Reinhold Messner hat den Yeti gesehen, sagt er. Hoch oben auf dem Mount Everest. Und ich, ich habe eben mit einem Schluck einen Kleinwagen verdrückt – sozusagen. Beides irgendwie Wahnsinn, aber für Letzteres gibt's immerhin Zeugen. Denn ich gehöre zu den wenigen, sehr wenigen Menschen, die den Yamazaki 55, einen der seltensten und teuersten Whiskys der Welt, kosten durften. Und nun schwappen also wenige Zentiliter von eben diesem in meinem Bauch, was – subjektive Gefühlslage – einer enormen Wertsteigerung meinerseits gleichkommt. Und den Impuls auslöst, in den kommenden Jahren auf keinen Fall eine Toilette aufzusuchen.
Der Yamazaki 55 ist so selten, dass er eigentlich untrinkbar ist. 2020 brachte Suntory die ersten 100 Flaschen des Single Malts auf den Markt. Erhältlich waren sie ausschließlich im Mutterland der Brennerei Japan. Im vergangenen Jahr legte das Unternehmen mit noch einmal 100 für den internationalen Markt nach. Die meisten 55er werden wohl in den gut behüteten Kellern reicher Sammler landen, nur wenige werden jemals geöffnet werden. Der Whisky ist so kostbar, dass selbst Suntory keine ganzen Flaschen für die wenigen Tastings auf der Welt zur Verfügung stellt, sondern den Malt stark rationiert. Es wundert nicht, schließlich ist jeder Schluck ein Vermögen wert, jeder Schluck ein Kleinwagen, könnte man sagen.

Suntory: Pioniere des japanischen Whiskys
Die unverbindliche Preisempfehlung liegt pro Flasche bei umgerechnet knapp 53.000 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer und etwaiger Zollabgaben. Dass aber tatsächlich eine Flasche auch für diesen Preis verkauft wird, ist höchst unwahrscheinlich. Die starke Limitierung treibt die Preise in die Höhe. Im Releasejahr wurde bei einer Auktion die Rekordsumme von umgerechnet fast 700.000 Euro erzielt. Niemals zuvor wurde mehr für einen japanischen Whisky bezahlt. Und nach oben ist noch Luft. Mit 1,8 Millionen Euro für eine Flasche hält der Konkurrent aus Schottland, Macallan, den Weltrekord.
Dass in Japan überhaupt Whisky produziert wird, dass ist zuallererst einem Mann zu verdanken: Shinjiro Torii. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, "einen wahrhaft japanischen Whisky zu kreieren", inspiriert von dem traditionell schottischen. 1923 gründete er die erste Single-Malt-Destillerie des Landes in der Nähe von Kyoto. Damals hieß das Unternehmen noch nicht House of Suntory sondern Kotobukiya. Die Brennerei am Fuße des Berges Tennozan auf der Insel Honshu gilt heute als Geburtsstätte des japanischen Whiskys und der Yamazaki als einer der besten Single Malts der Welt.
Der Yamazaki 55 – eine Hommage
Im Glas schimmert der 55 bernsteinfarben Gelb, duftet nach Sandelholz und sehr reifen Früchten. Und der Geschmack, mhm, äußerst extravagant. Zunächst süß und bitter, dann sorgt das Mizunara-Holz für eine ganz eigene (säuerliche?) Note. Im Abgang dann eine Bitterkeit, im Nachklang auch ein Hauch von Rauch. Und er wandelt sich. Mit jedem Schluck kommen neue, andere Nuancen zum Vorschein. Als das Glas leer ist, fühle ich mich, als hätte ich mich auf die Mona Lisa gesetzt.
Der Yamazaki 55 ist eine Hommage an die Geschichte des Unternehmens. Drei Generationen Master Blender waren an seiner Entstehung beteiligt. Den Anfang machte der Gründer des Hauses, Shinjiro Torii, selbst. 1960 wurde ein Whisky unter seiner Aufsicht destilliert. Der Single Malt, der in Fässern aus der japanischen Mizunara-Eiche reiften, ist eine Komponente des Blends. Kombiniert wird er mit einem Whisky, den sein Sohn, Keizo Saji, Master Blender der zweiten Generation, zu verantworten hat. Dieser wurde 1964 in amerikanische Weißeichenfässer gefüllt. Shinji Fukuyo, Master Blender der fünften Generation, vermählte die beiden miteinander. Keine leichte Aufgabe.

Ein Whisky wie eine buddhistische Statue
So ist es in dem Buch, das das Unternehmen zum Release des Yamazaki 55 veröffentlichte, nachzulesen. Es sei eine Herausforderung für Fukuyo gewesen, mit den seltenen alten Whiskys zu arbeiten. Als er die Unvollkommenheit der Fässer aus dem Jahr 1964 anerkannt habe, habe die die Herausforderung darin bestanden, das Potenzial dieser 'spätblühenden' Whiskys hervorzuheben, um eine bis dahin nicht gekannte Yamazaki-heit zu enthüllen.
"Während des gesamten Blending-Prozesses von Yamazaki 55 habe ich mich vom Lauf der Zeit inspirieren lassen und von 'Wabi-Sabi', der japanischen Überzeugung, dass Unvollkommenheiten letztendlich dazu beitragen können, Perfektion zu erlangen", so Fukuyo. "Während ich andere besonders alte Whiskys oft als Kunstwerke ansehe, vergleiche ich Yamazaki 55 gerne mit einer buddhistischen Statue: ruhig und geheimnisvoll, es braucht Zeit, um die innere Schönheit wirklich zu genießen."

Übrigens, auch wenn es äußerst knifflig werden dürfte, einen Schluck des 55-jährigen Destillats zu ergattern, werden Yamazaki Whiskys mitnichten nur für sehr wenige, sehr reiche Kenner gebrannt. Das Unternehmen bietet auch Single Malts für den normalen Hausgebrauch in exzellenter Qualität. Unter 200 Euro gibt es beispielsweise den vielfach prämierten 12-Jährigen Yamazaki Single Malt.
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