Diätkultur "Almond Moms": Töchter rechnen auf TikTok mit dem Essverhalten ihrer Mütter ab

Eine Frau hält eine Mandel zwischen ihren Fingern
Mandeln statt Schokolade: Das ist laut TikTok eines der Markenzeichen der "Almond Moms". Die humorvollen Videos haben jedoch einen ernsten Hintergrund
© B. BOISSONNET / Picture Alliance
Unter dem Hashtag #Almondmom offenbart sich in sozialen Medien, wie viele junge Frauen mit Müttern aufgewachsen sind, die ein problematisches Verhältnis zum Essen haben – und die dies auf ihre Töchter projizieren. Das steckt hinter dem TikTok-Trend.

TikTok-Trends kommen und gehen am laufenden Band. Viele von ihnen drehen sich um Mode oder um waghalsige Challenges, die junge Menschen gefährden. Einige von ihnen stoßen aber auch immer wieder Diskussionen an. 

So auch der Hashtag #almondmom, also "Mandel-Mutter". In den Videos prangern vor allem Frauen eine toxische Diätkultur an, mit der sie aufgewachsen sind und die sie von ihren Müttern vorgelebt bekommen haben. Namensgeberin des Trends war wohl unfreiwillig Yolanda Hadid, die Mutter des Models Gigi Hadid. Grund dafür ist ein Video aus dem Jahr 2013, das bei der Reality-TV-Serie "The Real Housewives of Beverly Hills" ausgestrahlt wurde und seit einiger Zeit wieder im Netz rumging. Darin ist zu sehen, wie Yolanda einen Anruf von Gigi erhält, während sie sich nach einer Operation erholt. Ihre Tochter – zu dem Zeitpunkt gerade 17 Jahre alt – sagt am Telefon, sie fühle sich schwach, habe nur eine halbe Mandel gegessen. Yolandas Antwort darauf: "Iss ein paar Mandeln und kaue sie gut." Sie verteidigte ihre Aussage Jahre später damit, sie sei wegen der überstandenen OP noch müde gewesen und könne sich kaum an das Gesagte erinnern. Dem "People Magazine" sagte sie: "Es ist so ein dummes Narrativ, das kursiert, das nichts mit der Realität unseres Lebens zu tun hat."

Nicht nur Yolanda Hadid ist eine "Almond Mom"

Es ist allerdings nicht das einzige Video dieser Art, das von Gigi Hadid und ihrer Mutter im Internet kursiert. Auf Youtube gibt es einen Zusammenschnitt, der unter anderem bei der "HuffPost" zu sehen ist. Darin sagt Yolanda ihrer Tochter Gigi unter anderem, Volleyball sei, anders als Modeln, ein sehr männlicher Sport. Frauen, die Volleyball spielen, hätten einen massigen Körper und würden auch wie Männer essen. Daher solle ihre Tochter sich zugunsten ihrer Modelkarriere besser dagegen entscheiden. In den nächsten Clips erlaubt sie ihrer Tochter "einen Abend böse zu sein", was ihr Essen angeht, ermahnt sie aber auch, direkt danach wieder auf Diät zu gehen. Als Gigi sich etwas von einem Kuchen nehmen will, wendet sie ein, dass ihr Stück zu groß sei – und zupft ihr selbst ein winziges Stück von dem Kuchen ab, um die Menge zu kontrollieren.

Nun könnte man einwenden, dass die Szenen zwar problematisch sind, innerhalb der Modeindustrie jedoch nicht sonderlich neu oder überraschend sein dürften. Der #Almondmom-Trend geht jedoch darüber hinaus. Auf TikTok und Instagram finden sich unter dem Hashtag hauptsächlich Berichte von Frauen, die nicht im Auge der Öffentlichkeit aufgewachsen sind. Auf TikTok hat der Hashtag mittlerweile mehr als 480 Millionen Aufrufe. In den parodierten Videos stellen junge Frauen nach, was für Sprüche sie teilweise noch heute von ihren Müttern zu hören bekommen. Das können ständige, überwachende Kommentare zum Essverhalten ("Willst du das wirklich essen?") oder Aussehen ("Dieses Outfit ist nicht vorteilhaft für deinen Körper" ) der eigenen Tochter sein.  

