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Robert Lebeck Charmanter Dieb des Augenblicks

Fotografen müssen oft unverschämt und aufdringlich sein, um gute Bilder zu schießen. Robert "Bob" Lebeck vergaß nie seine guten Manieren. Jedes seiner Bilder erzählt eine Geschichte. Anrührend, komisch, entlarvend, dramatisch. Jetzt erhält Lebeck den Henri Nannen Preis für sein Lebenswerk.
Von Claus Lutterbeck

Einmal saß Robert "Bob" Lebeck mit Henri Nannen in einem China- Restaurant. Es war das erste Mal, dass sich die beiden begegneten, und es war Liebe auf den ersten Blick. Der stern- Chefredakteur wollte den wachen Berliner mit dem ewig amüsierten Blick unbedingt haben. Auf eine Serviette malte er ihm eine Zahl, die damals, Anfang der 60er Jahre, unerhört war: 2500. Doppelt so viel, wie Lebeck bis dahin verdiente, sollte er bekommen, wenn er zum stern wechselte.

Bob, das Schlitzohr, erzählte das aber gleich seinem alten Chef, der bei Springer gerade eine neue Mannschaft für eine Illustrierte zusammenkaufte. Peter Boenisch bot Lebeck das Doppelte: "Da habe ich an einem Nachmittag mein Gehalt vervierfacht", sagt Lebeck, "5000 Mark, das hat nicht mal der Springer-Chef verdient, dafür kriegte man damals noch einen Nolde."

Zehn Minuten Ausbildung

Nicht schlecht für einen frechen jungen Kerl, dessen Ausbildung ungefähr zehn Minuten gedauert hat - so lang brauchte er, um die Gebrauchsanweisung für seine Kodak Retina durchzulesen. Beim "Heidelberger Tageblatt" hatte er bescheiden angefangen, acht Mark gab es für ein Foto. Vergrößert hat er im Badezimmer, das Entwicklerbad war eine Salatschüssel, getrocknet hat er seine Fotos im Fahrtwind, wenn er auf der Vespa ins Büro raste. Er war glücklich, denn er wusste: Das ist mein Beruf. Eigentlich hatte er Völkerkundler werden wollen, aber das Studium am Columbia College in New York war zu trocken. "Ich sollte was rausfinden über Inzest bei den Eskimos. Aus Büchern!" Da schmiss er gleich wieder hin.

Es war die gute alte Zeit, als "es noch mehr Illustrierte gab als Fotoreporter", wie Lebeck sagt. Als die Deutschen aus dem Staunen nicht herauskamen, wenn sie - damals noch montags - im stern sahen, was in der unbekannten, weiten Welt da draußen alles los war. Und Lebeck mittendrin, erst mit einer Rollei, dann mit der Leica, immer völlig gelassen. Denn schlimmer als 1945 - da sollte der 15-jährige Flakhelfer die russischen Panzer bei Stettin mit einem alten Maschinengewehr aufhalten - konnte es nicht kommen. Von den 50 Mann seines aus Kindern und Alten zusammengewürfelten Trupps haben nur er und ein Unteroffizier überlebt. Von Kriegen hatte Bob Lebeck fortan die Schnauze voll: "Ich war immer hinter dem Leben her, nicht dem Tod." Dabei half ihm sein goldener Riecher.

Wie damals, als er sich im Flugzeug ungefragt neben Khomeini setzte, der aus dem Pariser Exil zurück in den Iran flog, ihm bei seinem Triumphzug durch Teheran auf den Fersen blieb und das sensationelle Foto machte, als der Ayatollah im Gewühl seinen Turban verlor.

Das mag ein junger Fotograf heute kaum glauben, aber damals lief es so: "Wo willst du denn mal hin?", fragte ihn 1964 der "Kristall"-Chef. "Nach Spanien", sagte Lebeck, denn das Land kannte er nicht. Und dann zog er mit seiner damaligen Frau Heike durch die noch exotische Iberische Halbinsel, sechs Wochen lang, und knipste dabei auch die tanzenden Waschfrauen bei Valencia oder den umschwärmten Flamenco-Tänzer. Lebecks Ausbeute füllte ein ganzes Heft. Oder er flog für sechs Wochen nach Südamerika, natürlich erster Klasse ("es gab Beluga satt"). Oder er reiste drei Monate lang durch Afrika, das gerade die Kolonialherrschaft abschüttelte. Symbolisch für die Entzauberung der Kolonialisten war ein Foto, das bis heute zu seinen liebsten zählt " und das er erst entdeckte, als er im Hotelzimmer den Film entwickelte: Da klaut ein junger Kongolese dem belgischen König Baudouin den Säbel von der Uniform, als dieser sich im schwarzen Cabrio stehend durch Léopoldville (heute Kinshasa) chauffieren lässt.

