Liebe Frau Peirano,
"Hilfe, ich war noch nie verliebt" – wer nach dieser Phrase googelt, bekommt vor allem Hilferufe von zwölfjährigen zu lesen. Ich aber bin 36.
Mit 12 hatte ich noch ganz andere Dinge im Sinn, in meiner Pubertät fühlte ich mich über Schwärmereien und ähnliches erhaben, mit 24 war ich der festen Überzeugung, wenn ich erst mein Studium beendet hätte und fest im "erwachsenen Leben" angekommen wäre, würde sich alles fügen. Nun ja, ich warte noch immer und langsam verliere ich die Hoffnung. Und das ist vermutlich noch schlimmer als die Tatsache *jetzt* keinen Partner zu haben.
Hatte ich bereits Partner? Zweimal habe ich es probiert, da war ich schon über 30 und beide Male war es wohl eher mein Verstand, der sagte "jetzt probier es doch einfach, das ist ein netter Kerl, vielleicht kommt die Liebe ja mit dem Tun", als echte Gefühle. Beide Male habe ich die Beziehung nach einigen Monaten beendet, weil sich die Gefühle eben nicht eingestellt haben. Eine Lüge konnte und wollte ich dann auch nicht leben.
Hatte ich Sex? Nein. Bei beiden Partnern kam es nicht so weit. Mit Partner Nr. 1 bin ich wenigstens im Bett gelandet, nur um dort zu erfahren, dass er noch nie in Gegenwart einer Frau eine Erektion hatte. Mit Nr. 2 ging von meiner Seite aus nicht mehr als ein wenig knutschen. Beide waren übrigens wie ich extrem unerfahren im Umgang mit dem anderen Geschlecht. Die Hobby-Psychologin in mir sieht hier durchaus ein Muster.
Der geneigte Hobby-Psychologe unter den Lesern wird nun vermutlich glauben, dass ich eine freudlose und kalte Kindheit hatte. Das Gegenteil ist der Fall, ich habe und hatte ein sehr inniges Verhältnis zu meinen Eltern (die übrigens schon seit über 40 Jahren glücklich verheiratet sind) und meiner Schwester. Klassisch ist hingegen, dass ich in der Pubertät mit Mobbing-Erfahrungen zu kämpfen hatte (was bestimmt auch daran lag, dass ich nicht nur eine Streberin, sondern auch immer schon der eher ernsthafte und zurückhaltende Typ war).
Die spannende Frage ist nun: Was ist los mit mir? Und vor allem: Wie kann ich mir helfen? Denn ich will nicht mehr alleine sein. Ich will nicht "nur" Tochter, Schwester, Freundin, Arbeitskollegin sein, sondern auch Partnerin und ja, auch Mutter. Und ich glaube fest, dass eigentlich schon der Mensch für eine erfüllte Partnerschaft und Familie bin. In mir steckt so viel, dass ich schenken könnte und das endlich, endlich raus will…
Herzliche Grüße Ulrike M.
Liebe Ulrike M.,
so wie Sie es beschreiben, waren Sie bisher noch nie richtig verliebt (mit Herzklopfen, Gedankenkreisen und einem entrückten Lächeln im Gesicht). Und Sie haben bisher noch keine sexuellen Erfahrungen gemacht. Das sind zwei recht verschiedene Dinge, aber zwischen den Zeilen lese ich heraus, dass für Sie Liebe, Sexualität und eine Beziehung untrennbar zusammen gehören. Das legt die Messlatte natürlich relativ hoch, um erste Erfahrungen zu machen.

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe
Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben.
Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.
Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.
Ich frage Sie trotzdem einmal geradeheraus, ob Sie sich vorstellen könnten, Ihre ersten sexuellen Erfahrungen mit jemandem zur machen, von dem Sie glauben, dass es im Bett gut passen würde. Wie fühlen Sie sich, wenn Sie sich vorstellen, sich jemanden aus Ihrem Bekanntenkreis zu suchen, den Sie attraktiv und sexy finden, und der sich sichtlich in seinem Körper wohl fühlt und sexuell erfahren ist. Und mit diesem Mann erste sexuelle Erfahrungen zu sammeln, ohne dass er Ihre große Liebe wäre? Stößt Sie der Gedanke ab oder fasziniert er Sie? Würde es Sie erleichtern, wenn Sie sich erlauben könnten, auch ohne große Liebesgefühle die ersten Erfahrungen machen zu können? Glauben Sie, dass es Sie innerlich lockerer machen würde, wenn Sie diese "Hürde" genommen hätten?
