des Autors dieses Textes dreht ein Exemplar der chinesischen Marke Roborock seine Runden – und filmt ebenfalls fleißig, was sich in der Wohnung befindet, wo Teppich liegt und wo sich Möbel verändern. Sicherheitshalber schloss der stern daher die Frage an, ob das besonders clever sei. Die kurze, aber ehrlich Antwort der Expertin: "Nein."

Womit der Kreis zum Prinzip der Datenvermeidung und der Datensparsamkeit geschlossen wäre: Die einzige Möglichkeit, sich nachhaltig und effektiv gegen Spionage zu wehren, ist möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Dafür muss man wohl oder übel auf so manchen Komfort verzichten – und vielleicht einfach selbst die Wohnung saugen.

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