Klein ist sie, diese Destille aus Kupfer, im Durchmesser kaum mehr als handtellergroß, ihr Destillat füllt gerade einmal ein Schnapsglas. Das Brennen, man könnte es Spielerei nennen. Und eigentlich war es auch genau das, was Hauke Günther im Sinn hatte, 2017, in den Abendstunden der Elternzeit, wenn die Kinder im Bett waren – Ablenkung. Gin, das konnte nicht so schwer sein: Wacholderbeeren, die gab's im Baumarkt, und Vodka. Dass ein paar Jahre später aus dieser Miniatur-Destille der beste Gin der Welt kommen würde, eigentlich ein Irrwitz. Oder Zufall, wie Hauke es nennt. Denn würde er sich nur ein bisschen besser mit Gewürzen auskennen, hätte es der Tumeric No.1 nie in die Flaschen geschafft.
Folgt man der Online-Infografik World Gin Map gibt es weltweit etwa 5500 unterschiedliche Gin-Sorten, etwa 700 kommen allein aus Deutschland. Das ist der dritte Platz nach dem Vereinigten Königreich und den USA. Und der Markt wächst weiter. Eine Entwicklung, die so nicht abzusehen war. Denn bis vor einigen Jahren war der Wacholderschnaps nicht nur aus der Mode, er wurde naserümpfend als billiger Fusel abgetan. Inzwischen ist der Gin aber so beliebt, dass er nicht mal mehr im Trend ist, er ist im Mainstream-Geschmack angekommen.
Das Geschäft mit dem Gin boomt und Hauke und seine Frau Yuka Suzuki gehören zu den Taktgebern. Er, der eigentlich Biologe ist und sie, die zuletzt Yoga unterrichtete, brennen Gin, der Experten regelmäßig Herzchen in die Augen zaubert. Sie sammeln Auszeichnung nach Auszeichnung. Dabei wollten sie aus dem Gin nie ein Business machen, wie sie erzählen. Vor allem damals nicht, als sie noch drei Wochenenden lang mit der Mini-Destille hantieren mussten, um Gläschen für Gläschen die Miniflaschen zu füllen. Partygeschenke waren das, mehr nicht. Das Business ist dann einfach trotzdem irgendwie passiert. Zufall eben.
Küchenexperimente mit Kurkuma
Die Geschichte des Zanzibar-Gins beginnt auf einer Insel an der Küste Ostafrikas, Sansibar. Von dort bringt Hauke ein Pulver mit, das er für gemahlene Tamarinde hält. Tumeric, Tamarinde – naja. Limo könnte man damit machen, so die Idee. Nach der Reise verschwindet das Beutelchen im Gewürzregal über der Spüle, wandert von der ersten Reihe, in die zweite, die dritte und irgendwann aus dem Sinn. Bis es ihm bei seinen Brenn-Experimenten wieder in die Hände fällt.
Das Gewürz gibt dem Heim-Gin einen Dreh, der so anders ist, dass selbst Yuka ("Ich trinke eigentlich lieber Rum"), der würzigen Erdigkeit, den Holznuancen verfällt. Als später noch roter Pfeffer zum Kurkuma kommt, ist der Gin rund. Dennoch, daran dass man mit ihm Geld verdienen könnte, dachten sie nicht. Das Brennen blieb ein Hobby.
Es dauerte, bist sie sich mit ihrem Gin aus der Küche wagten. Dafür strichen sie den Urlaub und ließen stattdessen bei einer kleinen Brennerei ein erstes Batch brennen. 350 Flaschen. Sie bauten eine Jimdo-Website, richteten eine Instagram-Seite ein und fuhren mit dem Auto kreuz und quer von Laden zu Laden: Akquise. Es lief zäh.
Die beiden waren überzeugt von ihrem Gin. Damit sei es ein bisschen wie mit den eigenen Kindern, meint Yuka. Die seien auch immer die tollsten und besten. Allerdings hätten viele andere den Gin nicht verstanden. "Er ist auch schräg", sie lächelt. Der Hamburg-Zanzibar Gin ist nichts für den Mainstream-Gaumen, mehr so die Orchidee im Blumenbeet, das merkten die beiden schnell. Aber was wäre ein Traum ohne ein wenig Wahnsinn?

Weltbester Gin aus der kleinsten Destille
Dass die Hamburg-Zanzibar-Destille heute ist, wo sie ist, dort in dieser alten Scheune aus dem 17. Jahrhundert, an Hamburgs Stadtrand, ist kaum zu erklären. Denn die Entscheidung, die das Paar zum Ende der Elternzeit, 2019 war das, traf, war mehr als nur gewagt. "Eine völlig bescheuerte Idee war das, die eigentlich hätte nicht klappen dürfen", meint Hauke rückblickend.
Aber er hatte eben schon lange bevor die Räume frei wurden, davon geträumt, dort eine Destille einzurichten. Als sich dann die Chance bot, war klar, das ist eine, die einem nur einmal im Leben vor die Füße fällt. Also pressten sie aus der Bank, was noch herauszupressen war und warfen, wie Hauke es formuliert, erst einmal ihr Handtuch drauf. Einen Plan, was genau dort entstehen sollte, hatten sie nicht. Die Bude stand erst einmal leer.
