muenchen Am Ende Kamikaze?

Wenn Studenten an ihrem Uni-Leben zweifeln

Wenn Studenten an ihrem Uni-Leben zweifeln

»Mich hat die Uni einfach nur genervt, ich wollte nur noch schreien«, sagt Julia zu mir und nippt an ihrem Alaska-Cocktail. Denkt sie an den Start ihres Studiums, blicken ihre Augen noch immer unruhig umher. Sie denkt an das Chaos bei der Wohnungssuche und an das Gefühl des Alleinseins. Fern waren im Oktober Freunde, Familie und das Hotel »Mama«. Einkaufen, Essen kochen, Klamotten waschen - alles allein, ohne Hilfe. Und am Morgen eines neuen Tages keine freundlichen Weckrufe mehr, sondern das heisere Gekreisch des WG-Mitbewohners Klaus: »Julia, kann ich was von deinen Cornflakes abhaben?«

Und dann die Uni selbst: Das Beobachten des Liebesspiels der Tauben draußen auf dem Dach während der Soziologie-Vorlesung war bisweilen interessanter als die Reden des Profs über doppelte Kontingenz und die Rational Choice Theorie. Bei soviel Fremdartigem kann der Banknachbar nur seufzen: »Oh Gott, erst Viertel nach Zehn, mir tropft schon das Blut aus den Ohren.«

Julia fragte sich noch Monate nach Studienbeginn: »Ist das wirklich die beste Uni für mich? Warum nicht Jena, Köln, Leipzig oder Hamburg?« Dabei gibt es auf diese Fragen eine einfache Antwort. In Deutschland gibt es sie nicht, die beste Uni. Genauso wie es die beste Fakultät und den besten Prof nicht gibt.

Neulich schrieb Ulrike aus Berlin: »Hochschulen sind so ein langweiliges Thema, weil sich niemand mit ihnen identifiziert - weder mit der Universität als Institution noch mit dem, nun ja, akademischen Leben. Die Studierenden selbst haben ein innigeres Verhältnis zu ihrem Supermarkt als zu ihrer Uni.« Wirklich wahr? Nun ja, bei Penny oder Tengelmann werde ich nicht so gut unterhalten wie in mancher Politik-Vorlesung, wenn sich der Prof aufschwingt zu Sätzen wie: »Das Land Brasilien ist wie es ist oder auch sein mag«. Warum wir aber unser Herz nicht an die Uni verlieren, versteht man spätestens, wenn man die Worte eines Dekans vernommen hat: »Wir sind ein Fließband-Ausstoß von Studenten. Das geht zu Lasten der wissenschaftlichen Theorie«.

Aha. Schlecht nur, wenn die Maschinerie stottert und zig Kommilitonen während ihrer Soziologie-Klausur auf dem schmutzigen Fußboden sitzen müssen, weil die Sitzplätze nicht ausreichen. Wenn sich der Prof dann wenige Wochen später über die schreckliche Schrift seiner Studenten aufregt, wem zittern dann nicht Hände und Stimmbänder?

Trotzdem, wir stehen in Treue fest zu unserer Uni. Hier träumen wir von unseren Campus-Liebschaften und hier verwirklichen wir uns selbst. Außerdem: Wer will jetzt schon nach draußen in die Welt der Anzugträger und Geldzählmaschinen? Heute Nachmittag habe ich wieder den Verkäufer der Süddeutschen Zeitung in der Schellingstraße gesehen. Im Regen zog er sich seine schwarze Seemannsmütze tief ins Gesicht, schlug den Kragen seiner Jacke nach oben und schaute traurig drein. Zwanzig Minuten und kein einziger Student wollte auch nur eine Zeitung von ihm. Der SZ-Verkäufer wippte von einem Bein auf das andere. Vielleicht hat er von seiner Campus-Liebe geträumt.

Eine Freundin mit Liebeskummer im Herzen ermunterte sich neulich selbst: »Die Sonne wird wieder scheinen.« Ja! Für sie, für den SZ-Verkäufer, für uns alle. In München blühen Schneeglöckchen und Krokusse. Im Englischen Garten sitzen Kommilitonen auf Parkbänken und trinken Sekt auf die ersten bestandenen Prüfungen. Julia und ich ziehen nach. Sie sagt: »Ach ja, das Leben ist doch schön.« Sie sieht mich an, lächelt. Noch einen Alaska? Oder lieber eine Bahama Mamma, einen Latin Lover oder den Hemingway Special? Nein, nein, das alles nicht, wir stoßen an auf das süße Uni-Leben mit einem Kamikaze-Drink. (mb)

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