Hormone checken
Ein weiterer, ganz anderer Ansatz: Das Verlieben hat immer auch eine starke hormonelle Seite. Sie wissen sicher, dass beim Verlieben ein ganzer Hormoncocktail im Gehirn ausgeschüttet wird: Dopamin, ein körpereigenes Aufputschmittel, zaubert beste Laune und ein euphorisches Hoch. Gleichzeitig sinkt der Serotoninspiegel ab- und zwar auf das Niveau eines Zwangskranken. Während die Gedanken eines Zwangskranken darum kreisen, ob er das Bügeleisen abgeschaltet hat, kreisen die Gedanken eines Verliebten stundenlang um die geliebte Person. Weiterhin wird PEA, ein natürliches Amphetamin, im Körper ausgeschüttet: Es verleiht dem Verliebten Unmengen von Energie, so dass er wenig Nahrung oder Schlaf braucht (und sich von Luft und Liebe ernähren kann). Und dazu kommt eine erhöhte Testosteron-Ausschüttung, die die sexuelle Lust steigert. Und durch den sexuellen Kontakt wird Oxytocin ausgeschüttet- ein Hormon, das für eine starke Bindung sorgt.
Nun haben Menschen unterschiedliche hormonelle Voraussetzungen dafür, sich zu verlieben. Einige verlieben sich oft – und auch gegen ihren Willen in den Falschen. Immer wieder! Sie kennen das sicher von einigen Freundinnen. Andere verlieben sich seltener, oder das Liebesgefühl und die Lust flaut schon nach ein paar Monaten wieder ab. Wieder andere können nicht treu sein, ihre Gedanken kreisen die ganze Zeit um Sex und sie sehnen sich nach Abenteuern mit Unbekannten. All das wird auch von den Hormonen gesteuert. Bei der Bereitschaft, sich zu verlieben, spielt der Dopaminspiegel eine entscheidende Rolle. Einige Studien konnten zeigen, dass Männer nach dem Sport, in aufregenden Situationen wie z.B. einer Hängebrücke oder nach einem beruflichen Erfolg potenzielle Partnerinnen als attraktiver einschätzten und mehr Lust hatten, sich mit ihnen zu treffen.
Möglicherweise haben Sie einen sehr niedrigen Dopaminspiegel. Deshalb empfehle ich Ihnen, sich mit Ihrer Frauenärztin über dieses Thema zu unterhalten. Vielleicht kann Sie einen Hormonspiegel erstellen oder Sie zum Endokrinologen überweisen. Es wäre bestimmt hilfreich, zu erfahren, mit welchen medikamentösen oder nicht- medikamentösen Methoden (wie z.B. Ernährung, Sport, Schlaf) Sie Einfluss auf Ihren Hormonspiegel nehmen könnten. Und dann ist es an Ihnen, dass Sie für oder gegen die vorgeschlagenen Maßnahmen entscheiden.
Kommentare erwünscht!
Liebe Leserinnen und Leser,
Ihre Kommentare sind eine große Bereicherung für meine Beiträge – vielen Dank und bitte weiter so! Ich freue mich über Ihre eigenen Erfahrungen sowie über Ihre Gefühle und Gedanken beim Lesen der Frage. Aber bitte denken Sie daran, dass hier jemand etwas Intimes von sich preisgibt. Dazu braucht man einen geschützten Raum. Deshalb schreiben Sie bitte stets respektvoll und konstruktiv. Abwertende und gehässige Beiträge (gegen die ratsuchende Person, andere Leser oder gegen mich) werden nicht veröffentlicht, da sie den geschützten Raum gefährden.
Herzliche Grüße, Julia Peirano
Die amerikanische Liebesforscherin Helen Fisher hat auch mehrere Bücher zu dem Thema geschrieben, die ich Ihnen wärmstens empfehlen kann: "Warum wir lieben… und wie wir besser lieben können" sowie "Anatomie der Liebe. Warum Paare sich finden, sich binden und auseinandergehen".
Unter Druck gesetzt
Und noch etwas. Bestimmt ist es leichter gesagt als getan, wenn ich Ihnen vorschlage, sich selbst nicht so unter Druck zu setzen. Sich verlieben ist wie ein Geschenk, das nicht selten genau dann zu einem kommt, wenn man es nicht erwartet. Ich befürchte, dass Sie sich durch Ihr Gedankenmuster "Ich bin zu spät dran" und "Ich kriege es nicht mehr hin" in eine negative Richtung programmieren und genau das erzeugen, was Sie eigentlich nicht wollen. Vielleicht hilft es Ihnen, wenn Sie erste sexuelle Erfahrungen ohne die große Liebe sammeln, sich in freundschaftlichen Romanzen langsam an das Thema rantasten, und sich immer wieder sagen, dass Sie das Thema in Ihrem eigenen Tempo und auf Ihre eigene Art und Weise angehen können.
Herzliche Grüße, Julia Peirano