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"Sie hat mit Diätpillen bei mir angefangen, als ich acht Jahre war"

In den Kommentaren unter den Videos sieht man, wie viele Frauen sich in den gezeigten Situationen wiederfinden, und dass viele Mütter nicht nur durch Kommentare versuchen, das Essverhalten ihrer Töchter zu regulieren. Eine Userin berichtet unter einem Video auf Instagram: "Meine Mutter wollte mich davon überzeugen, samstags immer komplett auf Essen zu verzichten und zu fasten – ich war neun." Auch andere Frauen schreiben, dass ihre Mütter sie bereits in sehr jungem Alter regelmäßig auf Diät setzten: "Sie hat mit Diätpillen bei mir angefangen, als ich acht Jahre war, hat mir Slim Fast [ein Diät-Shake] zum Mittagessen gegeben, setzte mich auf 1000-Kalorien-Diäten, als ich zehn war [...]". Andere berichten von Bestrafungen, wenn sie nach Ansicht ihrer Mütter zu viel oder etwas Ungesundes gegessen hatten, oder von Drohungen, den Kühlschrank und Vorratsschrank abzuschließen.

Aber auch bereits subtilere Kommentare können Spuren hinterlassen, wie Videos und Kommentare unter dem Hashtag zeigen. So tritt etwa das kategorische Einteilen von Essen in "gut" und "böse", bei dessen Verzehr man folglich entweder "gut ist" oder "sündigt", in den Videos als Motiv immer wieder auf. Häufig ist es auch so, dass die "Almond Moms" mit sich selbst mindestens ebenso hart ins Gericht gehen wie mit ihren Töchtern – indem sie ihre eigenen Körper offen abwerten oder ihr eigenes Essverhalten ständig zum Thema machen. Das kann sich in Sprüchen äußern wie "Ich habe heute gesündigt, ich esse kein Abendessen", oder aber im Gegenteil: Sie müssen ständig stolz betonen, wie wenig sie essen. 

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Druck der Diätkultur zieht sich durch die Generationen

Eine Ernährungsberaterin mit dem Usernamen "almondmilkisnuts", die sich auf ihrem Account viel mit dem "Almond Mom"-Trend befasst, erklärt in einem Beitrag: "Es kann jeder sein – nicht nur Mütter. Generationen von Diätkultur haben fast jeden irgendwie beeinflusst." Dass es in den Erfahrungsberichten dennoch meist um Mütter und Töchter geht, dürfte auch damit zu tun haben, dass gesellschaftliche Schönheitsideale das Leben von Frauen noch immer besonders stark beeinflussen. Sie machen häufiger Diäten und sind besonders oft von Essstörungen betroffen. Filter und stark bearbeitete Fotos in sozialen Medien erhöhen den Druck, nach dem vermeintlich perfekten Aussehen zu streben, gerade für junge Frauen nachweislich. Der Großteil von Schönheitsoperationen wird an Frauen durchgeführt, in Deutschland war es vergangenes Jahr laut Angaben von Statista ein Anteil von knapp über 88 Prozent. Unter diesen Schönheitsidealen leiden Frauen seit Generationen – und geben diesen Druck, teils unbewusst, oft an ihre Kinder weiter. Dazu erklärt die Ernährungsberaterin auf ihrem Profil weiter: "Almond Moms tendieren dazu, eine schlechte Beziehung zum Essen und zu ihren Körpern zu haben und können das auf ihre Kinder und andere projizieren. Endlose Zyklen von Diäten und Versuchen abzunehmen, ist eine toxische Art zu leben."

Mit dem "Almond Mom"-Trend versucht nun eine Generation von Töchtern, das Thema mit einer Prise Humor zu verarbeiten. Viele berichten davon, dass sie auch heute als erwachsene Frauen aufgrund der Sprüche ihrer Mütter noch mit dem eigenen Körperbild Probleme haben und schwören deshalb, es bei ihren eigenen Kindern anders zu machen. Jedoch zeigen viele in den Kommentaren auch Verständnis dafür, dass ihre Mütter ebenfalls mit der Diätkultur aufgewachsen sind und ihre eigenen Schäden davongetragen haben – und schlagen deshalb versöhnliche Töne an: "Meine Mutter hat mir gesagt, wenn ich nicht meinen Bauch einziehe, könne ich dieses Kleid nicht anziehen", kommentiert eine Userin auf Instagram. "Gott segne sie, sie hat von ihren Eltern viel Schlimmeres gehört. Genauso meine Oma." 

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Quellen: Tiktok, Instagram, TodayHuffPost, Statista, Deutschlandfunk Kultur