Hallo Frau Peirano,
meine Frau ist 57, ich bin 56 Jahre alt. Sie ist dominant, ich weniger. Wir streiten uns immer so alle vier Wochen, grob geschätzt. Dazwischen verstehen wir uns gut. Aber wenn wir uns streiten ist sie ein anderer Mensch, fast wie ausgewechselt.
Früher war das noch viel schlimmer. Da hat sie sich regelrecht vergessen. Hat mich sogar beschimpft. Es ist oft nur ein Wort, eine vergessene Sache von mir und sie explodiert. Mir wird dann alles vorgeworfen, was im letzten halben Jahr alles nicht lief, was ich nicht gemacht habe etcetera.
Wir haben ein großes Grundstück und ich bin der Meinung, dass ich schon einiges mache. Für mich reicht es auch. Jedes Jahr wird etwas gebaut, ob Wintergarten, Carport, Terrasse und so weiter. Bei dem beginnenden Streitgespräch bleibe ich lange ruhig, werfe ihr ganz bewusst nichts vor. Aber irgendwann treibt sie mich so in die Enge, dass ich als sehr ruhiger Mensch auch explodiere. Aber immer fair, da bin ich mir sicher. Von ihrer Seite wird es immer härter und sie hört einfach nicht auf. Ich weiß einfach nicht, wie ich reagieren soll. Würde mich über Ihren Rat freuen.
Liebe Grüße
Nils J.
Lieber Nils J.,
ich kann mir vorstellen, dass Sie sich von Ihrer Frau ungerecht behandelt und auch aus heiterem Himmel angegriffen fühlen. Es ist erstaunlich, dass Sie beide zwischen den zermürbenden Konflikten wieder eine gute Zeit miteinander haben – wie schaffen Sie das denn?
Wer wie viel in einer Partnerschaft macht, kann man ja nicht immer genau aufrechnen, und darum geht es auch letztendlich nicht. Es geht hier um die Frage, wie Sie beide miteinander Konflikte austragen, und das hört sich sehr destruktiv an.
Paarforscher haben lange untersucht, wie glückliche Paare miteinander umgehen und welche Verhaltensweisen Paare im Gegenzug unglücklich machen. Das Streitverhalten spielte dabei eine zentrale Rolle. Es ist ganz normal, dass in einer Partnerschaft nicht immer beide die gleiche Meinung haben. Manchmal ärgert man sich über den anderen, empfindet ihn als ungerecht oder man ist genervt von bestimmten Angewohnheiten. Das alles gehört zu einer Partnerschaft dazu.

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe
Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben.
Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.
Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.
Die große Frage ist, wie die Konflikte ausgetragen werden. Und da haben sich Verhaltensweisen herauskristallisiert, die das Vertrauen beschädigen. Das sind zum Beispiel Drohungen, Beleidigungen, wiederkehrende Vorwürfe, Unterstellungen ("wenn du mich lieben würdest, würdest du nicht …") oder auch eisiges Schweigen und Mauern ("du hörst ja eh nicht zu, warum soll ich dir das überhaupt erklären").
Der amerikanische Paarforscher John Gottman hat über Jahrzehnte viele Paare in einer künstlichen Wohnung durch eine Spiegelscheibe beobachtet und herausgefunden, dass das Glück in einer Beziehung mit dem Verhältnis zwischen positiven Verhaltensweisen (lächeln, zustimmen, nachfragen, einen Scherz machen, nicken etc.) und negativen Verhaltensweisen (Kopf wegdrehen, mit dem Finger auf den anderen zeigen, Vorwürfe machen, laut werden etc.) eng zusammen hing. Bei glücklichen Paaren war das Verhältnis von positiven zu negativen Verhaltensweisen 4:1.
In einer Partnerschaft ist es besonders günstig, wenn beide sich frei fühlen, um Missstände offen anzusprechen (also nichts schlucken müssen), aber gleichzeitig wertschätzend und freundlich zu bleiben. Hier macht ganz klar der Ton der Musik. Statt also zu sagen: "Wie sieht es denn hier aus? Kannst du nicht wenigstens einmal auch an mich denken und aufräumen? Aber du guckst ja lieber deine blöden Serien …" könnte man in einem geeigneten Moment sagen: "Ich finde es schwierig, mit Unordnung zu leben. Was können wir machen, damit es hier ordentlicher wird?"
Eine wichtige Empfehlung ist es, nicht mit einem Konflikt auf den Partner zuzukommen, wenn man eh schon gereizt und wütend ist. Meistens laufen diese Konflikte komplett aus dem Ruder und es kommt zu Anschuldigungen, Vorwürfen und anderen Handlungen, die man später bereut. Oder einer mauert, weil er Angst vor dem anderen hat, und durch das Schweigen wird der andere noch in seiner Wut befeuert.
Das heißt: Wenn einem der Kragen platzt, sollte er (oder in Ihrem Fall eher Ihre Frau) sich erst einmal alleine abreagieren. Tagebuch schreiben, laufen gehen, meinetwegen auch ein paar unschuldige Birken im Wald anschreien, sich einen Boxsack aufhängen oder 30 Liegestütze machen. Wenn die Wut verraucht ist, sollte man sich sortieren und aufschreiben: Was will ich eigentlich wirklich sagen? Und wie bringe ich es am besten rüber? Und als nächsten Schritt sollte man den/die Partner:in um ein Gespräch bitten und das Thema ansprechen.
Manche Paare schreiben sich gegenseitig auch eine Email, was gar nicht so abwegig ist, da man bei geschriebener Sprache oft vorsichtiger formuliert. Im Umkehrschluss heißt das: Wenn einer von Ihnen gerade richtig geladen ist, findet kein Paargespräch statt, da es nur nach hinten losgeht.
Mein Tipp für Sie wäre es, sich mit Ihrer Frau erst einmal über das Thema Konfliktverhalten in Partnerschaften zu belesen oder einen speziellen Kurs zu machen (das wird zum Teil in Familienbildungsstätten angeboten oder Volkshochschulen).
Empfehlenswert ist der Podcast "Paaradox" mit Claudia und Oskar Holzberg. Und die Bücher:
- "Die 7 Geheimnisse der glücklichen Ehe" von John Gottman
- "Kommunikation in Beziehungen. Soforthilfe" von Sigmund Ambrosius
Ich hoffe, dass Sie mit diesen Tipps erst einmal vermeiden können, dass die Streitigkeiten eskalieren. Vielen Paaren hilft es sehr – allerdings nur, wenn sie es konsequent anwenden.
Herzliche Grüße
Julia Peirano
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