Herr Baum, die palästinensische Familie Khateeb, die in Hessen lebt, soll nach 17 Jahren in Deutschland abgeschoben werden. Was denken Sie über diesen Plan?
Es ist eine Schande für unseren Rechtsstaat. Es ist eine unglaubliche Paragrafenreiterei die nicht im Einklang mit dem Grundgesetz steht. Das Grundgesetz wird in Artikel eins bestimmt vom Prinzip der Menschenwürde. Dieses Prinzip bezieht sich nicht nur auf Deutsche sondern auf alle hier lebenden Menschen.
Inwiefern wird die Würde der Familie Khateeb angetastet?
Es wird tief in die Lebensverhältnisse der Familie eingegriffen und das ohne Not. Offenbar will man hier einen Präzedenzfall schaffen,
Die Familie hat Asyl beantragt. Das wurde ihr nicht gewährt. Wird das Asylrecht zu streng angewendet?
Das Asylrecht ist ausgehöhlt worden.
Hintergrund
Die achtköpfige Familie Khateeb aus Hessen soll nach 17 Jahren in Deutschland abgeschoben werden. (stern.de berichtete) Den Palästinensern wird vorgeworfen, bei ihrer Flucht nach Deutschland im Jahr 1992 falsche Angaben zu ihrer Nationalität gemacht zu haben. Seit 2006 ermittelt die von Polizei und Ausländerbehörde eingesetzte Arbeitsgruppe "AG Wohlfahrt" gegen die Familie.
Im Jahr 2007 wurde der Vater nach Jordanien abgeschoben. Die Khateebs haben nun eine Petition an den hessischen Landtag gestellt, in dem sie aus humanitären Gründen um ein unbestimmtes Aufenthaltsrecht bitten. Am 12. November wird sich der Petitionsausschuss voraussichtlich mit dem Fall beschäftigen.
Was meinen Sie damit?
Der Grundsatz, dass politisch Verfolgte Asyl genießen, existiert in der Realität nicht mehr. Das Asylrecht wurde in den 90er-Jahren so eingeschränkt, dass es nur noch rudimentär existiert. Im diesem Jahr feiern wir 60 Jahre Grundgesetz. Die Verfasser des Grundgesetzes, gingen davon aus, dass das neue Deutschland sensibel für politisch Verfolgte ist. Dieses Prinzip hat sich aber verflüchtigt und ist einem rigorosem Ausländer- und Asylrecht gewichen.

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Ist hier auch die neue Bundesregierung gefragt?
Ja, natürlich. Der neue Bundesinnenminister will sich ja anscheinend für ein neues Bleiberecht einsetze. Das geht ja in die richtige Richtung und hier habe ich die Hoffnung, dass die neue Regierung liberalere Regelungen vereinbart. Meine Hoffnungen richten sich auch auf die Regierungen der Länder, in denen die FDP mitregiert – also auch auf Hessen.
Zurück zum konkreten Fall Khateeb: Was werfen Sie den Verantwortlichen vor?
Es fehlt an der Sensibilität der Behörden. Mich interessiert überhaupt nicht, ob diese Familie Jordanier oder Palästinenser sind. Ich sehe eine Familie, die seit 17 Jahren hier lebt und deren Kinder hier aufgewachsen sind. Es ist eine Familie, die zu unserer Gesellschaft gehört. Sie sind integriert. Und damit erfüllen sie genau das, was wir immer von den hier lebenden Ausländern verlangen: einen wirklichen Integrationswillen.
Gerhart Baum
Der FDP-Politiker Gerhart Baum, geboren 1932 in Dresden, war von 1978 bis 1982 Bundesinnenminister. Seit 1994 ist er wieder als Rechtsanwalt tätig und engagiert sich insbesondere für Bürger- und Menschenrechte.
Am 12. November wird sich wohl der Petitionsausschuss des hessischen Landtags mit dem Fall befassen. Was raten Sie den politisch Verantwortlichen?
Es muss eine politische Entscheidung erfolgen, die die kleinliche und möglicherweise falsche Auslegung des Asylrechts beiseite wischt. Aus humanitären Gründen müsste der Familie ein dauerhaftes Bleiberecht eingeräumt werden. Das wäre ein Zeichen der Menschlichkeit. Wenn die verantwortlichen Politiker dazu nicht in der Lage sind, dann arbeiten sie am Grundgesetz vorbei.
Der Vater wurde bereits abgeschoben, offensichtlich in einer Nacht- und Nebel-Aktion...
...Das ist unglaublich. Man hat das Gefühl, er wurde wie ein Schwerverbrecher abgeschoben. Gerade konservative Politiker sollten eines beachten: Artikel 6 des Grundgesetzes, der den Schutz der Familie festschreibt, ist kein abstrakter Wert, sondern muss sich in der Wirklichkeit bewähren.
Welches Signal ginge von einer Abschiebung der Familie aus?
Ein Signal der Unmenschlichkeit. Man kann doch nicht einfach die Lebenstatsachen ignorieren. Es ist eine Familie, die lange hier lebt, die hier verwurzelt ist und die keinen Bezug zu ihrer Heimat hat. Eine Abschiebung macht zudem aus ökonomischen Überlegungen keinen Sinn.
Warum?
Die Zahl der Deutschen nimmt ab. Man hört doch ständig, dass unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft auf junge, qualifizierte Ausländer angewiesen sind. Die Kinder der Familie Khateeb werden hier ausgebildet und können zum Sozialprodukt beitragen. Ich stelle mir auch die Frage, ob wir in dieser schwierigen ökonomischen Situation nicht andere Sorgen haben, als dass sich Behörden mit großem Aufwand um eine solche Abschiebung kümmern.
Welches Deutschlandbild entsteht Ihrer Ansicht nach durch Fälle wie diesen?
Kein gutes. Aber andere europäische Länder sind oft nicht viel besser.