Fröhlich lächelnd winkt Tante Martha ihrem Neffen Tom von dem Bildschirm an ihrem Grabstein entgegen. Vor ihr flackern 84 Kerzen auf einer Sahnetorte. Tante Martha holt tief Luft, bläst ihre Wangen auf und pustet die Kerzen aus, lächelt - und dann ist der Bildschirm dunkel, der Film vorbei. Vor zwei Jahren ist Tante Martha gestorben. Seitdem passiert immer dann, wenn Neffe Tom an ihrem Grab vorbei schaut, etwas, das es noch auf keinem deutschen Friedhof gegeben hat: Es flimmert ein Geburtstags-Video von Tante Marthas 84. über einen im Grabstein eingelassenen Flachbildschirm. Willkommen im Zeitalter des Digisteins.
Dieses Szenario ist frei erfunden, Tante Martha und Neffe Tom sind fiktive Platzhalter für ein Schauspiel, das es so nicht gibt. Noch nicht. Bald könnten sich Szenen wie diese auch auf deutschen Friedhöfen abspielen. In den Niederlanden sind sie längst Realität. Im Mai 2007 feierte der digitale Grabstein auf dem Friedhof in Rhenen Premiere. Seitdem kommt eine holländische Witwe regelmäßig an das Grab ihres dort ruhenden Ehemannes, um sich auf einem Flatscreen Bilder aus seinem Leben anzuschauen.
Nächtliches Sendeverbot für den Digistein
Digizerk - so nennt der holländische Ingenieur Hendrik Rozema seine Erfindung, die Kombination aus digitalem Bildschirm und Grabstein (auf niederländisch Grafzerk). Fünf Jahre hat Rozema getüftelt, bis alles so funktionierte, wie er sich es ausgemalt hatte - von der Sicherheit über die Wetterbeständigkeit bis zur Bedienbarkeit. Damit beispielsweise nicht jeder beliebige Friedhofsbesucher Tante Marthas Geburtstagsvideo oder Opa Gerds Hochzeitsfotos anschauen kann, hat Rozema eine spezielle Infrarot-Fernbedienung entwickelt, mit der nur die Hinterbliebenen den Flatscreen anschalten können, wenn Sie am Grab stehen. Konnten die Minicomputer anfangs nur dreimal täglich für bis zu drei Minuten angeschaltet werden, haben sie mittlerweile je nach Witterung eine Laufzeit von bis zu zwei Stunden - sofern es nicht dunkel ist. Denn nachts soll die Friedhofsruhe nicht gestört werden, dann hat der Digizerk Sendeverbot.
Tagsüber sind der digitalen Friedhofshow allerdings kaum Grenzen gesetzt. Im Gegensatz zu den in Stein gemeißelten Worten eines herkömmlichen Grabsteins, lassen sich die Botschaften des Digizerks frei nach den Wünschen der Hinterbliebenen variieren. Mit einer Speicherkarte können sie Fotos und Filme auf den digitalen Grabstein übertragen. Demnächst soll die Datenübertragung sogar per SMS funktionieren. Dann können die Hinterbliebenen Botschaften direkt auf den Grabstein schicken.
Einziges Tabu: Musik. Rozema hat bewusst auf Lautsprecher verzichtet. Für ihn soll der Friedhof auch im digitalen Zeitalter ein Ort des stillen Gedenkens bleiben.
Die Stromversorgung der Bildschirme mit 20 bis 30 Zentimetern Diagonale und des integrierten Computers läuft über einen zigarettenschachtelgroßen Akku, der in eine spezielle Vorrichtung an der Rückseite des Grabsteins gesteckt wird. Und wem das zu umweltschädlich ist, kann den Digistein auch über Solarzellen mit Strom versorgen lassen.
