Parlaments-Posse Stühlerücken im Bundestag: Als die 7B mal eine neue Sitzordnung im Klassenzimmer bekam

Stühle und Tische in einem Schulklassenzimmer
Manchmal geht es im Deutschen Bundestag auch nicht anders als in der Schule zu (Symbolbild)
© Sven Hoppe / Picture Alliance
Die FDP tauscht im Bundestag die Plätze mit den Unionsabgeordneten. Die Liberalen wollten nicht länger neben den stänkernden Kollegen von der AfD sitzen. Manchmal ist das hohe Haus der Politik eben auch nur ein Klassenzimmer.

"Also, wenn wir nichts tun, wird die Erde sich schon in acht Jahren um 1,5 Grad erwärmt haben – und dann können wir irgendwann nicht mehr gut leben. Das heißt auch, dass schlimme Hitzewellen, die bisher einmal alle 50 Jahre auftreten, ähhh…" Anton wirkt sichtlich nervös. Mit zittrigen Fingern sortiert er seine Karteikarten neu.

"Was für ein Scheiß! Soll ich jetzt keinen Rollerführerschein machen dürfen, weil irgendwelche Öko-Spinner ihre grüne Propaganda machen? Wer sagt überhaupt, dass der Kram stimmt?!", ruft Alex, der wieder einmal seinen fleckigen dunkelgrünen Pullover mit dem aufgestickten Schäferhund trägt. "Alexander, muss ich dich doch wieder umsetzen?", fragt Herr Schäuble, der Geographie-, Mathe- und Klassenlehrer.

Der Ärger kommt von rechts

Die 7B gilt als DIE Chaotenklasse am Republik-Gymnasium. Dabei ist das nur ein Elftel der Wahrheit. Denn Ärger machen meist nur vier Schüler, die allesamt auf der rechten Seite des Klassenzimmers sitzen: Zum einen ist da eben Alex, der immer dreinschaut, als hätte er Schluckauf. Neben ihm sitzt Martin, der, seitdem er nicht zum Schülerlotsen ernannt wurde, jeden Morgen die Blumen im Schulgarten umknickt. Und dann sind da noch Tino und Alice. Die beiden sind seit einem Jahr ein Pärchen. Sonderlich zu mögen scheinen sie sich aber nicht. Davor war Alice mit einem grummeligen Typen namens Jörg zusammen. Aber der ist irgendwie weg – war einfach auf einmal nicht mehr da. Tino und Alice sind sowas wie die Anführer der Chaoten-Gang. Alice begnügt sich meistens damit, zu lächeln. Sie grinst eigentlich pausenlos – aber immer nur mit dem Mund – denn ihr Blick bleibt stets leer, höchstens gelangweilt. Als denke sie pausenlos an einen Witz, dessen Pointe nur sie versteht.    

"Also..ähh. Ich würde dann weitermachen", versucht Anton die Situation zu retten. Nur hört ihm niemand zu. Denn in diesem Moment schnippt Martin formvollendet einen Kaugummi in Tischtennisballgröße in Richtung Marie-Agnes – der landet zielgenau in ihrem blassgrauen Halstuch. Die Rechts-Gang grölt. Herr Schäuble hat davon nichts mitbekommen – der war damit beschäftigt, Alexander zum siebten Mal in diesem Monat ins Klassenbuch einzutragen. Christian, der Mädchenschwarm der ganzen Unterstufe, zupft sich sein magentafarbenes Taschentuch aus der Jackettasche und reicht es Marie-Agnes. Christian trägt immer einen Anzug, seit der fünften Klasse. Er glaubt, das würde seine Chancen erhöhen, irgendwann den Posten als Verantwortlicher für die Klassenkasse zu übernehmen.

