Hallo Frau Dr. Peirano,
ich bin der Bernd R. (39) aus einem kleinem Vorort Nähe Hannover. Ich bin seit 2006 Single. Nach der Trennung meiner letzten Beziehung, sagte ich mir: Ich lebe erstmal das Singlesein und konzentrierte mich auf die Arbeit.
Aber nach mehreren Situationen, in denen ich von potentiellen Freundinnen/Partnerinnen stark abgewiesen worden bin , (zum Beispiel nachdem ich einer Frau ein Jahr lang den Hof gemacht habe, sie aber sich dann für jemanden entschieden hat der sie schlägt und so weiter) wurde mein Selbstbewusstsein sehr stark beschädigt.
Jetzt bin ich an einem Punkt dass ich seit 2006 ...
- keinen körperliche Nähe mehr hatte (kein Sex )
- ich zwischenzeitlich gedacht hätte ich wäre gay (dem ist nicht so, auch wenn ich es nicht als schlimm empfände, wenn es so wäre)
- ich im Gespräch mit Frauen das Interesse verliere, weil ich denke, sie mag mich eh nicht
- ich nach fünf Minuten nichts mehr zu erzählen habe, weil ich auch nichts Interessantes tue als Hobby
Ich könnte jetzt noch viel mehr Sachen aufschreiben, die sich nach Selbstmitleid anhören, aber meine Frage ist tatsächlich: Gibt es für mich noch eine Chance?
Ich denke, alleine komme ich aus diesem Loch nicht heraus.
Auch wenn ich von Ihnen nicht höre, Bedanke ich mich trotzdem, dass ich mir wenigstens eine Kleinigkeit von der Seele schreiben konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Bernd R.
Lieber Bernd R.,
aus Ihrer Beschreibung höre ich viel Einsamkeit, Traurigkeit und Unsicherheit heraus. Entspricht das Ihren Gefühlen in ungefähr? Es war ein guter Impuls, sich das Problem von der Seele zu schreiben, denn sich anzuvertrauen ist der erste Schritt aus der Einsamkeit heraus.
Sie schreiben, dass Sie seit 16 Jahren ungewollt Single sind, also seit Sie 23 sind. Das ist eine wirklich lange Zeit! Insbesondere, da Sie schreiben, dass Sie mit Frauen nicht wirklich in Kontakt kommen, also weder Gesprächsthemen finden, noch körperliche Nähe haben. Es würde bestimmt helfen, wenn Sie engeren Kontakt zu den Frauen in Ihrem Leben hätten, also sich zum Beispiel mal mit den Frauen Ihrer Freunde unterhalten, einen Tanzkurs besuchen, wenn Ihnen das liegt oder Sportarten machen, bei denen Sie Frauen begegnen, ohne dass eine Beziehung im Raum steht. Denn der Gedanke, eine Liebesbeziehung eingehen zu wollen (oder zu müssen), erschwert Ihnen den lockeren und freundlichen Kontakt mit Frauen. Es wäre gut, das mal beiseite zu lassen.

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe
Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben.
Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.
Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.
Es hört sich so an, als wenn Sie die Hoffnung aufgegeben haben, dass sich etwas ändert. Und an der Stelle würde ich Ihnen teils auch Recht geben: Ich denke, wenn Sie immer wieder das Gleiche machen, was Sie bisher auch gemacht haben - etwa Frauen über eine Kontaktanzeige/ in einem Club o.ä. ansprechen mit dem Ziel, endlich eine Beziehung zu haben (und gleichzeitig der inneren Stimme im Ohr, die Ihnen sagt, dass Sie sowieso wieder enttäuscht werden) -, dann wird das Ergebnis wieder das Gleiche sein wie in den letzten Jahren. Sie wenden sich hoffnungslos und verunsichert ab, und die Frau wird womöglich nicht einmal merken, dass Sie Interesse an Ihr hatten, weil Sie so sehr mit sich selbst und Ihren eigenen Zweifeln und Ängsten beschäftigt sind, dass Sie gar kein wirkliches Interesse an ihr als Person aufbringen können.
Ich würde Ihnen insofern einen ganz anderen Weg vorschlagen. Bauen Sie doch als Erstes einmal Kontakt mit dem wichtigsten Menschen in Ihrem Leben auf: mit sich selbst nämlich. Es habe heraus gehört, dass Sie bisher wenig mit sich anfangen können, wenn Sie nicht arbeiten. Es scheint nicht so wirklich Interessen und Leidenschaften in Ihrem Leben zu geben wie z.B. Singen, Wandern, Segeln oder Malen.