Wetterfest und vandalismusresistent
Selbst Wind und Wetter können dem digitalen Grabstein nichts anhaben. Rozema hatte in Sachen Wetterbeständigkeit eine klare Vorstellung: Der Digizerk sollte in Norwegen ebenso funktionieren wie in Tunesien. Tatsächlich sollen die verschiedenen Modelle Temperaturen von 50 Grad unter Null bis 50 Grad über Null genauso aushalten können wie Platzregen und Kondenswasser. Selbst diebstahlsicher und vandalismusresistent sind sie. "Da müsste man schon mit dem Bagger oder einer Flex anrücken, um die mitnehmen zu können.", sagt Carsten Glaser. Er muss es wissen, er ist der Mann, der die Digisteine jetzt auch in Deutschland vertreiben möchte. Das heißt, Digisteine trifft es nicht ganz. Glaser ist in Greven Tischlermeister und stellt witterungsbeständige Grabmale aus Holz in Kombination mit Edelstahl und Glas her. Deswegen nennt er sie auch digitale Grabmäler.
Durch Zufall habe er auf einer Messe von Rozemas Digizerks erfahren, Kontakt zu dem Ingenieur aufgenommen und schließlich Grabmale entwickelt, in die sich Flatscreens integrieren lassen. Herausgekommen sind futuristisch geschwungene Edelstahl-Modelle, schlichte Holzskulpturen und apfelblattförmige Grabplatten. Zwischen 3000 bis 5000 Euro kostet ein echter Glaser. Der Preis variiert je nach Material und Größe des Bildschirms. Ein Preis, den einige aber offenbar gerne zahlen für ihre ganz persönliche postmortale Diashow. Eines seiner digitalen Grabmale hat Glaser bereits verkauft. Das Modell "Apfelblatt" steht allerdings nicht am Grab eines Verstorbenen, sondern im Garten eines quicklebendigen Coesfelders. Dem gefiel die Kombination aus Holzkunst und Grab-TV offenbar so gut, dass er sie schon zu Lebzeiten als Garten-Skulptur nutzen wollte. Doch auch andere Deutsche scheinen Gefallen an dem Digimal gefunden zu haben. Zwei weitere Aufträge sind bereits bei Glaser eingegangen. Einer aus Nord- der andere aus Süddeutschland.
Ungewöhnlich, aber nicht verboten
Digitales Friedhofs-Entertainment in Deutschland, dem Land der Regeln und Vorschriften? Und das soll gestattet sein? Laut Glaser ist es das. Auf verschiedenen Messen habe er seine Holz-High-Tech-Kombi schon vorgestellt und größtenteils positive Resonanz bekommen. Selbst die Verwaltung des Waldfriedhofs Lauheide in Münster, die sogar Porzellanbildchen auf den Grabsteinen verbiete, habe nichts gegen den digitalen Grabstein - solange er dezent sei. Und dafür hat Glaser gesorgt: Beim "Apfelblatt"-Modell lässt sich zum Beispiel ein Holzelement vor den Bildschirm schieben, sodass er für andere Friedhofsbesucher nicht sichtbar ist.
Dr. Rolf-Peter Lange, Vorsitzender des Verbandes Deutscher Bestattungsunternehmer, sieht den geplanten Einzug des digitalen Grabsteins auf deutsche Friedhöfe mit der Gelassenheit eines Bestatters, der sich zwangsläufig den Entwicklung des 21. Jahrhunderts beugen muss: "Es ist nicht zu ändern", so seine Reaktion. Begeisterung hört sich anders an. Tja, so sei das nun mal, das digitale Grabmal sei nur ein weiterer Ausdruck einer sich ändernden Erinnerungskultur, sagt er weiter. "Heute feiern die Enkel mit einem Glas Sekt am Grab der Oma, weil die sich schließlich auch jeden Samstag im Kadewe eines gegönnt hat. Wie gelebt, so gestorben.", sagt Lange. Der digitale Grabstein sei nur ein zeitgemäßes Angebot. Rechtlich sei er nicht zu beanstanden, meint der Bestattungsunternehmer. Die Friedhofsordnung reglementiere zwar so ziemlich alles - von der erlaubten Heckenhöhe über die Bepflanzung bis zum Neigungswinkel des Grabsteins - doch wo kein Kläger, da kein Richter. Solange sich niemand beschwere, spreche nichts gegen die digitalen Grabsteine.