Von Jochen Siemens
Mit dem Auto gegen eine Wand, mein Gott. Am Sunset Boulevard, dieser gemütlichen, dicken Straßenader in Hollywood. Helmut Newton hat zwar manchmal davon gesprochen, was sein wird, wenn er "abkratzt". Aber es war dann doch ein Schock am vergangenen Wochenende, dass sein Ende so banal sein musste. Oben in seinem Hotel, im "Chateau Marmont", saß seine Frau June, und auf den Tischen lagen bestimmt wie immer viele Polaroids, vielleicht von "Mädels", die er fotografieren wollte, vielleicht aber auch von Bäumen oder Blumen, die er neuerdings gern aufnahm.
Der nackten Frauen sei er müde, sagte Helmut Newton neulich, vielleicht hatte der 83-Jährige sie zu oft gesehen. Wer ihn kannte, war bis zu jenem Unfall sicher, dass er 90 oder 95 werden würde; Helmut war einfach nicht alt zu kriegen, sagten seine Freunde. Und natürlich fielen ihnen allen die Geschichten wieder ein. Von Helmut, dem ungeduldigen und lausigen Autofahrer.
Mit Schweiß auf der Stirn stieg man in Monte Carlo aus, wenn er mit seinem Range Rover durch die engen Kurven zum Essen raste und parkte, wo er wollte, "ach, die kennen mich hier". Und immer wieder musste man ihn festhalten, wenn er einfach über die Straße ging oder rote Ampeln ignorierte. Newton, der von sich selbst sagte, dass er als Kind sagenhaft verwöhnt aufwuchs, fühlte sich als eine Art Glücksritter, "ich habe auf einer Rasierklinge gelebt".
Das Leben hatte versucht, ihm vieles anzutun und es nie geschafft. Vor den Nazis floh der jüdische Junge Helmut Neustaedter 1938 aus Berlin nach Singapur, in Australien arbeitete er als Fotoreporter, und in London und Paris begann Ende der 50er Jahre seine Karriere als Weltfotograf. Oft ist versucht worden, Psychoanalytisches in seine Bilder hineinzuinterpretieren - die Kälte seiner Erotik, so eine Idee, habe damit zu tun, dass er als Kind tägliche Winterspaziergänge machen musste. Und die Glätte seiner Inzenierungen? Dies spiegle den Hygienewahn seiner Eltern wieder.
Newton selbst hat solche Deutungen immer belächelt. Sein Zugang zur Fotografie war direkter. "Ich reiste in der ganzen Welt herum und zückte überall meinen Presseausweis, der mir Zugang zu den prachtvollsten Gebäuden verschaffte", schreibt er über seine beruflichen Anfänge. Später ersetzte er dann "Gebäude" durch "Mädels", und das ist auch schon die ganze Antriebskraft des Helmut Newton gewesen - die Schönheit der Frau, unverstellt und für ihn eroberbar.
Er war ein Sammler, der durch die Welt spazierte und Frauen mit der Kamera wie mit einem Schmetterlingsnetz einfing. Vor vielen Jahren einmal, frühmorgens in einem Freibad bei Frankfurt, musste Helmut Newton warten. Auf Michael Groß, den deutschen Schwimmer. Newton hasste Warten. In einem Hawaiihemd und kurzen Hosen spazierte er am Beckenrand herum, in dem drei Mädchen ihre Bahnen zogen. Ganz am anderen Ende setzte er sich schließlich hin, und die Schwimmerinnen pausierten bei dem lustigen Mann, man hörte ihr Lachen, und es dauerte keine drei Minuten, da hatten sie die Oberteile ihrer Badeanzüge heruntergerollt, und Newton machte Fotos. Schnell, höflich und amüsiert.
Er war kein Technik-Freak. Wenn er unterwegs war, trug er zwei Kameras in einem alten Lederkoffer bei sich, und wenn bei einem nächtlichen Motiv mal das Licht fehlte oder der Blitz streikte und der Assistent dem Zusammenbruch nahe war, schickte Newton jemanden ins nächste Lokal, um eine Taschenlampe auszuleihen und so das Gesicht vor der Kamera auszuleuchten.
Der Mann hatte seine Bilder im Kopf, er verfremdete nichts, und Computerbearbeitung schätzte er allein bei anderen, jungen Fotografen, nicht bei seiner eigenen Arbeit. "Ich mache Fotos, weil ich von der Realität, vom Leben aufgeregt bin." Wie einfach das ging, führte er vor Jahren im deutschen Fernsehen einmal dem verblüfften Befrager Roger Willemsen vor. Ob er, hier im Studio, ein typisches Newton-Foto machen könne, fragte Willemsen, und schon kam durch die Tür ein blondes Model. Newton zuckte mit den Schultern, schaute kurz, posierte das Mädchen in einem Türrahmen, schob ein bisschen die Kamera hin und her, die Blonde im Anschnitt, "jetzt noch eine Zigarette zwischen die Finger", und auf einmal, magisch, hatte deutsches Fernsehen Newton-Sex.
Sein Winterquartier nahmen er und seine Frau June, mit der er 55 Jahre verheiratet war, wie immer in Los Angeles. Er hatte Unterbrechungen geplant: Berlin. Vor ein paar Wochen war er da und hat seiner Heimatstadt sein fotografisches Werk geschenkt. Ein Museum direkt am Bahnhof Zoo wird die Sammlung beherbergen. Demnächst wollte Newton wiederkommen, über das Museum sollte gesprochen werden, er wollte den Bau sehen. Abends ging er in die "Paris Bar" und spazierte nachts zum Hotel Askanischer Hof, in dem er viele seiner Bilder gemacht hatte. Am Tag, nachdem er in Los Angeles die Gewalt über seinen Cadillac verlor - Ärzte halten einen Herzinfarkt für möglich -, sagten einige, die ihn kannten: Eigentlich ein schöner Tod, so schnell.
Blödsinn. Kein Tod ist schön. Helmut Newton hatte noch viel vor. In Berlin begraben zu werden stand noch nicht auf seiner Liste.