Das Pfund Kaffee für 2,69 Euro, Hähnchenbrustfilet, das Kilo für 6,29 Euro und Champagner für 13,99 Euro - mit seiner Werbebeilage wirbt der Discounter Aldi in großen deutschen Tageszeitungen kurz vor Ostern für seine Schnäppchen. Nur sind die Angebote der großen Supermarktketten für viele Bürger nicht mehr wirklich günstig, der Großeinkauf kurz vor den Feiertagen wird zur Qual.
Was gut verdienende Deutsche beim Einkauf nicht spüren, weil sie bei Gütern des täglichen Bedarfs nur selten auf den Preis achten, ist für Menschen mit nur geringem Einkommen zu einem echten Problem geworden. Die Preise für Lebensmittel sind deutlich gestiegen - von der Entwicklung bei Strom und Gas ganz zu schweigen.
"Für die, die wenig haben, ist Deutschland ein extrem teures Land", sagt jemand, der es wissen sollte: Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer beim Paritätischen Wohlfahrtsverband. "Lebensmittel waren einmal günstig in Deutschland, jetzt sind sie nicht mehr", so sein deutliches Urteil. Ein paar Beispiele: Die Brötchenpreise sind in den vergangenen zwölf Monaten um mehr als acht Prozent gestiegen, bei der Butter waren es 26 Prozent und beim Käse 27. Alles Dinge, die bei einer Familie mehrfach in der Woche im Einkaufskorb liegen.
TV-Geräte kann man nicht essen
Beim Blick auf die vom Statistischen Bundesamt herausgegebene Inflationsrate fällt diese Entwicklung aber kaum auf. Im vergangenen Jahr betrug die durchschnittliche Preissteigerung 2,2 Prozent, ein hoher Wert, aber gesamtwirtschaftlich gesehen nicht wirklich beunruhigend. "Wir haben in den vergangenen Monaten massive Preisschocks erlebt, da sind knapp drei Prozent kein Grund zur Panik", erläutert Peter Bofinger, Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die volkswirtschaftliche Sicht.
Aber warum ist die offizielle Inflationsrate so viel niedriger, als es die Preissteigerungen bei einzelnen Produkten suggerieren? Ganz einfach: Der Sprung nach oben bei Lebensmitteln und Energie wurde durch sinkende Preise bei anderen Produkten ausgeglichen. So waren zum Beispiel Fernseher im Jahresvergleich rund 19 Prozent billiger zu haben. Nur kann man TV-Geräte eben nicht essen.
Die Löhne müssen stärker steigen
Bei Geringverdienern und Arbeitslosen schlägt der Preissprung bei Gütern des täglichen Bedarfs also voll durch. Den größten Teil ihres Einkommens verschlingt der Konsum (siehe Grafik) - Umschichtungen sind kaum möglich Die Menschen haben eine höhere "Inflationsbetroffenheit", wie es Brachinger formuliert. Das allgegenwärtige Gefühl "Alles wird teurer" lässt sich seiner Meinung nach bei Menschen mit geringem Einkommen nachweisen. Und ein Ende der Entwicklung ist nicht in Sicht: "Bei den Lebensmitteln wird der Preisanstieg zunächst anhalten", prognostiziert der Schweizer Experte. Die "gefühlte Inflation" werde bei rund sieben Prozent liegen.
Aber kann überhaupt etwas gegen diese Entwicklung unternommen werden? Ja, ist der Wirtschaftsweise Bofinger überzeugt: "Unser Problem ist nicht die Inflation, sondern der geringe Anstieg der Löhne." Auch in Aufschwung-Jahren seien diese real gesunken. Zusammen mit der jetzt anziehenden Preissteigerung, sei dies "für die Menschen sehr schmerzhaft".
Nach Ansicht von Bofinger haben die Bürger am Aufschwung, das Wirtschaftswachstum lag in den vergangenen Jahren immer deutlich über zwei Prozent, nicht teilgehabt. Die Lohnzurückhaltung hierzulande habe es so in anderen Ländern auch nicht gegeben. Das allgegenwärtige Argument, Deutschland müsse sich im globalen Wettbewerb behaupten, lässt Bofinger nicht gelten: "Unsere Exportdynamik war schon immer gut, jetzt ist sie supergut." Für ihn ist ein regelmäßiger Lohnanstieg von 3,5 Prozent pro Jahr realistisch und auch für die Wirtschaft verkraftbar. "Wenn die Löhne deutlich steigen, haben die Menschen auch mit einer stärkeren Inflation kein Problem".
Die Lohnzurückhaltung habe auch weniger positive Effekte gehabt, als oft behauptet werde: "Es wurden nicht mehr Arbeitsplätze geschaffen als in konjunkturell starken Jahren zuvor", sagt Bofinger und bekommt Unterstützung von Rolf Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband: Der Rückgang der Arbeitslosigkeit sei mit einer deutlichen Zunahme an schlechter Arbeit erkauft worden, lautet sein Urteil. Es gebe immer Jobs, "deren Bezahlung nicht zum Leben reicht, geschweige denn, dass man damit eine Familie ernähren kann."
Viel Hoffnung, dass es in Zukunft besser wird, macht sich Schneider nicht: "Wir sitzen da in einer Falle." Es gebe kaum noch Möglichkeiten, ohne Geld Freizeit, Bildung und Kultur zu bestreiten, daran werde sich auch künftig nichts ändern. Und wenn das Geld schon kaum für die Güter des täglichen Bedarfs reiche, fühlten sich einkommensschwache Bürger schnell ausgegrenzt. "Das gefährdet den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft", ist Schneider überzeugt.