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Debatte um G8 und G9 Zurückrudern ist keine Lösung

Hektisch soll die Schulzeit wieder verlängert werden, weil das Turbo-Abitur einfach nicht akzeptiert wird. Derzeit herrscht heilloses Durcheinander. Aber die Rückkehr zu G9 ist der falsche Weg.
Von Catrin Boldebuck

Es sieht so aus, als würde eine der größten Bildungsreformen, die je in Deutschland unternommen wurden, rückgängig gemacht: die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur, die sogenannte G8-Reform. Immer mehr Bundesländer lassen wieder G9 zu, zuletzt in Niedersachsen. Die Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) begründet diesen Schritt mit dem "Dauerstress" der Schüler.

Dabei wurde G8 erst vor rund zehn Jahren in Westdeutschland eingeführt, die letzten doppelten Abi-Jahrgänge drängeln sich gerade in den Hörsälen der Universitäten und Fachhochschulen. Damals konnte es Ministerpräsidenten wie Edmund Stoiber in Bayern gar nicht schnell genug gehen, weil das deutsche Bildungssystem den Jugendlichen im europäischen Vergleich wertvolle Zeit für Familiengründung, Beruf und den Aufbau ihrer Altersversorgung raube, sagte der CSU-Politiker im November 2003 in einer Regierungserklärung.

Vollständig akzeptiert wurde das "Turbo-Abitur" allerdings nie. Zu viel Stress, zu viel Druck für die Schüler, so die Kritik. Bei der G8-Reform wurde zwar ein Jahr bis zum Abitur gestrichen, der Stoff blieb aber größtenteils derselbe. Laut Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) muss ein Schüler bis zum Abitur 265 Jahreswochenstunden haben, egal ob G8 oder G9. Das gestrichene Jahr verteilten die Kultusminister auf die Unter- und Mittelstufe, die Klassen fünf bis zehn. Daher haben heute Sechstklässler bereits ein Wochenpensum wie ein Manager.

Es hilft nur konsequente Umsetzung von G8!

Laut einer Forsa-Umfrage des stern würden 72 Prozent der Bevölkerung es begrüßen, wenn alle Bundesländer zur neunjährigen Gymnasialzeit zurückkehren würden. Die Forderung wird im Westen viel häufiger gestellt als im Osten: So wollen in den alten Bundesländern 76 Prozent zurück zu G9, in den neuen Bundesländern sind es dagegen nur 47 Prozent. Hier regt sich nur verhaltener Widerstand, denn im Osten hat G8 seit DDR-Zeiten Tradition.

Statt die G8-Reform konsequent umzusetzen, beugen sich die Politiker lieber dem Druck von Schülern, Lehrern und vor allem von Eltern, denn mit Schulpolitik lassen sich leicht Wahlen verlieren, aber selten gewinnen. Die Kultusminister hätten G8 gründlich vorbereiten sollen, statt es wie in Bayern überhastet einzuführen. Sie hätten die Lehrpläne entrümpeln können und die Gymnasien auf den Ganztagsbetrieb vorbereiten müssen. Nachdem inzwischen endlich bald jedes eine neue Mensa gebaut hat, wäre es absurd, einfach zum alten Vormittagsbetrieb zurückzukehren. Und an vielen Gymnasien hat sich durch den Druck endlich etwas verändert: Die Lehrer suchen nach neuen Lehr- und Lernformen. Diesen Reformdruck durch die Rolle rückwärts rauszunehmen, wäre falsch.

Außerdem gibt es ja Alternativen zum G8-Gymnasium: Mittel-, Ober-, Gemeinschafts- oder Stadtteilschulen - neue Schulformen, die zwar je nach Bundesland unterschiedlich heißen, die aber eines gemeinsam haben: Sie bieten das Abitur nach neun Jahren an. Kehren die Gymnasien zu G9 zurück, werden die Eltern ihre Kinder lieber auf das vermeintlich bessere, weil vertrautere Gymnasium schicken.

Und bisher gibt es auch keine Studien, die eindeutig belegen können, ob die Abiturienten nun dümmer oder klüger durch die Schulzeitverkürzung geworden sind. Auch das hat die Schulpolitik bisher versäumt - die Ergebnisse konsequent zu analysieren. Nur eines scheint eindeutig: Das eine Jahr weniger Schule schadet den jungen Erwachsenen nicht. Sie sind in ihrer Persönlichkeitsentwicklung nicht weniger reif als früher. Wahrscheinlich hat nicht nur G8 den Jungen und Mädchen in den letzten Jahren mehr Druck und Stress gebracht, sondern ein Teil ist auch hausgemacht: Die Erwartungen vieler Eltern an Schule und ihre Kinder sind gestiegen. Mütter und Väter wollen heute mehr Leistung sehen. Daran würde auch die Rückkehr zu G9 nichts ändern.

Doch auch wenn durch die Berichte der letzten Wochen bei Eltern, Schülern und Lehrern nun die Hoffnung geweckt worden sein könnte, G9 sei bald wieder überall Alltag - dieser Eindruck täuscht! Der Mehrheit der deutschen Schüler bleiben weiterhin nur acht Jahre Zeit bis zum Abitur: Im Schuljahr 2012/2013 besuchten in Deutschland mehr als 890.000 Schüler die gymnasiale Oberstufe, drei Viertel von ihnen gingen auf ein G8-Gymnasium. Die Bildungslandschaft gleicht einem Flickenteppich; im deutschen Föderalismus ist keine einheitliche Politik zu erkennen, wie unsere Karte zeigt.

Karte: Patrick Rösing

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