"Miss Holocaust Survivor" Dokumentation zeigt ungewöhnliche Miss-Wahl mit Shoah-Überlebenden

Eine Szene des Films "Miss Holocaust Survivor"
"Miss Holocaust Survivor": Der Film kommt am 09.11.2023 in die deutschen Kinos
© DPA
Es ist ein ungewöhnlicher Schönheitswettbewerb im israelischen Haifa, den Regisseur Radek Wegrzyn in den Mittelpunkt seines Dokumentarfilms stellt: Die Teilnehmerinnen sind alle deutlich über 70 - und sie sind Holocaust-Überlebende.

Es ist ein ungewöhnlicher und teilweise umstrittener Blick auf den Holocaust. Denn gezeigt werden nicht Bilder von Stacheldraht und aushungerten Überlebenden. Zwölf Frauen stellen sich am Ende ihres langen Lebens einem Schönheitswettbewerb. Faltenfrei ist keine von ihnen, die Kurven sitzen nicht immer an den Stellen, die konventionelle Schönheitsbegriffe als ideal bezeichnen. Doch bei dem Wettbewerb für die "Miss Holocaust Survivor", der im israelischen Haifa organisiert wird, geht es um innere Schönheit, um eine Anerkennung des Lebens der Überlebenden. Der Film startet an einem symbolträchtigen Datum in den deutschen Kinos, am 9. November, der Jahrestag der Pogromnacht von 1938.

In seinem einfühlsamen Dokumentarfilm begleitet Regisseur Radek Wegrzyn die Frauen in einem Altenheim für Überlebende der Shoah, bei den Vorbereitungen für den Wettbewerb, bei Proben und im Alltag, stellt ihre Lebensgeschichten vor: Tova Ringer zum Beispiel, mit 96 Jahren die älteste Wettbewerbsteilnehmerin, eine resolute, energiegeladene Frau, die jeden Tag eine Stunde im Fitnessstudio verbringt. Oder die Künstlerin Rita Kasimow-Brown mit ihrer Vorliebe für bunte Farben - vielleicht auch ein Kontrastpunkt zur Welt der Dunkelheit in ihrer Kindheit, als sie mit ihrer Familie 19 Monate in einem Versteck in einem Erdloch lebte?

Traumata lassen sich nicht vergleichen

"Beim Wettbewerb kam es wirklich nicht darauf an, wer die "schlimmste" oder tragischste Geschichte vorweisen kann - eine Frau überlebte drei Konzentrationslager, eine andere versteckte sich mit ihrer Familie über ein Jahr in einem Erdloch. Wie will man solche Erfahrungen vergleichen?", sagt Wegrzyn der Deutschen Presse-Agentur. "Traumata lassen sich nicht vergleichen."

Ihm habe daher von Anfang an die Zielsetzung des Wettbewerbs gefallen, der das Leben feiert. "Diese Frauen haben unglaubliches Leid erlebt und trotzdem ein unglaubliches Leben danach gehabt. Diese Stärke, die für mich auch eine Schönheit darstellt und die Resilienz, die sie an den Tag gelegt haben - das bewundere ich." Am Ende ihres langen Lebens stünden die Frauen auf der Bühne und sagen: Wir sind noch hier, wir sind am Leben - und genau das wollen wir feiern.

Trotzdem, die Verbindung von Schönheitswettbewerb und Shoah sorgt für Kontroversen, die in dem Film ebenfalls thematisiert werden. "Auch ich war ständig mit der Frage konfrontiert, wie finde ich das eigentlich?", räumt Wegrzyn ein. Aber die einzige relevante Stimme sei die der Frauen. "Sie haben die Deutungshoheit, ob man das "darf" oder nicht. Und jede dieser Frauen hat sich an diesem Abend schön und akzeptiert und geliebt gefühlt. Solange sie am Leben sind, ist ihre Stimme, die Stimme der Überlebenden, die einzige, die die Frage beantworten kann: darf man das oder darf man das nicht?"

Vergangenheit, die nicht vergeht

Der Wettbewerb ist ein Höhepunkt im Leben der Frauen. Werden Frauen doch vor allem in westlichen Gesellschaften ab einem bestimmten Alter gewissermaßen unsichtbar, sobald sie nicht mehr dem Standard jugendlicher Schönheit entsprechen. Viele Überlebende - auch in Israel - leben im Alter in Armut.

Es sind kleine Szenen, die eindrucksvoll zeigen, wie Erinnerungen aufbrechen und Traumata nachwirken - etwa als Tova Ringer sich in einem Hotel über das Büffet beschwert und Service am Tisch verlangt: Sie habe jahrelang in drei Konzentrationslagern um einen Teller wässriger Suppe angestanden, nie wieder wolle sie um Essen anstehen. Oder Rita Kasimow-Brown, die so lebensfrohe Bilder schafft und sich daran erinnert, wie sie sich als achtjähriges Mädchen das Leben nehmen wollte, weil sie die Enge und Dunkelheit des Verstecks nicht mehr ertrug.

Sorge um Protagonistinnen in Israel

Als Wegrzyn 2017 mit den ersten Vorbereitungen begann, war noch gar nicht abzusehen, dass terroristische Angriffe wieder das Leben der Israelis und der dort lebenden Holocaust-Überlebenden gefährden würden. "Ich stehe in Kontakt mit Tova und Rita - es geht ihnen gut, aber sie sind natürlich in großer Sorge, vor allem um ihre Kinder und Enkelkinder", sagt er. "Ich mache mir schon Sorgen und verfolge die Nachrichten jeden Tag."

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Er glaube, es sei wichtig, diesen Film gerade jetzt zu zeigen, betont der Regisseur: "Eine Geschichte, die an die Menschlichkeit in uns allen appelliert. Eine Geschichte, die uns an unsere Verantwortung gegenüber Israel, aber auch gegenüber unseren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern erinnert." Er hoffe, "der Film erinnert durch seine wunderbaren Protagonistinnen daran, warum die Sicherheit Israels deutsche Staatsräson ist und bleiben muss".

DPA
jus