muenchen Der Platz an meiner Seite

Warum Sitzordnung doch etwas mit Vernunft zu tun hat

Warum Sitzordnung doch etwas mit Vernunft zu tun hat

»Könntest du mal bitte reinrutschen?« Markus Z.* denkt gar nicht dran. Nur weil dann sieben neue Sitzplätze frei würden? »Kommt gar nicht in die Tüte«, sagt er artig, »auf der Fensterbank ist doch noch Platz.« Studenten wie Markus sind in München keine Seltenheit. Sie verdienen Mitleid, denn sie sind manisch sitzverhaltensgestört. Opfer eines ungeschriebenen Hörsaalgesetzes - einem komplexen Regelwerk, aufbauend auf drei studentischen Grundprinzipien: Herdentrieb, Vorverurteilung und empirisch unhaltbaren kognitionstheoretischen Ansätzen. Der Reihe nach: Vorne sitzen die Streber. Die haben Brillen, keinen Sexualpartner und lernen sogar auf Vorlesungen. Hinten sitzen diejenigen, die Vorlesungen lediglich als sozialen Anlaufpunkt ihres Studentendaseins nutzen und in der Mitte sitzen jene, die hinten keinen Platz mehr gefunden haben. Oder gern vorne sitzen würden, aber sich nicht trauen nach ganz vorne zu gehen - Angst vor der eigenen Courage? Wir halten fest: In der Mitte sitzen die Schlimmsten. Die Studenten ohne Meinung, die stattdessen eine gehörige Portion Selbstbewusstseinsdefizit aufweisen. Welches, kaum hat ein Professor den Raum betreten, sofort einer nervösen Betriebsamkeit Platz macht.

In einer Vorlesung mit 300 Studenten meldet sich der ansonsten wortkarge Hans M.* aus Niederauerbach mit den Worten: »Sie haben bei Boto Strauß das 'h' vergessen«. Ein unerhörter Angriff auf orthographische Autorität. Das nervt den Professor, freut aber mindestens 234 Studenten, die den Namen vorher unhinterfragt mitgeschrieben hatten. Zugeben wird das keiner: Wir sind in einer Germanistikvorlesung. Es melden sich aber auch Menschen, die wirklich etwas wissen. Die werden akzeptiert. Vom Professor. Für die übrigen Studenten ist der Mensch, der sich ständig aus der gehüteten Anonymität der Masse in die Schusslinie der öffentlichen Meinung katapultiert, nur ein Thema für weiterführende Gespräche - Heirat nicht ausgeschlossen.

Nichts vereint so sehr wie ein gemeinsames Ziel. Das wusste schon der alte Bismarck. Mein Erfolg war bescheidener. Mein erstes studentisches Date. Kennen gelernt in den Wirren eines Gelächters über den unglücklichen Versuch eines Mitstudenten Immanuel Kant zu widerlegen. Sie sprach vom kategorischen Imperativ und ich über was Vernünftiges zu Essen. Sie nahm an. Die Vernunft hat gesiegt. Das hätte sich der Kant wohl auch nicht träumen lassen.

Ach ja, eine Studie zur räumlichen Verteilung von Münchner Studenten kam zum erwarteten Ergebnis: Bei der Sitzplatzwahl gilt die heisenbergsche Unschärferelation. Ort und Impuls eines Studenten können nicht gleichzeitig bestimmt werden. Mit rationalen Methoden ist die Wahl des Aufenthaltsortes während einer Vorlesung also nicht messbar. Man könnte flapsig formulieren: Münchner Studenten sind »unfassbar«. (cw)

* Name von der Redaktion geändert

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