Hallo liebe Julia Peirano,
mein Problem ist verzwickt und ich komme einfach nicht weiter. Vielleicht haben Sie den ein oder anderen inspirierenden Gedanken für mich.
Ich bin seit 15 Jahren in einer Beziehung, davon knapp fünf verheiratet. Es war schon immer so, dass ich hin und wieder für andere Männer geschwärmt habe, was aber nach zwei bis drei Wochen ganz schnell vorbei war. Vor knapp einem Jahr hatte ich mal wieder so eine Schwärmerei, ich finde meinen Arzt sehr interessant! Vor knapp drei Wochen habe ich mich bei einem Termin in ihn verliebt.
Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was an diesem Tag passiert ist. Er war nett und hat wenig geredet, so wie immer. Eigentlich fällt mir bloß auf, dass ich zu diesem Termin lockerer war als sonst. Aber seitdem denke ich fast ununterbrochen an ihn. Ich stelle mir vor ihn zu küssen, mit ihm zu schlafen, mit ihm zusammen zu wohnen, mit ihm über unsere Gemeinsamkeiten zu reden. Es war noch nie sooo extrem und wenn ich ehrlich bin, ich glaube, so war es auch noch nie mit meinem Mann.
Diese ganze Situation irritiert mich. Ich habe auch keine Ahnung, was ich Ihnen konkret für eine Fragen stellen soll. Außer, was hat das zu bedeuten? Während ich das hier so schreibe, kann es sein, dass ich mich von seiner Fürsorglichkeit angezogen fühle?
Ich freue mich sehr von Ihnen zu lesen, ich wünsche Ihnen eine gute Zeit.
Clara T.
Liebe Clara T.,
es ist sicher nicht einfach, was Sie gerade durchmachen. Verliebtheit ist ein sehr starkes und obsessives Gefühl, das einen ganz und gar in Beschlag nimmt. Und es kann auch ganz schön quälend sein, wenn die Verliebtheit nicht erwidert wird oder nicht ausgelebt werden kann (und auch nicht darf). Das ist keine Bagatelle!
Sie möchte gerne wissen, was es zu bedeuten haben kann. Ihr Arzt scheint ein sehr zugewandter Zuhörer zu sein, jedenfalls in seiner professionellen Rolle. Und das zieht Sie zur Zeit besonders an. Wie sieht es denn in Ihrer doch schon recht langen Beziehung mit Fürsorglichkeit, Aufmerksamkeit und Zuwendung aus? Wie erleben Sie Ihren Mann, und wie erleben Sie sich selbst ihm gegenüber? Ist das offene Ohr und das nicht urteilende Interesse etwas, das in Ihrer Beziehung gerade etwas rar geworden ist?
Wenn man in einer Beziehung ist und sich heftig in jemanden anders verliebt, kann das ein Spiegel der aktuellen Beziehung sein.

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe
Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben.
Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.
Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.
Zum Beispiel: Mein Partner ist ein romantischer, sensibler Mensch, der aber 15 Minuten braucht, um ein Ei zu kochen. Ich verliebe mich in unseren Architekten, der mit beiden Beinen in der Realität steht, geschickt ist und auch gut planen kann. Oder: Mein Partner ist erfolgreich, an Zahlen und Fakten interessiert und sehr kopflastig. Nüchtern und treu. Ich verliebe mich in einen charmanten Abenteurer, der die Welt bereist, viel in der Natur ist und die Zukunft auf sich zukommen lässt und von Treue prinzipiell nicht viel hält, weil ihn das festlegt.
Es wäre bestimmt hilfreich, sich anzuschauen, ob in Ihrer Beziehung etwas gerade zu kurz kommt, das Sie vermissen. Manchmal nimmt ja der Alltag etwas zu stark überhand mit z.B. Umbauen, festen Arbeitszeiten, tausend Erledigungen oder der Pflege von Angehörigen, der Erziehung von Kindern. Wie wäre es, wenn Sie mit Ihrem Mann das Gespräch darüber suchen, wie Sie beide die Beziehung erleben und was Sie sich wünschen? Freunde haben sich ein Kanu gekauft, um wieder mal etwas Neues zu erleben.
