Dutzende von Maschinen surren, werfen Metallteile aus und reichen sie in Sekundenbruchteilen zur nächsten Anlage weiter. Alles läuft nach Plan. Kein Mensch ist weit und breit zu sehen. "In Ungarn habe ich zum ersten Mal so eine menschenleere Fertigungshalle gesehen", sagt Jürgen Widmann von der Firma Evo Solutions im baden-württembergischen Durlangen. Das Bild hat sich in sein Gedächtnis eingebrannt. Gespenstisch wirkte die Fabrik. Dabei hat er selbst die Fernüberwachung mit entwickelt, die diese Form der mannlosen Produktion möglich macht. In seiner Sparte spricht man von "ghost production".
In solchen Geisterfabriken wird jede Maschine von einer Videokamera überwacht. Die Bilder werden über Funk oder eine schnelle Datenverbindung via Internet in die Überwachungszentrale geschickt. Diese Zentrale kann tausende von Kilometern entfernt liegen - oder die Mitarbeiter überwachen den Betrieb von unterwegs. "Der Produktionsleiter kann mit seinem Laptop einen Blick in die Fabrik werfen", erklärt Widmann. "Seit die schnellen Datenverbindungen ins Internet ausgebaut werden, ist die Fernüberwachung auf dem Vormarsch", fügt der Maschinenbauingenieur hinzu.
Kameras entdecken Fehler schneller
Die Fernüberwachung koste ein paar hundert Euro pro Kamera, spare aber immense Kosten. Viele Fahrten in die Fabrik würden entfallen. Ein Mitarbeiter schaut am Wochenende vom heimischen Arbeitszimmer aus alle zwei Stunden auf den Bildschirm und sieht nach, ob die Produktion läuft. Erst wenn ein Container mit fertiger Ware überzulaufen droht, muss er in die Fabrik fahren und diesen wegräumen. "Die Maschinen werden durch die Fernüberwachung besser ausgelastet", sagt Widmann. Die Produktion stehe seltener still, weil die Kameras oft schneller Fehler oder ein Stocken in der Fertigung bemerken würden als der Mensch.
Die meisten Kunden von Evo Solutions erzeugen Bauteile aus Metall oder Kunststoff. Massenware par excellence. Von der Radkappe bis zum Armaturenbrett ist alles dabei. Auch Jogurtbecher für Lebensmittel werden unter der Aufsicht von Kameras geformt. Zusätzlich zu den Kameras wachen und werkeln in einigen Firmen allerdings stets auch noch Mitarbeiter. Der Trend gehe aber bei der Massenfertigung zum vollautomatisierten, fernüberwachten Betrieb, betont Widmann.
Mitarbeiter fürchten Überwachung
Die Mitarbeiter reagieren auf die zunehmende Überwachung häufig kritisch. "Wenn der Betriebsrat sich quer stellt, können wir eben nicht die ganze Halle überwachen", sagt Widmann. Häufig fürchten die Mitarbeitervertreter, dass dies einer minutiösen Kontrolle der verbliebenen Mitarbeiter gleichkommt. Jede Zigarettenpause wird von Kameras mitgeschnitten. Argwöhnische Chefs könnten die Aufzeichnungen gegen ihre Untergebenen verwenden, lautet die Sorge. Widmann hat auch dafür die passende Antwort parat: In diesen Fällen müsse jede Maschine einzeln mit einer Kamera ausgestattet werden, wobei das Umfeld bewusst ausgespart wird.
In anderen Ländern stehen der Fernüberwachung seltener Gewerkschaften oder Betriebsräte im Weg: "Von Deutschland aus werden Fabriken in Indien kontrolliert. Da sieht man auch, wenn bei Mitarbeiter X die Maschine in der Nacht eine Stunde stehengeblieben ist", erzählt Widmann. Darin sieht er den besonderen Vorzug der Fernüberwachung von globalen Produktionsstätten. Ohne Kameras gebe es nämlich einen Jo-Jo-Effekt: Ist der Produktionsleiter vor Ort, werde sehr effizient gearbeitet. Reise er ab, sinke die Leistung der Mitarbeiter, sagt Widmann. Per Video könne der Betrieb rund um die Uhr im Auge behalten und ausgewertet werden. Mit der Fernüberwachung sei die Produktivität gleichbleibend hoch.
Mehr als 9000 Maschinen in 49 Ländern
Die Firma Homag in Schopfloch bei Stuttgart lehnt die Kontrolle von Mitarbeitern via Fernüberwachung strikt ab. Vielmehr stellt sie Maschinen her, die aus der Ferne gesteuert werden können. Mehr als 9000 Maschinen des Unternehmens sind derzeit auf 49 Länder verteilt. Von der Schweiz bis nach Afrika sägen, fräsen und runden sie Wände und Türen von Möbeln.
Wenn eine Maschine aussetzt, können die Kunden anrufen und dem Unternehmen erlauben, sich die Maschine via Internet anzusehen. "Wir starten dann einen Ferndiagnoseeinsatz. Alle Maschinen werden von einem PC gesteuert, auf dessen Daten wir über ein Modem oder eine DSL-Verbindung zugreifen. Meist lässt sich die Störung mit ein paar Tastaturbefehlen beseitigen", erklärt Maschinenbauingenieur Peter Stoll. Von 100 Servicefällen am Tag ließen sich 70 per Ferndiagnose erledigen. Nur in wenigen Fällen müsste tatsächlich ein Techniker anreisen. "Das reduziert die Kosten für unsere Kunden. Die Fahrten entfallen und die Ausfallzeit der Maschine verkürzt sich", sagt Stoll.