"Wir haben so viele Fehler gemacht – unternehmerisch", sagt er. "Wir sind super unprofessionell und machen erst mal alles falsch." Nachdem nicht nur der warme Geldregen ausgeblieben war, sondern auch noch die Corona-Pandemie dazwischen kam, war Hauke irgendwann frustriert genug, um die Wacholderbeeren Wacholderbeeren sein zu lassen. In Erinnerung an diese Zeit sieht er direkt ein paar Jahre älter aus, erschöpft regelrecht. Es gab diesen Moment, in dem das Hinschmeißen eine Option war. Stattdessen spielten sie Schnick-Schnack-Schnuck um die Teilnahme bei den World Gin Awards 2021, reichten ihren Tumeric No.1 ein und wurden über Nacht weltbekannt.
"Es war klar, das ist lebensverändernd"
An dem Februarabend der Verleihung schmierten sie gerade Brote, der Stream lief im Hintergrund, als ihr Name fiel. Ihr Außenseiter, der Tumeric No.1, war zum landesbesten flavoured Gin gekürt worden, kurz darauf auch noch zum besten der Welt. "Wir sind wie irre durch die Küche gehüpft. Die Kinder wussten überhaupt nicht, was los ist", erinnert sich Yuka an diesen Moment.
"Es war schnell klar, dass das lebensverändernd ist", ergänzt Hauke. Zeit zum Feiern blieb den beiden nicht. Plötzlich trudelte eine Bestellung nach der nächsten ins Postfach. Damals produzierten sie, inzwischen mit einer 40 Liter Destille, gerade einmal 30 Flaschen monatlich. Viel zu wenig, um die sintflutartige Nachfrage nur annähernd zu decken. "Da hast du also diesen Gin, denkst, das ist der heilige Gral und kannst nichts damit anfangen", sagt er.
Yuka hatte sich direkt nach der Elternzeit selbstständig gemacht, 2021 schmiss dann auch Hauke seinen Job, um nur noch am Gin zu arbeiten. 100 Stunden wöchentlich, von morgens bis in die Nacht. Drei, vier Stunden Schlaf, mehr Zeit blieb nicht. "Alle wollten Gin, aber wir hatten ja nichts", sagt er. Irgendwann hätten die Menschen sogar in Trauben vor der Destille gestanden, nur gab es eben nichts, was hätte verkauft werden können. "Alles, was wir abfüllten, war schon zehnmal verkauft und die Leute mussten trotzdem zwölf Wochen auf ihre Bestellung warten."
Hamburg-Zanzibar-Gin räumt Award nach Award ab
Der Tumeric No.1 war nur der Anfang. Im Jahr darauf holte der Tumeric Raw Gin den Titel des besten flavoured Gin Deutschlands – und dann ist da noch die Geschichte des Suburban, dem ersten klassischen Gin der Brennerei. Ursprünglich kaum mehr als ein Versuchsballon. Die Charge reichte für 15 Flaschen, drei schickten sie nach London. Dass der Gin – "den haben wir so zusammengezimmert" – bei den World Gin Awards überhaupt irgendwas reißen könnte, das war für beide unvorstellbar. Sie reisten gar nicht erst zur Verleihung an. Aber wieder räumten die Hamburger ab. Auch der dritte Gin im Sortiment wurde in seiner Kategorie zum besten der Welt gekürt.
Yuka und Hauke sind Quereinsteiger, wie sie im Buche stehen. Sie haben bei Null angefangen, ohne richtiges Equipment, ohne wirkliches Know-how. Noch heute scheint es, als wundern sie sich selbst über ihren Erfolg. "Er kommt jeden Tag nach Hause und sagt, dass er jetzt wisse, wie es geht, jetzt habe er es raus", lacht sie. Er grinst, sagt, dass er jeden Tag etwas dazulerne, das habe er vorher lange nicht gehabt. Dann schüttelt er beinahe ungläubig den Kopf, "dabei habe ich immer gedacht, ich sei so ein Biologe, der sich ein Leben lang an einem Grashalm erfreuen kann".
Lieber unterm Radar
Stattdessen bastelt er jetzt immer weiter an neuen Produkten in seiner Destille, den Droppies zum Beispiel. Sie sind die Antwort der Brennerei auf den Trend der sogenannten alkoholfreien Spirituosen. Dafür wurde der Gin in seine Einzelteile zerlegt, der Alkohol entzogen. Gibt man von der hochkonzentrierten Essenz mit der Pipette etwas in den Tonic, entfaltet sich das Gin-Aroma. "Simpel eigentlich", sagt er. Er habe sich immer gewundert, warum es sich die anderen Brenner so schwer machen. Die Droppies sind das bisher einzige Produkt der Destille, welches nicht den Titel weltbestes trägt.
Bis heute kommt der Hamburg-Zanzibar Gin aus der kleinsten Brennerei Hamburgs. Inzwischen wird in der alten Scheune nicht nur gebrannt, es findet sich auch der Laden der Brennerei darin, wo auch Tastings stattfinden. Die Produktion allerdings ist noch immer stark limitiert und das soll so bleiben. Das Paar liebäugelt zwar mit einer größeren Destille, statt 40 Liter 80 oder gar 100, dann könnten bis zu 5000 Flaschen im Monat hergestellt werden, das war's dann aber auch. Sie wollen klein bleiben, die Besonderheit ihres Gins erhalten. "Wir bleiben lieber etwas unter dem Radar, ein Geheimtipp", sagt sie. Er ergänzt: "Für uns ist klar, dass wir immer selbst produzieren werden."