"Helft ihr mir, mich zur Sterbeamme und Sterbebegleiterin (Fokus auf Kinder) ausbilden zu lassen?". Mit diesem bewegenden Twitter-Aufruf macht Jasmin Schreiber Anfang Februar auf sich aufmerksam.
Dadurch erreichte sie nicht nur, dass viele Menschen sie bei ihrem Wunsch unterstützen. Sie macht dadurch auch auf den wichtigen Beruf der Sterbeamme aufmerksam.
Mit dem stern sprach Jasmin über die Hintergründe ihres Berufswunsches, welche Aufgaben sie erwartet und wie sie persönlich mit dem Thema Tod umgeht.
Du hast auf Twitter um finanzielle Unterstützung gebeten, weil du den Wunsch hast, dich als Sterbeamme für Kinder ausbilden zu lassen. Wie ist der Wunsch bei dir entstanden?
Ich beschäftige mich im ehrenamtlichen Bereich schon länger mit dem Sterben von Kindern – das hatte sich alles sehr zufällig ergeben. Ich habe im Kinderhospiz Sternenbrücke Wände bemalt und viel Zeit dort verbracht. Irgendwann begann ich, todkranke Kinder und Sternenkinder – also Babys, die noch im Mutterleib, bei oder kurz nach der Geburt sterben – zu fotografieren. Anfangs dachte ich, dass ich eben dann hingehe, Fotos mache und wieder gehe. Doch in der Regel verbringe ich mehrere Stunden mit den Eltern, da ich sie meist direkt nach der Geburt treffe und die Seelsorge noch nicht da war. Das ist ein Moment, in dem sie unbedingt sprechen wollen, und statt mich dem zu entziehen, lege ich die Kamera dann eben beiseite und höre zu. Die Eltern sind dann immer sehr froh, dass sie mal mit jemandem sprechen können, der kein medizinisches Personal ist und auch kein Angehöriger, sodass sie sehr offen und frei über alles reden und sich keine Sorgen machen müssen, die Oma vielleicht traurig zu machen oder die Schwester zu überfordern. Dabei entstand in mir immer stärker der Wunsch, mich hier professioneller zu qualifizieren, um solche Familien tiefer zu begleiten und mehr für sie tun zu können.
Was macht eine Sterbeamme genau und was ist Inhalt der Ausbildung?
"Sterbeamme" ist von Hebamme abgeleitet. Während eine Hebamme einen quasi in die Welt hineinführt, begleitet einen die Sterbeamme wieder aus der Welt hinaus. Sie ist vertraut mit den psychologischen und emotionalen Notsituationen der Sterbenden und der Angehörigen und sorgt dafür, dass ein Sterben in Würde möglich ist. Das bedeutet, dass die Person einerseits nicht allein sterben muss, andererseits auch sehr gut darauf vorbereitet wird. Man geht den Weg mit und versucht, auch pathologische Trauerprozesse zu lösen, hilft allen Beteiligten, sich der Verzweiflung zu stellen und diese in einen gesunden Trauerprozess umzuleiten. Das bedeutet zum Beispiel, Sterbende aus dem Teufelskreis der Verbitterung herauszuführen, aber auch die Angehörigen während des Sterbeprozesses und auch noch danach bis zu einem Jahr zur Seite zu stehen. All diese Dinge lernt man in der Ausbildung, dazu kommt noch eine Menge medizinisches Fachwissen, dass speziell auf palliative Pflege zugeschnitten ist.
Gehen Kinder anders mit dem Tod um als Erwachsene? Wie wichtig ist eine Sterbeamme für die Kinder – auch für die Eltern?
Es ist noch gar nicht lange her, da nahm man allgemein an, dass Kinder ihren eigenen Sterbeprozess gar nicht verstünden. Erst neuere Studien zeigen, dass absolut das Gegenteil der Fall ist. Schon sehr junge Kinder spüren, wenn sie sterben. Verheimlicht man es ihnen, lässt man sie in unglaublicher Einsamkeit und Angst zurück. In den 70ern wunderte man sich, wieso krebskranke Kinder, die nur noch palliativ versorgt wurden, irgendwann alle aufhörten, mit dem Umfeld zu kommunizieren. Heute weiß man: Weil sie das Vertrauen ins Umfeld verloren hatten und einsam und stumm zu Grunde gingen. Viele Kinder starben in stiller Verzweiflung allein in ihren Krankenbetten, was zum Beispiel der Arzt Dietrich Niethammer in seinen Veröffentlichungen thematisiert. Kinder sehen ihren Eltern an, wenn sie was verheimlichen – man darf ein Kind nicht anlügen, denn das verzeiht es schwer.