Was passiert eigentlich, wenn Sie Freizeit haben und alleine sind? Können Sie etwas mit sich anfangen, fühlen Sie sich wohl? Oder lassen Sie sich eher von dem Fernseher berieseln, stürzen sich in Arbeit und Erledigungen oder fühlen sich unwohl, so dass Sie ein Gefühl der inneren Leere empfinden? Viele Menschen betäuben dieses unangenehme Gefühl, indem sie viel essen, Alkohol trinken oder Drogen nehmen oder zwanghaft einkaufen.
Wie sieht es denn bei Ihnen aus mit der Zeit, die Sie alleine verbringen? Lenken Sie sich eher ab oder können Sie die Zeit alleine genießen und nutzen? Und wie ist es in Ihrem Leben um Menschen bestellt, die Sie gerne mögen oder lieben? Gibt es einen engen Kontakt zu Ihrer Familie, zu Freunden oder Kollegen? Haben Sie Menschen, denen Sie vertrauen und sich anvertrauen können, mit denen Sie lachen, schweigen und weinen können?
Es ist wirklich wichtig, mit der Liebe und der Nähe bei sich selbst und dem eigenen Leben anzufangen. Nur wer wirklich einen guten Kontakt zu sich und seinen Bedürfnissen hat, kann eine Beziehung leben, die nicht abhängig ist. Denn ein Partner oder eine Partnerin macht einen in der Regel nicht glücklich, wenn man es nicht schon ist. Sondern man kann, wenn man sich selbst glücklich macht, sein Glück mit einem anderen Menschen teilen, der sich hoffentlich selbst auch glücklich macht. Wenn wir abhängig sind und eine Beziehung brauchen, um glücklich oder weniger leer zu sein, geht das schnell nach hinten los. Oft hat man dann zu hohe Erwartungen an den anderen, oder man langweilt sich gemeinsam.
Ich habe eine Buchempfehlung für Sie, um zu verstehen, wie man eine bessere Beziehung zu sich selbst aufbauen kann:
Diane Hielscher: "Liebe neu denken: Dem Geheimnis glücklicher Beziehungen auf der Spur." Ich war begeistert von dem Buch und fand es sehr einfühlsam, interessant, lebensnah und gut verständlich. Es zeigt auch mit praktischen Anleitungen, was wir für uns selbst tun und denken können, damit wir bessere Karten in der Liebe haben.
Ein weiteres sehr empfehlenswertes Buch ist: "Vertrauen und sich anvertrauen“ von Christine Schmid-Fahrner. Hier geht es um Geborgenheit in Familien und Paarbeziehungen. Ich kann mir vorstellen, dass es genau das ist, was Ihnen innerlich und äußerlich fehlt. Und wahrscheinlich liegt an dem fehlenden Sich-Anvertrauen auch die Ursache für Ihre Einsamkeit. Und wir können erst nach etwas suchen und uns um etwas kümmern, wenn wir wissen, wonach wir suchen sollen.

Als fünf Schritte, um mit sich in Kontakt zu kommen, kann ich Ihnen folgendes empfehlen:
- Schreiben Sie Tagebuch, und zwar darüber, wie Sie sich am Tag gefühlt haben. Was hat Ihnen Freude gemacht, was macht Ihnen Sorgen, was war stressig? Hören Sie sich geduldig zu beim Schreiben und bewerten Sie sich nicht
- Treiben Sie Sport - und zwar so, wie Sie es gerne mögen. Ist es Handball oder Segeln? Tischtennis oder Laufen? Denken Sie dran, was Sie früher gerne gemacht haben oder schon immer mal machen wollten. Und wenn Sie es nicht wissen: Probieren Sie ruhig alles mal aus
- Schweigen Sie mal ganz bewusst, am besten in der Natur. Stellen Sie mal den Fernseher und das Handy ab und kommen Sie zur Ruhe. Insbesondere morgens ist es wichtig, ruhig und konzentriert in den Tag zu starten.
- Schreiben Sie jeden Tag auf, was schön war, und seien es Kleinigkeiten wie ein gutes Essen, der Anblick einer wundervollen Landschaft oder ein nettes Gespräch
- Suchen Sie sich Menschen, denen Sie sich öffnen können. Sei es in Ihrem privaten Umfeld oder auch in einer Therapie.
Ich hoffe, ich konnte Sie dazu anregen, sich auf die Suche nach sich selbst und einem erfüllteren Leben zu machen. Der Rest regelt sich meistens von selbst. Da können Sie Vertrauen haben.
Herzliche Grüße
Julia Peirano
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