Der Liebling Henri Nannens

Die Bilder, die er mitbrachte, waren so gut, dass er bald der Liebling jenes Mannes wurde, dessen Preis er nun bekommt: "Nannen und ich haben uns gut verstanden, wir haben uns respektiert. Andere putzte "Sir Henri" manchmal gnadenlos herunter, Bob dagegen nie. Der sei, so fand er, ein "Sonnyboy, der immer gesund und munter in der Welt herumreist und keine Gelegenheit zum Nichtstun auslässt".

Anfang der Sechziger schickte ihn Nannen in die UdSSR, die Serie über den unbekannten russischen Alltag lief zwölf Folgen lang. Nannen nahm Lebeck auch mit, als er Lyndon B. Johnson auf dessen Ranch in Texas besuchte. Der gut gelaunte US-Präsident wollte über Politik bald nicht mehr reden, "den haben seine Kühe viel mehr interessiert". Den Gästen aus Germany bot er Einblicke in sein Privatleben wie nie Journalisten zuvor, stolz hielt er seinen neugeborenen Enkel in Lebecks Kamera, die Fotos wurden später in "Life" nachgedruckt. Nannen war ein gewiefter Eisbrecher, aber damals erlebte Lebeck auch eine unbekannte Seite an seinem Chef: "Wenn er nicht deutsch reden konnte, wurde er unsicher. Man sah es ihm nie an, aber Nannen hatte entsetzliches Lampenfieber vor solchen Interviews."

Bob Lebeck musste auch mit, als Nannen den damaligen Außenminister Willy Brandt interviewte. Es war "unglaublich komisch", erinnert sich Lebeck. Nannen hatte den fotoscheuen Brandt dazu überredet, mit ihm in den Swimmingpool der Dienstvilla zu steigen, "weil er spitz auf die Fotos war, die ich dabei machen konnte". Brandt roch den Braten und zierte sich, er wollte nicht mit bloßem Oberkörper aufs Bild. Nannen dagegen genoss seinen Coup und reckte seinen athletischen Schwimmerkörper nur zu gern in die Kamera.

"Aber bitte nach Ihnen", sagte Willy zu Nannen, als sie schließlich aus dem Becken kletterten. "Aber ich bitte Sie", erwiderte Nannen, "der Außenminister zuerst." Lebeck klickte drauflos, seine Fotos machen das Verhältnis zwischen Jäger und Beute noch heute deutlich: Henri zeigt sein schönstes Cary-Grant-Siegerlächeln, als Willy mit verkniffener Miene aus dem Bad steigt. "Fotografie ist ihrem Wesen nach zudringlich, räuberisch", sagte Henri Nannen mal, "sie ist auf das Innerste ihrer Beute aus, auf ihre Identität." Lebeck hat immer nach dieser Devise gearbeitet, wie ein Chirurg kommt er sich manchmal vor, "der muss auch die Menschen aufschneiden und dabei ganz cool bleiben".

Kein Freund der Theorie

Aber theoretisches Geschwafel darüber langweilte ihn, er sah sich nicht als Künstler, sondern als Journalist, über die "Lichtbildner" im Beruf hat er sich zeitlebens lustig gemacht. Besonders suspekt waren ihm immer Leute, die ihre Bilder wortreich erklärten. Von einem eminenten Foto-Theoretiker wurde er einmal gefragt: Welche Überlegungen gehen dem Bildermachen voraus? Lebeck trocken: "Überhaupt keine." Wann ein Bild gut sei, wollte der Gelehrte wissen. Lebeck: "Wenn es auf Doppelseiten abgedruckt wird."

Frech war er auch, als er sich ins Gespräch zwischen dem jugoslawischen Staatschef Tito und - nun Kanzler - Brandt einmischte. Lebeck schwatzte dem Hobbyfotografen Tito ein paar Fotos aus dem Privatalbum ab. "Der Mann ist vom stern", sagte Brandt schlagfertig zu Tito, "der kann Ihnen ein gutes Honorar zahlen." Die drei Bilder - harmlose Urlaubsfotos - schlummern noch heute irgendwo im stern- Archiv, ungedruckt, unbezahlt.

Jahrelang hat Lebeck den SPD-Vorsitzenden fotografiert, warm geworden ist er nie mit ihm: "Willy wirkte immer wie auf einer Wolke, abwesend." Widerwillig kletterte er im Fuerteventura-Urlaub auf einen Esel, ritt fürs Foto mürrisch zehn Meter weit und ließ sich dann im Taxi zurück ins Hotel fahren. Die anderen SPD-Größen waren auch nicht einfach. Helmut Schmidt etwa verabscheute Journalisten.