Eine Sterbeamme und die behandelnden Ärzte können die Eltern darauf vorbereiten und dabei unterstützen, mit dem Kind über seine Situation zu sprechen. Oft bleibt die Sterbeamme auch noch nach dem Tod des Kindes an der Seite der Eltern und hilft ihnen, mit der Trauer umzugehen.
Der Tod wird in diesem Beruf allgegenwärtig für dich sein. Wie gehst du selber mit dem Thema Tod um und wie stehst du dazu?
Der Tod war schon immer etwas, das mir – wie den meisten Menschen vermutlich – große Angst gemacht hat. Auch, weil ich nicht gläubig bin – da fehlt mir ein Mut machendes Konzept für das "Danach". Seit ich mich jedoch mit dem Thema so stark auseinandersetze, verlieren Tod und Sterben immer stärker den Schrecken für mich. Ich lerne eine Menge über mich und meine Ängste und auch darüber, wie ich diese überwinden kann. Zudem werde ich gelassener. Alltagsprobleme bringen mich weniger schnell aus der Fassung, unwichtige Problemchen interessieren mich nicht mehr. Ich habe ein besseres Gefühl dafür bekommen, was wirklich wichtig im Leben ist und lerne, konstruktiver mit Verlusten in allen Lebensbereichen umzugehen. Es ist ein bisschen so, als hätte ich vorher alles nur verschwommen wahrgenommen und plötzlich setzte man mir eine Brille auf, wodurch ich alles schärfer sehe.
Hast du Angst, dass sich der Beruf auf Dauer auf deine Psyche auswirkt?
Man wird ja langsam an das Thema herangetastet. Die Ausbildung geht zwei Jahre, wobei ich noch ein paar Zusatzausbildungen machen werde. Insgesamt habe ich den Fokus hier, das vorerst ehrenamtlich zu machen. Da kann ich mir die Kräfte besser einteilen, als wenn ich das jetzt erstmal jeden Tag 8 Stunden machen würde. Dennoch ist es enorm wichtig, sich ganz bewusst Ausgleiche zu schaffen. Ich fotografiere zum Beispiel kostenlos Risikoschwangerschaften, Frühchen und Babys, die sich nach schwerer Krankheit ins Leben zurückgekämpft haben. Es ist mir wichtig, auch fröhliche und gesunde Familien und Kinder vor der Kameralinse zu haben, damit ich nicht alles so düster sehe. Außerdem habe ich mir feste Regeln gesetzt, wieviel Abstand ich zwischen den Fällen setze und wieviel Fälle und Einsätze ich in welchem Zeitraum betreue. Zudem habe ich ein unterstützendes Umfeld und einen Therapeuten, der quasi immer in Bereitschaft und für mich da ist, sollte ich mit einer Situation überfordert sein. Man darf den Kontakt zu sich selber nicht verlieren und muss auf Alarmsignale hören, damit man nicht ausbrennt.
Was findest du wichtig, Kindern zu sagen, damit Sie in Frieden gehen können?
Ich finde es in erster Linie wichtig, ihnen zuzuhören und ihre Fragen ehrlich zu beantworten. Diese sind gar nicht so unterschiedlich zu denen sterbender Erwachsener. Tut es weh? Wie ist es, wenn man tot ist? Werde ich allein sein? Und auch: Wird man mich vergessen? Auch Kinder möchten Fußabdrücke im Leben der anderen hinterlassen, umso wichtiger ist es, ihnen diese Möglichkeit zu geben, zum Beispiel durch Abschiedsgeschenke, die es der Familie und auch dem Behandlungsteam machen kann und so weiter. Als Sterbeamme kann man dem Kind zeigen: Ich kümmere mich jetzt um dich, und wenn du gegangen bist, kümmere ich mich um deine Eltern und Geschwister, damit sie nicht so traurig sind. Denn oft leiden sterbende Kinder sehr unter dem Gedanken, dass die Eltern wegen ihnen unglücklich sind. Je mehr man ihnen von diesem Druck nehmen und je mehr Vertrauen man ihnen geben kann, umso friedlicher können sie dann gehen.