"He, Bonze", zischt Tino in Richtung Christian. "Hat dich Mutti wieder mit dem SUV zur Schule gefahren?" "Was geht dich das an?", fragt Christian, ohne Tino eines Blickes zu würdigen. "Ich frag ja nur. Weil du doch seit Neuestem mit der Ökotruppe und den Sozis um die Häuser ziehst." Martin und Alex kugeln sich auf ihren Stühlen, Alices Grinsen nimmt dämonische Züge an. Herr Schäuble bemerkt wieder nichts, er kritzelt weiterhin konzentriert ins Klassenbuch. Christians Gesicht nimmt indes die Farbe seines Einstecktuchs an. "Lass gut sein, Chris. Die Arschlöcher sind's nicht wert", flüstert ihm sein Sitznachbar Konstantin zu.

Demokratische Platzvergabe

"Was labert dieser grün-links-versiffte Kloß da eigentlich für einen Scheiß?", flüstert Martin, schiebt sich schmatzend das dritte Kaugummi in den Mund – und lädt nach. "Wart's ab. Als nächstes ist der Türke dran. Der will uns bestimmt wieder was davon erzählen, warum wir noch mehr von denen ins Land lassen sollten", flüstert Alice und blickt dabei – diesmal ohne zu lächeln – in Richtung Cem, der so weit links sitzt, dass er sie nicht hören kann. 

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

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"Jetzt reicht's!", brüllt Marie-Agnes, springt auf, und pfeffert Christians Einstecktuch auf ihren Tisch. Anton schluckt schwer, dreht sich mit Panik in den Augen zu Herrn Schäuble um. Der legt in präsidialer Gelassenheit seinen schwarzen Füllfederhalter beiseite, faltet die Hände auf dem Pult und fixiert Marie-Agnes. "Marie-Agnes, was ist denn los?", fragt er. "Sie hören das nicht, was sich hier abspielt. Ich möchte nur, dass das jeder weiß", sagt Marie-Agnes. "Diese despektierliche Art hier in diesem Klassenzimmer ist unerträglich."

"Wir müssen uns den Mist von rechts schon viel zu lange anhören, Herr Schäuble! Ich verlange eine neue Sitzordnung!", poltert sie weiter und reckt dabei den Hals in unermessliche Höhen. Eisiges Schweigen legt sich über das Klassenzimmer. "Ich verstehe", sagt der Klassenlehrer. "Wer ist sonst noch dafür?" Zu Herrn Schäubles Linken brandet tosender Applaus auf. "Jeder normale Schüler möchte nicht neben euch sitzen!", ruft Jan von Linksaußen und zeigt auf die Rechts-Gang. Alice grinst nur, Tino klatscht demonstrativ langsam Beifall, Martin wippt auf seinem Stuhl, pustet dabei riesige Kaugummiblasen, Alex zupft sich teilnahmslos Flusen aus seinem Schäferhund-Pulli.

Doch da regt sich Widerstand. Denn eben jene Mitte des Klassenzimmers hat so gar keine Lust auf einen Plätzetausch. "Die wollen uns doch nur an den Rand des Klassenzimmers drücken!", echauffiert sich Thorsten und streicht dabei seine pomadig-glänzenden Haare zurück. Tino winkt schelmisch rüber, Alice wirft dem Mittelbänkler eine Kusshand zu.

Als niemand mehr in dem ekstatischen Stimmengewirr zu verstehen ist, schlägt Herr Schäuble mit aller Wucht die Faust auf das Pult. Erneutes Schweigen. Nun, bis auf Tino. Der klatscht immer noch höhnisch Beifall. "So. Wir machen das hier ganz einfach. Ganz demokratisch. Wer ist dafür, dass einige Schüler von Mitte-Rechts mit der Mitte die Plätze tauschen? Jeder nur eine Meldung, bitte." Die Arme von Marie-Agnes, Christian, Konstantin und Co. schnellen in die Höhe, gefolgt von der gesamten linken Hälfte des Klassenzimmers

"Das ist ein Ausdruck von Respektlosigkeit!", ruft Thorsten mit verschränken Armen. "Genug! Die Mehrheit hat entschieden. Ab morgen gilt die neue Sitzordnung", urteilt Herr Schäuble. Dann setzt er sich gemächlich, dreht seinen schwarzen Füllfederhalter auf und fragt: " Wo waren wir, Anton? Genau, Massentod wegen Hitze. Bitte fahr fort."