Gerhard Schröder war ein harter Brocken

Als Bob Lebeck ihn in seinem Häuschen am Brahmsee fotografieren durfte, stand eine kleine Sanduhr auf dem Tisch. Als die abgelaufen war, war der Termin zu Ende. Auch Gerhard Schröder war ein harter Brocken: "Sehr empfindlich, überhaupt nicht frei, er hat furchtbar aufgepasst, dass nie eine Champagnerflasche auf dem Bild war, obwohl eigentlich immer eine herumstand." Nähergekommen sind sie sich nur bei einem Thema, das der eine so gut kennt wie der andere: "Wir sind beide zum vierten Mal verheiratet, und da haben wir in unseren Biografien gewühlt, um herauszufinden, woher das wohl kommt." Rausgekriegt haben sie es nicht.

Im stern hieß er damals "Easy Bob", und er wusste, dass er gut war, sogar "Sir Henri" bekam das zu spüren. Einmal kam Lebeck aus Moskau zurück, wo er beim deutschen Botschafter eingeladen war, und hatte kein Foto der Botschaft mitgebracht. Nannen schnauzte ihn an: "Und wie wohnt der Botschafter?" Darauf Lebeck: "Ich knipse keine Häuser."

Mit wenigen Bildern pralle Geschichten erzählen

Seit fast einem halben Jahrhundert gehört Bob Lebeck zu den herausragenden Reportage-Fotografen, in der Tradition von Erich Salomon und Alfred Eisenstaedt. Ohne sein waches Auge wäre der stern nicht zur besten und größten Illustrierten Europas geworden. Lebeck versteht es, mit wenigen Bildern pralle Geschichten zu erzählen, manchmal dramatisch, manchmal komisch, immer authentisch. Neugierig und gelassen zugleich geht er auf Reisen, und wer derzeit abends in der Dämmerung durch Berlin geht, könnte den 78- Jährigen dabei treffen, wie er mit einer kleinen digitalen Kamera herumspielt und die Lichter seiner Heimatstadt einfängt. "Wackelbilder" nennt er die Impressionen. Lebeck ist ein Glückskind, die Chefredakteure und die Frauen waren ein Leben lang hinter ihm her. Bei beiden hat er selten Nein gesagt. Maria Schell hat er so verzaubert, dass sie ihn fotografierte, aber auch er war völlig hingerissen von ihr: "Die hatte so schöne Augen, wenn die dich angeschaut hat, warst du weg." Und Romy Schneider mochte ihn so gern, dass sie ihn mit ins Hotelbett nahm: "Wir haben gut geschlafen, sonst war nichts. Sie wollte einfach nicht allein sein." Als sie morgens verschlafen aufwachte und sich eine Zigarette ansteckte, drückte er drauf.

Draufgedrückt hat er fast immer. Nur einmal "habe ich völlig versagt". Zur Märchenhochzeit des Reeders Aristoteles Onassis mit Jacqueline Kennedy in Griechenland hatte ihn der stern zu spät losgeschickt. Die Feier war vorbei, Bob strich durch den Hafen von Skorpios, sah das Boot von Onassis, stieg frech an Bord und machte eine Kabinentür auf. Da lagen Onassis und Jackie O. auf einem Bett und knutschten. Verschämt machte er die Tür wieder zu. So was ist ihm selten passiert: "Draufdrücken musst du immer, dafür wirst du bezahlt." Die Frage, ob man die tote Lady Di im Autowrack fotografieren durfte oder nicht, findet er "scheinheilig. Natürlich muss man sie fotografieren, ich hätte das auch gemacht. Ob man das Foto nachher druckt, ist eine andere Frage".

Lebeck wickelt die Leute um den Finger

Manchmal hat er auch ein wenig nachgeholfen, um ein gutes Bild zu kriegen. Da spielte der Jazz-Trompeter Dizzy Gillespie im Frankfurter Storyville so lange, bis er vor Erschöpfung fast umkippte. Lebeck brachte ihn ins Bett, wo er noch im Sitzen einschlief: "Ich hab seine schräge Trompete dazugelegt, damit es ein Bild wurde."

Lebeck ist immer charmant, er überfällt die Leute nicht mit seiner Kamera, er wickelt sie um den Finger. Weil er immer blendend aussah und gute Manieren hatte, kam er oft auch dort noch rein, wo die meist schlecht angezogenen Fotografen rausflogen. Er setzte dann das "befugte Gesicht" auf - und drin war er: "Man kommt weiter, wenn man lächelt. Ich sage immer erst mal Ja und Amen, und dann mache ich, was ich will."

Wenn Henri auf seiner Wolke jetzt sieht, dass der Sonnyboy, den er damals einstellte, immer noch lächelt und nun den Nannen-Preis 2007 bekommt, dann wird er wohl schmunzeln. Sie waren sich immer einig darüber, was ein gutes Bild ist und was nicht, denn sie hatten den gleichen Geschmack. Gestritten haben sie sich in den 30 Jahren, die sie zusammengearbeitet haben, nur einmal. Da waren beide hinter der schönen Uschi her - gleichzeitig.

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