Am 15. Juli vor zwei Jahren brachen die Mitglieder des Docks-Kollektivs von Dortmund ins Ahrtal auf. Das gesamte Ausmaß der Zerstörung sei damals noch nicht klar gewesen, sagt Aliona Kardash. Aber am Ende dieses Tages hätten sie gewusst: "Wir müssen weitermachen." Kardash, Jahrgang 1990, ist Teil des Docks-Kollektivs, einer Gruppe junger Dokumentarfotografen, die seit 2018 zusammenarbeiten. Vergangenes Jahr erhielt sie das "stern Stipendium", das junge Fotojournalisten fördert.

Zehn Tage blieben die Mitglieder des Docks-Kollektivs im Juli 2021 im Ahrtal. Sie fotografierten überschwemmte Straßen, zerstörte Häuser und Kirchen, freiwillige Helfer und Anwohner, die in der Flut alles verloren hatten.
Sich auf eine Situation oder ein Gespräch festzulegen, das ihr besonders in Erinnerung blieb, falle ihr schwer, sagt Kardash im Gespräch mit dem stern. Ein Bild, das die Tragik dieser ersten Tage für sie besonders deutlich zeige, sei eine Nachtaufnahme. Es zeigt das Dorf Dernau von oben am 15. Juli 2021. Das Wasser steht noch so hoch in den Straßen, dass einige Menschen in ihren Häusern eingeschlossen sind. Es gibt weder Strom noch Handyempfang. Rettungskräfte fahren mit einem Boot durch das Dorf und suchen nach Überlebenden. Das Bild ist dunkel, nur die Taschenlampe der Rettungskräfte spendet Licht und leuchtet ein Haus an.
Einige Bilder zeigen Berge von Müll und Schutt. Wo einst Häuser und Existenzen waren, herrschte nach der Flut Zerstörung und Verzweiflung. Aber auch Hilfsbereitschaft, Einsatz und Erschöpfung der Rettungskräfte und Helferinnen und Helfer kommen in den Fotos zum Ausdruck.

Zwei Jahre nach der Flut warten viele Menschen im Ahrtal auf finanzielle Hilfe
184 Menschen verloren durch die Flut ihr Leben. Kardash und die anderen Mitglieder des Kollektivs kehrten in den kommenden Monaten immer wieder zurück in die Region. Ein Jahr lang begleiteten sie Anwohner und Helfer. Neben Fotos entstanden Interviews, die das Kollektiv jetzt in dem Fotobuch "Ein Jahr entlang der Ufer" veröffentlicht. Neben Aliona Kardash gehören Fabian Ritter, Arne Piepke, Ingmar Björn Nolting und Maximilian Mann zu Docks; die Bilder sind allerdings keinem bestimmten Fotografen zugeordnet, alle tragen den Credit des Kollektivs, um die gemeinsame Arbeit zu betonen.

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"Wir wollten ein Dokument der Katastrophe erschaffen", sagt Kardash. Und es sei ihnen wichtig gewesen, hinzuschauen und die Entwicklung vor Ort festzuhalten, auch wenn das große Interesse nachgelassen hat. Deshalb erscheine jetzt, zwei Jahre nach der Flut-Katastrophe das Buch. "Die Menschen sollen sich nicht im Stich gelassen fühlen." Der Wiederaufbau werde noch mehrere Jahre dauern. In den Gesprächen mit Betroffenen habe sie Frustration wahrgenommen, dass vieles sehr langsam passiere, die Bürokratie vieles verkompliziere.
Wie der stern Mitte Juni berichtete, warten zwei Jahre nach der Katastrophe im Ahrtal immer noch viele Menschen auf finanzielle Hilfe – für Häuser, Heizungen und psychologische Betreuung. Beim Aktionsbündnis "Deutschland hilft" waren zu diesem Zeitpunkt erst 65 Prozent der Mittel ausgezahlt. Im Ahrtal beginne daher nun die dritte Welle von Frust und Erschöpfung.
Auch stern-Reporter begleiteten die Menschen im Ahrtal über einen längeren Zeitraum. Wie die Bewohner den Neuanfang wagen, lesen Sie hier.