Vielleicht hilft ja auch eine besondere Reise oder ein Tanzkurs, um wieder etwas Bewegung in Ihr Leben zu bringen. Oder Sie führen regelmäßige Zwiegespräche miteinander, wie es in dem paartherapeutischen Klassiker "Die Wahrheit beginnt zu zweit: Paare im Gespräch" von Michael Lukas Möller genau beschrieben ist. Die Kommunikation über Gefühle, Bedürfnisse und Träume kommt im Paaralltag oft zu kurz.
In Bezug auf den Arzt, der Ihre Verliebtheit ausgelöst hat, kann ich Ihnen raten, sich zu überlegen, ob Sie sich diese Gefühle erlauben können. In der Psychotherapie wird ständig daran gearbeitet, seine Gefühle zu akzeptieren. Das ist auch sehr sinnvoll, denn man kann gegen seine Gefühle nicht wirklich etwas machen und sie auch nicht unterdrücken. Im Gegenteil: Je weniger ich an einen rosa Elefanten denken will, der Einrad fährt und dabei Trompete spielt, desto mehr muss ich daran denken… Sie wahrscheinlich auch.
Ganz entscheidend ist natürlich, ob Sie dieses Gefühle nicht nur empfinden, sondern auch ausleben (also mit dem Arzt eine Affäre beginnen). Davon würde ich Ihnen abraten. Zum Einen sind Sie verheiratet und Affären sind meistens Gift, wenn nicht der Tod für eine Beziehung. Auch wenn es einige Stimmen gibt, die das anders sehen ("eine Affäre heizt die Beziehung wieder an" oder "eine Affäre rettet die Beziehung"): Eine Affäre mit den dazu gehörigen Lügen zerstört das Vertrauen in einer Beziehung, kann den Partner traumatisieren, einen selbst schwer belasten und verwirren (bis hin zu schweren psychischen Erkrankungen).
Zum Anderen ist es Ihr Arzt, den Sie in seiner professionellen Rolle kennen gelernt haben. Sie wissen wahrscheinlich wenig darüber, wie er in seinem Privatleben ist, ob er selbst gebunden ist usw. Ich kenne Ärzte, die gegenüber ihren Patient*innen sehr zugewandt und fürsorglich sind, aber ihre eigene Frau regelmäßig betrügen oder sie mit kleinen Kindern verlassen haben. Das muss natürlich in Ihrem Fall nicht zutreffen, aber vielleicht hilft Ihnen das Wissen, dass er privat nicht so sein muss wie Sie ihn idealisieren. Und dazu ist er Ihr Arzt, das heißt, er darf Sie als Patientin nicht privat treffen oder mit Ihnen eine sexuelle Beziehung beginnen. Ärzt*innen ist es verboten, sexuelle Kontakte mit ihren Patient*innen aufzunehmen oder zu dulden.
Haben Sie schon einmal dran gedacht, sich einen anderen Arzt oder eine Ärztin zu suchen? Es ist ja immer ein schmaler Grat zwischen einer angenehmen Schwärmerei (zwei bis drei Wochen, oder ich zwei bis drei Stunden nachdem ich einen attraktiven Schauspieler in einem Film gesehen habe) und einer schmerzhaften Verliebtheit. Und eine Verliebtheit beendet man am besten, indem man den Stecker zieht und sich nicht mehr sieht. So hart das klingt. Alles andere ist zermürbend.
In Ihrem Falle wäre das wahrscheinlich am einfachsten, weil Sie ja keinen privaten Kontakt mit ihm haben (dürfen). Und es wäre das produktivste und partnerschaftlichste, sich auf Ihre Ehe zu konzentrieren und ungestört herauszufinden, was da möglicherweise gerade schief liegt.
Herzliche Grüße und alles Gute für Sie
Julia Peirano
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