Noch ist Barack Obama nur Kandidat, nicht Präsident. Dass er vielen schon als neuer Mann im Weißen Haus erscheint, hat vor allem damit zu tun, dass er nicht George W. Bush heißt, dass er das Vakuum, das der Amtsinhaber hinterlässt, mit Verheißungen füllt. Darüber hinaus findet sich wenig Greifbares. Ein paar Politikansätze lässt Obama zwar erkennen: Weniger Soldaten im Irak, mehr Brigaden nach Afghanistan, und Amerika soll wieder der Welt Freund und Helfer werden - alles begrüßenswert, aber noch unscharf. Absehbar ist dagegen: Der Charismatiker aus Chicago würde uns als Präsident nicht nur Freude machen, sondern die Berliner Regierung vor Herausforderungen stellen. Obamas Ankündigung, bei Konflikten wieder (endlich!) auf die Vereinten Nationen zu setzen, bedeutet auch ein stärkeres internationales Engagement der Deutschen. Mehr US-Soldaten nach Afghanistan? Da dürfte Obama auch im Kanzleramt vorsprechen und zusätzliche Bundeswehreinheiten am Hindukusch einfordern. Neinsagen fällt dann schwerer als unter der Bush-Ägide, denn der neue Präsident wird sich als großer Europa-Versteher inszenieren, der das von Bush ruinierte Verhältnis restaurieren möchte. Gut möglich, dass deshalb just im Bundestagswahlkampf eine Debatte um Kampfeinsätze der Bundeswehr losbricht, was der SPD neue Chancen böte - quasi als Dividende aus dem Schröder- Nein zum Irak-Krieg 2002.
Vor dem Einzug ins Weiße Haus hat Barack Obama allerdings noch einiges zu bewältigen: den Gegner McCain bezwingen, möglicherweise eine Schmutzkampagne der Republikaner überstehen. Und Antworten finden auf die derzeit wichtigste Frage aller Amerikaner: Wie kommt die gebeutelte Wirtschaft wieder in Fahrt? Für viele US-Bürger ist dies ein existenzielles Thema, das den Wahlkampf ab September dominieren wird. Da verdampft die Wirkung von Obamas Visite in Europa, Afghanistan und Irak ganz schnell. Er muss jetzt Wirtschaftskompetenz beweisen, sonst könnte der Traum vom ersten liberalen Afroamerikaner im Oval Office platzen. Giuseppe Di Grazia, Katja Gloger und Jan-Christoph Wiechmann, stern-Korrespondenten in Washington und New York, recherchierten auf den Spuren Obamas quer durch Amerika und zeichnen das Bild eines Kandidaten, der bislang vor allem von seiner Magie getragen wird (Seite 28).
Wohl noch nie in der Geschichte ist der Gastgeber von Olympischen Spielen so kritisch beäugt worden wie China. Die Sorge ist groß, dass hochgezüchtete chinesische Staatsathleten eine Medaille nach der nächsten abräumen werden. Das Land hat vor allem in der Leichtathletik und im Schwimmen eine unheilvolle Dopingvergangenheit - und macht es heute seinen Besuchern nicht leicht, an die propagierte Wende zum Guten zu glauben. Wochenlang reiste ein stern-Team durch China, sprach mit Dopingopfern, Trainern und Funktionären. Die stern-Reporter bewegten sich in einer Welt, in der mitunter Frauen Bärte wuchsen und Athleten so geschunden wurden, dass sie heute Krüppel sind. Über ihre Schmerzen mochten die Sportler nur in Andeutungen sprechen. "Ein offenes Wort kann in China Gefängnis bedeuten", sagt stern-Redakteur Christian Ewers, 36. Wie sauber wird Chinas Olympiateam sein? Offenkundig haben die alten Kader auch im modernen China noch das Sagen. Und die wollen Erfolg um jeden Preis (Seite 92).
Herzlichst Ihr
Andreas Petzold