J. Peirano: Der geheime Code der Liebe Ich liebe meinen Mann über alles, aber durch seine häufigen Unfälle lebe ich in Angst um ihn

Unfälle passieren im Alltag schnell (Symbolbild)
Unfälle passieren im Alltag schnell (Symbolbild)
Eigentlich achtet Rebeccas Freund Christian auf seine Gesundheit und seinen Körper. Doch trotzdem ist er immer wieder in teils skurrile Unfälle verwickelt. Wie bekommt sie ihn dazu, vorsichtiger zu werden?

Liebe Frau Peirano, 

vor zehn Jahren habe ich (55) meinen jetzigen Mann Christian (60) kennen gelernt. Was ich nie für möglich gehalten hatte, wurde wahr: Er ist mein absoluter Traummann und wird es mit jedem Jahr noch mehr. Wir harmonieren sehr, auch in unserer Patchworkfamilie mit vier erwachsenen Kindern, mit unseren Pferden, Reisen, unserer Lebenseinstellung. 

Ich habe mich, obwohl ich schon mit dem Vater meiner Tochter lange zusammen und auch verheiratet war, nie so richtig auf jemanden eingelassen und niemals 100 Prozent vertraut. Und Christian auch nicht, bevor wir uns kennen lernten. 

Wir sagen immer, dass wir beide den einsamen Planeten, auf dem jeder vorher wohnte, nun zusammen bewohnen, und das ist wunderschön so. 

Es gibt trotzdem ein recht ungewöhnliches Problem, das ich auch noch nie so gehört habe von anderen Paaren. Christian achtet sehr auf seinen Körper, treibt Sport, ist (angenehm) eitel und gepflegt, ernährt sich gesund und trinkt nur moderat. Aber ihm sind sein Leben lang sehr merkwürdige und häufige Unfälle passiert. So etwas habe ich noch nie von anderen Männern gehört! Allerdings nicht so wie anderen durch Risikosport (Motorradfahren, Klettern), sondern im Alltag, beim Sport, beim Fahrradfahren, Handwerken. 

Ein paar Beispiele: Als Kind und Jugendlicher hat er sich beim Ballsport ungefähr acht krankenhausreife Verletzungen und Brüche zugezogen. 

Vor zwölf Jahren hatte er stressbedingt einen Tinnitus, der zum Glück seit zwei Jahren nur noch schwach ausgeprägt ist.  

Knie, Hüfte, Füße, Rücken tun ihm immer mal wieder Wochen- oder monatelang weh durch Abnutzung oder Überlastung. 

Dazu kommen die Unfälle. In unseren zehn Jahren hat er sich mit der Kreissäge ein Stück Finger abgesägt, ist auf Socken die Treppe ausgerutscht und eine steile Treppe heruntergefallen, hatte drei Fahrradunfälle (musste genäht werden, Gehirnerschütterung, Platzwunden), wurde von einem unserer Pferde getreten und fiel vier Wochen aus. Gott sei Dank ist kein Autounfall dabei gewesen. Er ist beim Bergsteigen in Nebel geraten und am Abgrund herumgeirrt - das hätte so schief gehen können. 

Christian ist eigentlich ein sehr umsichtiger, kluger und vorausschauender Mann, und gerade deshalb kann ich überhaupt nicht verstehen, wieso ihm das passiert. Am Anfang dachte ich noch: "Pech, der Arme", aber bei jedem weiteren Ereignis werde ich schockierter und ängstlicher. Und ehrlich gesagt auch wütend und abweisend. 

Ich muss dazu sagen, dass ich selbst als Jugendliche zweimal lebensgefährlich krank war (aufgrund eines angeborenen Organfehlers) und mit 18 Jahren einen selbstverschuldeten schweren Reitunfall hatte, der potenziell tödlich hätte ausgehen können. Mir ist ein Pferd auf den Bauch gefallen! Ich bin nur durch ein Wunder heil da rausgekommen. 

Auch war mein Vater aufgrund eines Motorradunfalls 15 Jahre lang schwer krank, bis er schließlich an den Folgen starb. Und trotzdem war mein Vater alles andere als vorsichtig und ist zum Beispiel weiter Auto gefahren, auch einmal mit meinen Kindern, als er kaum noch sehen konnte. Ich bin deshalb sehr vorsichtig und vermeide Risiken, wo ich nur kann. Das heißt, ich fahre lieber mit der Bahn in den Urlaub als mit dem Auto, fahre vorsichtig und mit Helm Fahrrad und wähle meine Sportarten nach geringem Verletzungsrisiko aus. 

Ich bin ein gebranntes Kind! Christian verheimlicht zum Teil seine Verletzungen vor mir oder spielt sie herunter, und ich weiß nicht, wie ich ihn noch erreichen kann. Ich möchte ihm so gerne beibringen, dass er vorsichtig mit seinem Körper umgehen soll. Für sich und auch für mich und unser gemeinsames Leben auf unserem Planeten. Aber die Unterhaltungen sind ziemlich harzig und verhärtet. Er fragt mich, warum ich ihm das vorwerfe, dass er einen Unfall hat, und dass die Unfälle nichts miteinander zu tun hätten, dass es jedem passieren könne. Erst nach der letzten sehr belastenden Auseinandersetzung hat er sich dazu bereit erklärt, sich Hilfe zu holen. 

Wie kann ich ihm helfen, wie kann er sich helfen? Ich werde immer ängstlicher, denn ohne ihn möchte ich auf keinen Fall leben, und ich möchte auch nicht, dass er ein Pflegefall wird wie mein Vater es war. 

Viele Grüße und danke, 

Rebecca T. 

