Sonnenlicht flutet durch die länglichen Deckenfenster der Wartungshalle 263 auf dem Lufthansa-Gelände in Hamburg. Links und rechts im Hangar steht jeweils eine imposante Boeing 737. Wo normalerweise Mitarbeiter große Maschinen gewissenhaft kontrollieren und wieder in Schuss bringen, fliegen heute Papierschwalben kreuz und quer durch die Luft. Schmale weiße Konstruktionen ziehen ihre langen Runden, und klobige, aus bunter Pappe zusammengeklebte Himmelsstürmer legen kürzere Strecken zurück. Geschrei erfüllt die riesige Halle, Rucksäcke liegen herum. Flugbahnen sind mit rot-weißem Baustellenband abgesperrt, Marken in 5-Meter-Abständen an der Strecke entlang aufgestellt.
Einige Kinder werfen ihre selbst gebastelten Flieger in die Luft und jagen ihnen wild hinterher. Andere warten konzentriert auf ihren Startversuch bei der Aktion "Hamburg lernt fliegen". Nach den abgeschlossenen Vorrunden findet hier die Endausscheidung des Wettbewerbs "Hamburg hebt ab - gemeinsam fliegen lernen" statt. Die Veranstaltung soll das Interesse von Schülerinnen und Schülern an der Welt und den Möglichkeiten des Flugzeugbaus und der Luftfahrttechnik wecken. Die Teilnehmer haben sich in ihren Schulen für die Veranstaltung qualifiziert und hoffen und bangen, dass sie mit ihren Geschossen neue Bestleistungen aufstellen und vielleicht einen Platz auf dem Siegertreppchen ergattern.
Vom Idiotenbrett und anderen Konstruktionen
Ein Blick in Richtung der Hallentore verrät, dass Helfer der Lufthansa Technical Training in ihren neongelben und orangefarbenen Westen fleißig Zeiten stoppen und Flugweiten messen. Preise können die Schülerinnen und Schüler in den Kategorien "Offene Klasse", "Längste Flugdauer" und "Größte Flugweite" abräumen. Die Spielregeln - Reißen, Schneiden, Stapeln, Ballast oder das Übertreten der Startlinie sind nicht erlaubt - hat noch niemand missachtet. Hier und da sind aber immer wieder Besucher zu sehen, die sich ruckartig ducken, damit ihr Kopf nicht Ziel einer treffsicheren Papierschwalbe wird. "Unfälle gab's noch keine", sagt Julia Fischer, Mitorganisatorin von "Hamburg lernt fliegen".
Wie sieht überhaupt die optimale Konstruktion eines Papierfliegers aus? Andreas Böhmeke, Diplom-Ingenieur und einer der Initiatoren von "Hamburg lernt fliegen", schwört auf das Modell "Idiotenbrett": Es fliegt idiotensicher und ist idiotisch einfach zu falten. Und zwar so: Ein möglichst großes Blatt an einer der Längsseiten zweimal einen Zentimeter umknicken, dann an den Außenkanten links und rechts die Kanten auch einen Zentimeter hochknicken.
Bayram (17) hingegen, einer der 500 Teilnehmer des Wettbewerbs, faltet sein Blatt Papier zu einem ganz schmalen Flieger mit einer windschnittigen Spitze. Mit der Konstruktion hat er sich für die Endausscheidung qualifiziert und ist froh, dass er es soweit geschafft hat: "Der Wettbewerb gefällt mir besser als ich gedacht hätte. In meiner Klasse habe ich mich als Vierter qualifiziert. Mehr als zehn Meter musste man schon werfen. Die Luftfahrt interessiert mich nicht, aber Papierflieger haben mir früher schon Spaß gebracht, und deswegen bin ich hier dabei." Timo (12) und seine Klassenkameraden haben keine Chance mehr auf einen der vorderen Plätze. "Unsere Würfe waren alle nicht so spitzenmäßig. Die Flieger haben ganz schön was abbekommen und sind nur 5,50 Meter weit geflogen. Aber es gab hier alles gratis. Das war toll!"
Rekorde bescheren Fluggutscheine
In einer Ecke der Wartungshalle ziehen ferngesteuerte Modellflugzeuge elegant ihre Runden unter dem Hallendach oder legen atemberaubende Sturzflüge hin. Das ist keine Selbstverständlichkeit. "Modellflug ist wegen der Sicherheitsbestimmungen in der Wartungshalle eigentlich gar nicht erlaubt. Es mussten Genehmigungen eingeholt werden, die nicht einfach zu kriegen sind", sagt Julia Fischer. Nebenan beantworten Lehrlinge dem wissbegierigen Nachwuchs Fragen zu ihrer Ausbildung in der Luftfahrttechnik. Julia Fischer ist froh, dass alles gut läuft, aber der Stress wird er von ihr abfallen, wenn der Hangar wieder leer geräumt ist: "Wir konnten erst ab 6.30 Uhr morgens mit dem Aufbau beginnen, weil in der Halle nachts regulär gearbeitet wurde, und heute Abend wird der Betrieb direkt wieder aufgenommen."
Luca (12) und sein Freund Johannes (12) vertreiben sich die Zeit bis zur Siegerehrung und toben mit ihren Papierschwalben durch die Gegend. "Ich will Pilot werden!", sagt der blonde, braungebrannte Luca. "Im Training habe ich immer über 20 Meter geworfen, aber heute war nicht mein Tag." Als es darauf ankam, konnte seine Papierschwalbe nur knappe 18 Meter zurücklegen. Am späten Mittag die Siegerehrung: Den Längenrekord hat mit 33,26 Metern Patrick Pianowski von der Kieler Gelehrtenschule geschafft. Der Flieger von Patrick Wojciniewicz vom Hamburger Heinrich-Heine-Gymnasium blieb mit 12,69 Sekunden am längsten in der Luft. Für sein besonders kreatives Werk wurde Lucas Schlichting ausgezeichnet, der auf die Gesamtschule Bergstedt geht. Sie gewannen je einen innerdeutschen Flug für zwei Personen - garantiert in einer echten Maschine.