Geschichte Flugpionier ohne Ruhm: Streit um Gustav Weißkopf

Hat er oder hat er nicht? Laut einigen Augenzeugenberichten ist Gustav Weißkopf bereits 1901 der erste Motorflug gelungen - zwei Jahre vor den Wright-Brüdern. Die meisten Historiker bezweifeln dies.

Der Herausgeber der US-Zeitung "Bridgeport Sunday Herald" war begeistert: "Das Flugzeug schoss wie ein Drachen in die Luft. Es sah aus wie ein aus dem Käfig freigelassener Vogel", schwärmte Zeitungsmann Richard Howell vom ersten Motorflug des Deutsch-Amerikaners Gustav Weißkopf in der US-Stadt Fairfield (New Jersey). Man schrieb den 14. August 1901. Mehr als ein Dutzend Augenzeugen bestätigten noch Jahre später unter Eid Howells Beobachtungen oder vorangegangene erfolgreiche Testflüge Weißkopfs.

Leider keine Aufzeichnungen

Trotzdem hat die angebliche fliegerische Pionierleistung des gebürtigen Franken einige Schönheitsfehler: Kein Foto belegt den Flug, keine wissenschaftliche Aufzeichnungen dokumentieren Weißkopfs Tests. Führende Luftfahrt-Historiker erkennen deshalb die fliegerische Pioniertat bis heute nicht an und bezweifeln, dass seine "Flugmaschine 21" jemals vom Boden abgehoben hat. Für die eigentlichen Väter des Motorflugs halten viele Experten die Gebrüder Wright, die erstmals 1903 geflogen sind.

Die Skepsis von Fachleuten ficht Hermann Betscher aus Weißkopfs Geburtsstadt Leutershausen bei Ansbach nicht an. Er und seine Mitstreiter von der "Flughistorischen Forschungsgemeinschaft" sind überzeugt: "Weißkopf gelang zwei Jahre früher als den Wrights der motorisierte Erstflug."

Falsche Bescheidenheit?

So viel ist für die Hobby-Historiker klar: Um die Früchte seines Erfindergeists hatte Weißkopf allein seine Bescheidenheit gebracht. Weißkopf, der 1927 verarmt in den USA starb, hatte sich nie ernsthaft um Anerkennung seiner Pionierleistung bemüht. "Diese Flüge taugen alle nichts. Hinfliegen können wir noch nicht überall", soll Weißkopf im August 1901 seine Testflüge heruntergespielt haben. Aus Geld- und Zeitnot hatte der Familienvater auch nie ein Patent angemeldet.

Der Nachbau konnte jedenfalls fliegen

Den Beweis, dass Weißkopfs fledermausähnliche Flugzeug-Konstruktion flugtauglich war, lieferte die Leutershausener Forschungsgemeinschaft im Februar 1998: Auf einem Flugplatz der Bundesluftwaffe in Manching bei Ingolstadt hob der Testpilot Horst Philipp die mit zwei Ultraleicht-Motoren bestückte "Nummer 21" von der Startbahn ab - um sie nach einigen 100 Metern wieder sicher aufzusetzen. Der Pilot zeigte sich von den Flugeigenschaften des nach historischen Fotos nachgebauten Oldtimers begeistert.

Skeptiker gegen Weißkopf

Die jahrzehntelange Hoffnung der Leutershausener auf späten Ruhm ihres "Sohnes" droht nun allerdings der Luftfahrthistoriker Hans Holzer zunichte zumachen. Mitten in die Jubiläumsfeierlichkeiten im Jahr 2001 platzte der beim Deutschen Museum München für die Frühzeit der Luftfahrt zuständige Experte mit seinem neuen Buch "Gustav Weißkopf - Legende und Wirklichkeit". Darin räumen er und sein inzwischen gestorbener Co-Autor Werner Schwipps mit dem Mythos des Flugpioniers gründlich auf.

Holzer, der jahrelang Archive nach Belegen für Weißkopfs Pionierleistung durchforstete, ist sich sicher: "Weißkopfs Flugmaschine hat nie vom Boden abgehoben." Nach seiner Einschätzung lassen Weißkopfs ganze Vorgehensweise, die überlieferten Beschreibungen seines Erstflugs und die von ihm angewandte Motoren-Technik erhebliche Zweifel an der Leistung aufkommen.

Problemfall Acetylen-Motor

Der von Weißkopf angeblich eingesetzte Acetylen-Motor sei "in der Luftfahrt nie zum Tragen gekommen", gibt Holzer zu bedenken. Tatsächlich ist es der Leutershausener Forschungsgemeinschaft bis heute nicht gelungen, einen funktionsfähigen Motor dieses Typs nachzubauen. Was aber nach Holzers Einschätzung weitaus bedeutsamer ist: "Weißkopfs Motoren hatten Leistungsgewichte, mit denen er - wenn er sie wirklich gebaut hätte - Millionär geworden wäre. Selbst Daimler hatte damals keine so leichten Motoren gebaut."

DPA
Klaus Tscharnke, dpa

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