Liebe Rebecca T., 

Sie habe Recht: Ihre Geschichte und Ihr Konflikt ist wirklich etwas ungewöhnlich. Ich freue mich aber für Sie, dass Sie offensichtlich den richtigen Partner und Ihre große Liebe gefunden haben und "eigentlich" glücklich mit ihm auf ihrem schönen Planeten leben. 

Es ist natürlich immer so, dass wir einen Preis dafür bezahlen müssen, dass wir jemanden lieben, und dieser Preis ist Verlustangst. Ich habe lange überlegt, ob ich mir wieder eine Katze anschaffe, weil einige meiner Katzen überfahren wurden und die letzte Katze nach 15 Jahren als heiß geliebtes Familienmitglied an Altersschwäche gestorben ist. Bei Partnern, Kindern oder Freunden ist diese Angst ein ständiger Begleiter. 

Geliebte Menschen oder Tiere sind halt nicht ersetzbar, und deshalb bleibt immer eine gewisse Angst. 

Sie scheinen durch die Unfälle und Ereignisse, die Ihnen selbst als Jugendliche und mit Ihrem Vater passiert sind, ein Lebensmotto entwickelt zu haben. Ich verstehe es so: Es ist sehr kostbar, einen gesunden Körper zu haben, und Unfälle oder Krankheiten können das schöne Leben jederzeit zerstören oder vernichten. Also tue ALLES, damit du gesund bleibst. 

Christian lebt zum Teil nach diesem Motto: Er ernährt sich gesund, nimmt sich Zeit für seine Familie und Interessen, hält sich fit und ist insgesamt umsichtig und vorausschauend. 

Porträt Dr. Julia Peirano
© Kirsten Nijhof

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe

Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben. 

Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.

Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.

Gerade bei dieser Persönlichkeitsstruktur ist es ja noch merkwürdiger, dass er sich so oft verletzt! 

Die Unfälle passen ja scheinbar eher zu jemandem der unvorsichtig, verträumt oder hektisch ist. 

Es hört sich für mich so an, als wenn es in diesem Bereich zwei Persönlichkeitsanteile von Christian gibt, die sich untereinander entweder spinnefeind sind oder die sich gar nicht gegenseitig kennen: Ein (bewusster und aktiver) Teil ist umsichtig und bedacht, achtet auf seinen Körper, und der andere Teil ist (wahrscheinlich unbewusst) von etwas angetrieben, was eben auch zu Verletzungen führen kann. Im Nebel am Abhang laufen, ist ein Spiel mit dem Feuer und hätte böse enden können. Mit Socken auf einer rutschigen Treppe zu laufen, ist dann auch schief gegangen. 

Unbewusste Persönlichkeitsanteile spielen zum Beispiel auch eine Rolle, wenn man etwas "vergisst", was einem unangenehm ist oder die Zeit vertrödelt und zu spät kommt (z.B. zum Besuch bei der Schwiegermutter). Oder wenn man die Bewerbung zwar abschickt, aber einen falsche Adresse auf den Umschlag schreibt und so die Frist verpasst. 

Es ist nicht einfach, diese unbewussten Persönlichkeitsanteile aufzudecken, aber es lohnt sich. Denn erst, wenn man sie kennt und weiß, was sie antreibt, kann man sich mit ihnen auseinander setzen. Es kann ja sein, dass man gelernt hat, dass man nach einer Verletzung mehr Zuwendung von den Eltern bekommt als sonst (positive Verstärkung), dass man nicht in die Schule gehen muss (Wegfall von unangenehmen Dingen), dass man für seine Narben gefeiert wird und als "Held" gilt. Was auch immer hier wirkt, es würde sich garantiert lohnen, wenn es aufgedeckt wird. 

Das Verhalten von Christian klingt in diesem Punkt wie eine Fehlkonditionierung. Es kann auch sein, dass er in bestimmten Phasen seines Lebens mehr aushalten und leisten musste, als für ihn gut war (der Tinnitus deutet darauf hin) und er sich das angewöhnt hat, einfach weiter zu machen, schnell zu machen, auch wenn es gerade neblig ist oder die Treppe zu glatt. 

Hypnotherapeuten (Psychotherapeutinnen, die eine Ausbildung in klinischer Hypnose haben) können relativ schnell einen Zugang zu diesen unbewussten Anteilen finden und damit ist der wichtigste Schritt getan. 

Das wäre meine Empfehlung, damit Christian sich mit seinem "vernünftigen" Teil darum kümmert, dass Sie beide noch lange gesund und heil zusammen leben können und dann auch der Konflikt zwischen Ihnen geklärt ist. 

Sie bekommen ja im Moment die Funktion, für Christians Körper zu sprechen und zu sagen: "Pass auf mich (deinen Körper) auf, du verletzt und gefährdest mich!" Denn Christian nimmt die Risiken nicht so wahr, wie Sie es tun.  

Es nützt aber nicht so viel, wenn Sie diese Rolle übernehmen (und übrigens hätten auch seine Knie, Füße, Hüften und sein Rücken etwas dazu zu sagen, wenn man ihnen nur zuhören würde). Sondern es wäre gut, wenn Christian sich selbst mehr Zugang zu seinem Körper verschaffen kann und ihn behandelt wie ein Kind, das man vor Gefahren bewahren muss. 

Als ersten Schritt könnte Christian auch eine Skizze von seinem Körper anlegen und die bisherigen Verletzungen mit Jahreszahl und Ursache einzeichnen. Das wäre bestimmt ein Augenöffner! 

Herzliche Grüße

Julia Peirano 

PRODUKTE & TIPPS