In Zeiten, in denen einem Populisten von links wie rechts weismachen wollen, dass es für alle Probleme einfache Lösungen gibt, wird in TV-Sendungen kaum noch nach rechtlicher, geschweige denn ethischer Richtigkeit gefragt. Dass das jedoch nottut, zeigte am Montagabend die Diskussion bei "Hart aber fair": Ist ein Kampfpilot, der 162 Geiseln in einem entführten Flugzeug tötet, um 70.000 Menschen in einem Stadion zu retten, ein Mörder oder nicht? Der TV-Film "Terror", der vor der Diskussionssendung gezeigt wurde und bei dem die Zuschauer als Schöffen abstimmen konnten, hatte in den Wohnzimmern der Republik sicher schon für jede Menge Meinungsverschiedenheiten gesorgt.
Mit dem ehemaligen Verteidigungsmister Franz-Josef Jung (CDU) und dem ehemaligen Innenmister Gerhart Baum (FDP) diskutierten bei Moderator Frank Plasberg dann zwei Persönlichkeiten, die sich in dieser Frage bereits seit Jahren diametral gegenüberstehen. Schließlich hatte Baum mit seiner Verfassungsbeschwerde dafür gesorgt, dass das Luftsicherheitsgesetz der Bundesregierung 2006 vom Bundesverfassungsrecht genau für den im Film beschriebenen Fall für verfassungswidrig und nichtig erklärt wurde. Jung hingegen befürwortete damals wie heute einen Flugzeugabschuss unter Berufung auf einen nirgends definierten "übergesetzlichen Notstand". Mit ihm auf einer Linie waren der ehemalige Kampfjet-Flieger Thomas Wassmann und das TV-Publikum, das den fiktiven Piloten mit 86,9% zu 13,1% für nicht schuldig gesprochen hatte. Die vierte Diskutantin, die Theologien Petra Bahr, wollte sich hingegen bis zum Ende der Sendung nicht recht festlegen, tendierte aber zu schuldig.

Ex-Innenminister Baum wirkte über Strecken verzweifelt
Während der gesamten Diskussion war Baum die Verzweiflung anzusehen. Für ihn als Juristen lagen die Fakten nicht nur auf dem Tisch, sondern seine Sichtweise war auch längst von höchster Stelle – nämlich dem Bundesverfassungsgericht – bestätigt worden. "Mein Gott, wir reden über das Grundgesetz!", brach es einmal aus ihm heraus, um die juristische Bedeutung hervorzuheben. Das hinderte jedoch Jung und Wassmann nicht daran, die unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges entstandene deutsche Verfassung und ihren ersten Artikel "Die Würde des Menschen ist unantastbar" aufgrund der aktuellen Gegebenheiten in Frage zu stellen. "Krieg findet heute anders statt", so der Ex-Kampfjet-Flieger Wassmann, "wir müssen handlungsfähig bleiben." Der Einwurf von Baum "Aber Sie töten!" verhallte weitgehend ungehört.
Zwischen diesen beiden Polen wirkten die Einwürfe der Theologin Bahr mitunter etwas hilflos, gaben aber Orientierung. So seien die Alternativen des Piloten "falsch" und "falscher" gewesen. Niemand käme mit einer weißen moralischen Weste aus so einer Situation heraus. Der Pilot sei schuldig im Sinne des Gesetzes geworden. Er habe aber auch ein Opfer gebracht: nämlich Schuld auf sich geladen, um viele Menschen zu retten. Bahr war es auch, die darauf hinwies, dass das Strafmaß selbst bei Schuldigsprechung ja differenziert werden könne. Ein durchaus vernünftiger Vorschlag, dem auch Baum zustimmte: "Der Pilot kann ein geringes Strafmaß erwarten. Er muss aber als Täter behandelt werden."
Flugzugabschuss würde gegen Grundgesetz verstoßen
Trotz dieser kleinen Einschränkung von Baum blieben er einerseits sowie Jung und Wassmann andererseits in der Kernfrage bis zum Schluss unversöhnlich. An der immer wiederkehrenden Frage, ob mit einem Abschuss des entführten Flugzeugs gegen das Grundgesetz verstoßen werden würde, wurde aber deutlich, welche Rolle die Verfassung in unserem täglichen Leben hat und für unsere Sicherheit spielt. Wieder war es Bahr, die die dahinterliegende Frage formulierte: "Was bedeutet uns unsere Verfassung? Darüber müssen wir reden!"
Aber sollte man das tatsächlich machen, nachdem man gerade einen emotionell aufwühlenden Film über den Terror gesehen hat? Und kann man das per Telefon- bzw. Internet-Voting aus dem Wohnzimmer mit lediglich den beiden Alternativen "schuldig" und "nicht schuldig" tun? Wohl kaum. Diese Besonnenheit in der Diskussion forderte auch Baum, als er die richtigen Worte zur Einordnung dieses "TV-Events" und der Rechtsprechung in Form des Grundgesetzes dazu fand: "Die Terrorangst greift um sich. Wir dürfen uns ihr nicht hingeben. Wir dürfen die Grundlagen unseres Zusammenlebens deshalb nicht aufgeben."